Natürlich geht’s ums Geld. Geht es doch immer. In Zeiten maroder Staaten und Städte muss überall gespart werden. Im Olymp, wo Finanzmonster Schäuble die Donnerkeile des Zeus durch Taschenlampenblitze ersetzt und auch vor der Hydra nicht halt macht (neun Köpfe für eine Schlange – manche mögen das effizient nennen, der teutonische Vollstrecker spricht dagegen von Verschwendung), in Kino und Theater, wo die Geschichten von Jesus und Ben Hur kurzerhand parallel von ein paar Reinigungsfachkräften inszeniert werden, und bei vielen weiteren Nummern des Pink Punk Pantheon.
Immer wieder diese hypnotisierenden, treibenden, pulsierenden Schamanen-Toms. Massig im Klang, drängend, beschwörend, bindend. Der neue Herzschlag von New Model Army dröhnt beim traditionellen Kölner Weihnachtskonzert durch das Palladium, zieht das Publikum in seinen Bann, lässt die Jünger in den wilderen Momenten ekstatisch auf und ab springen und bringt sie dann wieder zur Ruhe, um den kryptisch-poetischen Worten ihres Independent-Propheten zu lauschen. Lohnt sich: Justin Sullivan, Gründer, Frontmann und Seele der Army, hat nichts von seinem Charisma eingebüßt, ist das stimmliche Äquivalent zu den Trommeln.
Es soll eine Show der Superlative sein: Gleich zum Anfang Deutschlands bester Weihnachtsmann, später folgen das höchste Tier der Erde, der stärkste Jongleur der Welt, die spektakulärste „Open Galaxy“-Nummer der Welt. Große Worte für den Bonner Weihnachtscircus, der bereits zum achten Mal vor der Beethovenhalle seine Zelte aufgeschlagen hat. Der Programmname spricht bereits für sich, „Sensation“ propagiert Artisten „auf Höchstniveau“. Doch hinter den marktschreierischen Ankündigungen des Direktors Manuel Fischer steckt tatsächlich mehr als nur ein Funken Wahrheit. Vor allem die Akrobaten sorgen für großartige Bilder, fliegen durch die Manege, balancieren Kugeliges und Spitzes nach Belieben oder zeigen bemerkenswerte Kraftakte.
Da springt die Menge! „Oh Francesca“, johlt es aus hunderten Kehlen, die den „Trip to Barcelona“ der Ska-Band The Slapstickers am liebsten sofort in die Tat umsetzen würden. Ab dahin, wo (vermeintlich) die Sonne scheint. Die passende Musik dazu gibt es in der Harmonie schon mal. Bei ihrem traditionellen Weihnachtskonzert gibt die Formation aus Brühl wie gewohnt alles – bis auf den Ehering von Sänger Christian Spiecker. Der rutscht ihm im Eifer des Gefechts vom schweißnassen Finger und landet im Publikum. Großalarm. Alles andere muss jetzt erst einmal zurückstehen, bis das Schmuckstück („Mein Schatz“, zischt Spiecker augenzwinkernd) wieder an seinem rechtmäßigen Platz ist. Dann erst kann es mit der Party weitergehen.
Kirche und Kommerz in unheiliger Ehe, von Besinnlichkeit keine Spur: Nessi Tausendschön kommt im Pantheon nicht wirklich in Weihnachtsstimmung. Trotz kunterbuntem Christbaumschmuck, Tannennadel-Duftbäumchen und nach Spekulatius duftendem Klopapier. Mist. Vielleicht eine Geschichte? Hilft bestimmt. Loriot. „Advent“. Untertitel: „Kannibalismus im Forsthaus“. Na toll. Jetzt ist zwar alles rot, aber nicht muckelig. Andererseits sind jene, die zu der Großkünstlerin und ihrem Begleiter Scharkus Minkel kommen, ohnehin nicht an Gefühlsduselei interessiert, sondern eher an prächtigen Pointen, abgedrehten Liedern und Momenten, die das Wort „gaga“ nur ansatzweise zu beschreiben vermag. All das liefert Nessi Tausendschön mit Wonne – und sorgt so für einen Weihnachtsfrustschutz-Abend der Extraklasse.
Es ist ein gnadenloser Krieg. Vor allem von rechts. Immer wieder Phrasen-Beschuss durch Schwadrone von Schwadroneuren, polternder Parolendonner, Radikalinski-Granaten. Meistens Blindgänger, aber dennoch nicht ungefährlich. Im Schützengraben des Pantheon derweil die diesjährige Schlachtplatten-Truppe, die zum Jahresabschluss den Jahresabschuss probt und alles in die Verbal-Haubitzen lädt, was sie zu fassen kriegt: Kalauer, Pointen, Lieder und Grimassen. Kabarettistisches Streufeuer.
Ein Blick reicht zur Verständigung. Ein Blick, aus dem Sebastian Sternal und Claudius Valk alles herauslesen können, was für die nächsten Takte von Bedeutung ist. Alles weitere ergibt sich intuitiv. Das herausragende Duo, das in diesem Jahr den Neuen Deutschen Jazzpreis gewann, beschließt für dieses Jahr die Reihe „Jazz in Concert“ im Pantheon Casino, setzt ein Ausrufezeichen hinter ein erfolgreiches Experiment, das im kommenden Jahr weitergeführt wird. Saxofonist Valk und Pianist Sternal tauchen tief ein in den Modern Jazz, ereifern sich in abstrakten Phrasen, nur um kurz darauf wieder zu einem lyrischen Spiel zurückzukehren, zu einer fast schon romantischen Phrasierung. Ein Dialog zweier Musiker, die sich in- und auswendig kennen und auch blind drauf losspielen könnten. Was sie in gewisser Weise auch tun.
Dezember – in der Harmonie der Monat für Traditionen. Weihnachtskonzerte der besonderen Art. Alles Jahre wieder Guildo Horn, Killerz, Dirty Deeds. Und mitten drin die Kombination der Bonner Formationen Luis' Lullaby und Lady Talk. Jazz- trifft auf Gesangs-Quartett, zusammen eine schöne Mischung aus Besinnlichem und Peppigem präsentierend, aus klassischen Weihnachtsliedern und feinen Jazz-Standards. Das kommt an, wie zwei ausverkaufte Konzerte belegen. Zu recht.
Alles, was zählt, ist Geld. Gold. Kohle. Asche. Money makes the world go around, heißt es doch. Oder: „Gewinn ist nicht alles, aber ohne Gewinn ist alles Nichts.“ So zumindest sehen es die Figuren in Albert Ostermeiers „Ein Pfund Fleisch“, das jetzt im Euro Theater Central eine umjubelte Premiere feierte. Das Stück basiert auf William Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“, ist eine Umsetzung in der Welt der Banken und der digitalen Märkte, in denen Geld alles ist und alles zu Geld gemacht werden kann. Selbst die Liebe. Ein käufliches Gut, ein Mittel zum Zweck. Wer hier mit dem Herzen denkt, hat schon verloren.
Faul, überbezahlt, besserwisserisch und dabei in allen relevanten Belangen inkompetent: Die Vorurteile gegenüber Lehrern sprengen jedes vernünftige Maß. Kein Wunder also, dass Lehrer Laux alias Horst Schroth sich aufregt, vor allem darüber, dass er sich überhaupt aufregen muss. Im Pantheon hat der Kabarettist nun, 20 Jahre nach seinem ersten Pädagogen-Programm, erneut eine flammende Verteidigungsrede zu Ehren der Lehrerschaft gehalten, die deutlich besser ist als ihr Ruf. Auch wenn, das gibt Laux unumwunden zu, in all den Vorwürfen gegen ihn und seine Kollegen manchmal ein kleines, aber nur ein wirklich winziges Quentchen Wahrheit steckt.
Tanzen! Hauptsache tanzen! Stillstehen ist schlichtweg nicht möglich, die Musik der Buttshakers geht viel zu sehr ins Blut, in die Arme, in die Beine. Funkig angehauchter Soul und temporeichem Rock 'n' Roll, eigentlich genau das Richtige für einen lauen Sommerabend – oder eben eine düstere Winternacht, an die für gut anderthalb Stunden keiner mehr denkt. In der Harmonie hat die Band aus Frankreich nun auf Einladung der Couchrocker ein Stimmungs-Feuerwerk der Extraklasse abgefeuert. Wer nicht da war: Selber schuld.
Winter 1984. Ein junger Rockmusiker, der ein Jahr zuvor mit seinem dritten Album erste Erfolge erzielen konnte, stößt mit „Reckless“ endgültig in der Riege der Superstars vor. Schon damals gab Bryan Adams sich nostalgisch, beschwor unter anderem den „Summer of 69“ – in der Lanxess Arena schaut er nun erneut zurück und kramt all die alten Hits hervor. Wieder erklingt diese markante, raue Stimme, mischen sich solider Stadion-Rock mit schwülstigen Balladen, die auf keiner 80er- und 90er-Party fehlen dürfen, weil sie Erinnerungen wecken und mittlerweile längst Kult sind. Der 55-Jährige gibt Vollgas, rast wie vor 30 Jahren über die Bühne, reckt die Arme in die Höhe, fordert zum Mitsingen und zum Tanzen auf. Und wirkt dabei zumindest aus der Ferne überraschend jung.
Irgendwer muss ja blöken. Die Weihnachtsgeschichte ohne Schafe? Geht gar nicht, immerhin kommen Hirten vor, die ja irgendetwas hüten müssen. Also braucht man Schafe. Und da Theo (alias Guido Fischer) und Bernhard (Björn Jung) bereits mit anderen Rollen beschäftigt sind, unter anderem Maria, Josef, Herodes, die drei Heiligen Könige, den Engel Gabriel und Gott höchstselbst verkörpern, ist das Publikum im Haus der Springmaus gefordert. Nicht die optimale Lösung, da Theo zuvor „wegen des pubertären Verhaltens einer kleinen Minderheit“ alle Mitspiel-Passagen gestrichen hat – aber für die „Messias“-Inszenierung der beiden Komiker, durch die immer wieder Monty Pythons „Life of Brian“ durchschimmert (und in der manchmal ganz leise ein „Palimpalim“ zu vernehmen ist), ist das eben die einzige Lösung.
Auch nach 20 Jahren kann es bei Toys2Masters noch Überraschungen geben. Mit Tilman Ringer hat am vergangenen Samstag erstmals ein Singer-Songwriter den größten Nachwuchs-Bandwettbewerb in Nordrhein-Westfalen für sich entscheiden können. Nur mit einer Gitarre, einer Loop-Maschine und einer ausdrucksstarken, warmen Stimme bewaffnet stellte sich der Einzelkämpfer im Brückenforum einer zahlenmäßigen Übermacht aus Jungrockern, Punk-Rappern und Gute-Laune-Poppern und begeisterte trotz einiger kleiner Spannungsverluste innerhalb seiner Songs sowohl Publikum als auch Fachjury (die Stimmen aus diesen beiden Lagern gingen zu je 50 Prozent in die Gesamtwertung ein).
„Manchmal regt mich auf, was mich alles aufregt – und was mich nicht aufregt, das regt mich noch viel mehr auf.“ Paradox, aber doch nachvollziehbar. Bei all diesen Skandalen in der Welt ist Protest so flüchtig geworden wie ein Spritzer Eau de Toilette im Schweinestall, Empörung flackert für ein paar Tage auf und erlischt genau so schnell wieder, wie sie gekommen ist. Auch Kabarettisten wie Tobias Mann finden sich immer wieder in dieser Falle. Im Pantheon, wo der Mainzer sein Solo-Programm „Verrückt in die Zukunft“ spielt, bekennt er sich dazu, einer von vielen zu sein, obwohl er es doch eigentlich besser weiß – und redet sich darüber in Rage.
Irgendwie ist alles mauve. Wer braucht schon andere Farben. Mauve ist laut selbsternannter Experten das neue Schwarz: Passt immer und ist in. Wer diesem homophonen Irrglauben erliegt, wird auch das Programm „Ohne Scheiß: Schoko-Eis!“ des Brachial-Komiker-Trios Eure Mütter für mauve halten. Auch wenn es inzwischen schon vier Jahre auf dem Buckel und seit 2013 einen Nachfolger hat. Egal: Im Brückenforum wühlen Andi, Don und Matze auf Einladung von wahn-witzig noch einmal ausgiebig in der Mottenkiste, zücken ihre Kalauer – und können bei allem Klamauk an manchen Stellen sogar feinen Subtext anbringen. Gar nicht mal schlecht. Wenn da nicht ein essentielles Show-Element wäre, bei dem die drei Herren regelmäßig patzen: Singen.
„Auf dieser Bühne lebt der Pumuckel“, mutmaßt Jonathan Kluth und lacht. Möglich. Zumindest eine Erklärung für die verschiedenen kleinen Missgeschicke, die dem Singer-Songwriter beim Couchrocker-Konzert in der Harmonie widerfahren – nichts dramatisches, nichts was wirklich stört, nur mal eine gerissene Gitarrensaite, ein paar den Drummer-Händen entgleitende Sticks, ein zweimaliges Köpfen des Mikrofons. Amüsante Momente, in denen offenbar wird, das längst nicht alles perfekt läuft. Was letztlich niemanden stört. Wozu auch? Ein paar Ecken und Kanten tun der Musik immerhin ganz gut, machen sie authentisch, erden sie auch mal, was gerade bei Kluths oft vertrackten, mit allerlei Loops verzierten Kompositionen seines Debütalbums „Ophelia“ gar keine schlechte Idee ist.
Eigentlich ist jedes Stück eine Herausforderung. Und zugleich so einfach. Mühelos jagt Joja Wendt über die schwarzen und weißen Tasten, spielt virtuos Fats Waller, Vladimir Horowitz oder Antonio Vivaldi; „Handful of Keys“, Carmen-Variationen, Frühlings-Presto. Alles höchst anspruchsvoll, technisch und interpretatorisch. Auch wenn es bei dem Crossover-Pianisten, der in der Bonner Oper seine aktuelle Tournee beendet und sich 2015 eine kreative Pause gönnt, bei weitem nicht so aussieht. Das ist seine Stärke, das hebt ihn von so manchem Kollegen ab: Statt letztlich banale Rocksongs mit wehendem Haupthaar und hübschen Mädels an den Seiten als das Nonplusultra der Instrumentalmusik zu verkaufen, geht Wendt den entgegengesetzten Weg und lässt selbst die schwierigsten Stücke wie eine Fingerübung aussehen, bei der man immer wieder Zeit für ein bisschen Blödsinn hat.
Ganz traditionell ein „O du Fröhliche“ am Anfang. Nur ein paar reduzierte Gitarrenklänge, darüber zwei in Harmonie verwobene Männerstimmen. Ein klassischer, braver Einstand des Gesangsduos Marshall & Alexander, das am vergangenen Sonntag zum ersten Advent in der bis auf den letzten Platz gefüllten Kreuzkirche eines ihrer beliebten Weihnachtskonzerte präsentierte. Und so wie es begann, so ging es weiter – kein Schnickschnack, keine Verzierungen, stattdessen auf das Wesentliche reduzierte, schlichte, dabei aber zum Teil fast schon zu unauffällige Klassiker, begleitet von sich ganz im Hintergrund haltenden Harmoniumklängen (Richard Whilds), virtuosen Gitarrenläufen (Klaus Jäckle) und leisen Flötentönen (Martin Schäfer). Nett. Einzeln sogar bemerkenswert.
Aufhören? Das kann Konstantin Wecker nicht. Da muss man ihn schon zwingen. In der Beethovenhalle, wo er jetzt anlässlich seiner Jubiläumstour „40 Jahre Wahnsinn“ spielte, wollte das niemand. Einen der ganz großen Liedermacher unterbricht man nicht. Man lässt ihn lieber machen. Das Ergebnis: Ein Konzert bis kurz vor Mitternacht, in dem der 67-Jährige genüsslich aus dem Vollen schöpfte. Bissige, witzige, romantische und philosophische Texte in Liedform gegossen, vertonte Poesie der Extraklasse, dazwischen Geschichten voll Reue und Stolz, Melancholie und Rebellentum. Wecker zieht Bilanz, bekennt sich zu vielen Fehlern – und findet dennoch genug Gründe, um weiter zu machen. Irgendjemand muss ja die Stimme erheben gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung, gegen Ausbeutung und Intoleranz. Und das beherrscht Wecker eben wie kein zweiter.
Die Stimmung ist gedrückt. Krieg? Den braucht doch in erster Linie der Kaiser, um in die Geschichtsbücher einzugehen. Aber nicht die vier Soldaten, die da nebeneinander auf dem Donnerbalken hocken und ihr Geschäft verrichten, während sie darüber philosophieren, wie es zu so einem riesigen bewaffneten Konflikt kommt. Eine kurze Szene, eines von mehreren Splitterfragmenten, die die Theatergruppe S.U.B.-Kultur an der Uni Bonn jetzt in einer gut einstündigen Produktion auf die Bühne bringen. Bei der Generalprobe gewährte das Ensemble bereits einen Blick auf das faszinierende Werk.
„Jetzt ein Gedicht!“ Wenn Willy Winzig nicht weiter weiß, helfen ihm immer ein paar gereimte Verse. Besser als Durchatmen. Das können andere tun. Nicht aber dieser rundliche, von einem Fettnäpfchen ins nächste stapfende Mann mit dem Kassengestell auf der Nase, dessen Mundwerk einfach nicht stillstehen kann. Und es auch nicht sollte: Wie alle Rollen des unvergessenen Heinz Erhardt lebt auch diese vom Sprachwitz-Dauerfeuer, von verbalen Pannen, Irrungen und Wirrungen. In der Komödie „Der Fußballkönig“ erweckt Thorsten Hamer den großen Komiker nun erneut zum Leben – jetzt fand im Kleinen Theater Bad Godesberg die umjubelte Premiere statt.
Ja ja, Türken haben es schwer. So ein hartes Leben. Da muss man einfach Mitleid haben. Und wenn nicht, fordert Özcan Cosar es eben ein. Der Publikumspreisträger des Prix Pantheon 2014 will in seinem Solo-Programm „Adam & Erdal – der Unzertrennliche“ aufklären, will Missverständnisse zwischen Türken und Deutschen vermindern, Spannungen abbauen, Klischees konterkarieren. Also muss offenbar dem aggressiven – Entschuldigung, temperamentvollen – Jugendlichen mit den rotzigen Ghettosprüchen der jammernde Jungkünstler entgegengestellt werden, der sich nach einem gelungenen Türkzorzismus im Namen der heiligen Angela und St. Stoiber endlich einen Kindheitstraum erfüllen und eine andere Nationalität annehmen konnte. Gut, früher wollte Cosar noch Italiener werden, auch Spanier war eine Perspektive, aber im Laufe der Zeit sind die Ansprüche gesunken. Blieb also Deutscher. Besser als nichts.
Da steht er wieder, in der für ihn typischen Pose: Auf einem Bein, das andere angewinkelt, die Querflöte vor den Lippen, wild in sein Instrument hineinblasend, die Augen weit aufgerissen. Ian Anderson, die Ikone, bis heute für viele das Gesicht von Jethro Tull. Ein Geschichtenerzähler ist er, ein Barde mit einem Hang zu komplexen, mythologisch geprägten Kompositionen, der sich auf seinem neuen Solo-Album „Homo Erraticus“ nicht weniger als 8000 Jahre britischer Historie widmet. In der Beethovenhalle stellte er diese Chronik des „umherwandernden Menschen“ nun vor – und offenbarte dabei erste Schwächen.
Vom eiszeitlichen Doggerland bis hin in eine unbekannte Zukunft zog sich der rote Faden des Konzeptalbums, das allerdings musikalisch genau diese Bandbreite vermissen ließ. Die Tull-typische Mischung aus Progressive Rock, Folk und Klassik erwies sich als austauschbar, nur rudimentär den Text oder die permanent eingeblendeten, scheinbar belanglos als Collage zusammengesetzten Videofragmente aufgreifend. Alles nur Hintergrundmusik für ein Theaterstück, aber ohne stringente Diktion.
Das Intro ist entscheidend. Die ersten Töne eines jeden Lieds bestimmen, wie das Publikum im Palladium reagiert. Ob es die nächsten Minuten gut finden wird – oder einfach großartig. Ja, man ist wegen Slash hier, dem Ausnahme-Gitarristen, dem Saiten-Zauberer, dessen Stimme in seinem Instrument liegt und der mit seiner schwarzen Lockenmähne, der großen verspiegelten Sonnenbrille und dem Zylinder sowohl Ikone als auch Karikatur des Rock-Musikers ist. Aber es ist seine Vergangenheit mit Guns 'n' Roses, die die Fans interessiert. Die Gegenwart? Ist egal. Solo-Alben und selbst die Supergroup Velvet Revolver sind Nebensache, ohnehin nur Versuche, an den Sound der Gunners anzuknüpfen. Was zählt, sind die Klassiker. Jene Songs, die das Publikum eben an besagten ersten Tönen erkennt und bei denen die Begeisterung keine Grenzen kennt. Ob das Slash nun gerecht wird oder nicht.
100 Minuten auf 180. Die Gitarren röhren, das Schlagzeug hämmert, der Bass dreht Extrarunden. Also mit Vollgas in den Hardrock. Die schwedische Band Bonafide (lateinisch für „in gutem Glauben“) hat am vergangenen Freitag in der Harmonie so richtig aufgedreht und ein herausragendes Konzert der härteren Gangart abgeliefert, das Lust auf mehr macht und den großen Vorbildern von AC/DC durchaus zur Ehre gereicht. Und auch wenn die aktuelle „Bombo“-Tour sich so langsam dem Ende neigt und das Quartett hinter der Bühne erste Ermüdungserscheinungen offenbarte, ließ es sich auf der Bonner Bühne nichts anmerken: Frischer, unverbrauchter, authentischer Bluesrock (teilweise schon die Grenze zum Metal überschreitend) sorgte für exzellente Stimmung, fliegende Haare und wippende Köpfe.
Atmosphärisch, experimentell, psychedelisch. Stampfend, rockig, wabernd, jazzig. So viele Begriffe, mit denen man die Musik von Guru Guru zumindest ansatzweise beschreiben könnte, ohne ihr wirklich gerecht zu werden. In der Harmonie haben die Krautrock-Legenden jetzt anlässlich ihres 45-jährigen Bestehens noch einmal den eigentümlichen Elektrolurch, das Markenzeichen der Band, aus dem Käfig beziehungsweise aus der Lüsterklemme gelassen und beeindruckend vielseitige und komplexe Klänge made in Germany in den Saal geschleudert.
Es ist eine feste Konstante im Pantheon-Kalender: Jedes Jahr zur Weihnachtszeit rufen Fritz Litzmann und Hermann Schwaderlappen alias Rainer Pause und Norbert Alich zu einem nicht ganz so besinnlichen Abend vor dem auf der Bühne aufgestellten Tannenbaum. Jedes Jahr ein „Potpüree“ voller Nummern aus alten Specials und regulären Duo-Programmen, wild gemischt und mit ein paar wenigen neuen Texten versehen, um zumindest den Anschein zu erwecken, dass es sich hierbei nicht um ein kabarettistisches Äquivalent eines in seiner Tradition erstarrten Hochamtes handelt. Jedes Jahr die selbe Leier, der selbe Ablauf, das ewige Hineinspringen in alle nur möglichen Fettnäpfchen mit einer Mischung aus Satire, Groteske und Polemik in gutem wie in schlechtem Sinne.
Es klingt vielleicht ein bisschen unfair und paradox, aber manchen Musikern wünscht man förmlich, dass es ihnen nicht ganz so gut geht. Dass sie den Blues haben. Und dadurch gut werden. Mike Zito und Samantha Fish gehören in diese Kategorie: Der Ex-Gitarrist der Royal Southern Brotherhood (Anfang Oktober nahm er seinen Abschied von der Band, um sich auf seine Solo-Karriere zu konzentrieren) und sein Schützling waren jetzt in der Harmonie zu Gast und zeigten sich in blendender Form – zumindest so lange sie sich den berühmt-berüchtigten Zwölftaktern widmeten. Was sie leider nicht immer taten.
Was macht einen Psychopathen aus? Wie tickt ein Mensch, der kaltblütig andere tötet und dabei keine Reue empfindet? Und sind wir nicht alle ein bisschen psychopathisch? Lydia Benecke kennt die Antworten. Die Kriminalpsychologin hat permanent mit gestörten Straftätern zu tun – im gut gefüllten Pantheon sprach sie nun über ihre Erfahrungen, skizzierte die Charakteristika von Narzisten, Soziopathen und Borderlinern und stellte Fallbeispiele vor. Ein spannender Abstieg in das Zentrum des Bösen.
Einmal kurz nicht drauf geachtet und sich zu sehr auf die Leinwand fokussiert, schon waren sie weg: Über 100 Musiker, einfach ausgeblendet. Normalerweise eine Katastrophe, in diesem speziellen Fall allerdings das größtmögliche Lob. Immerhin gelang es dem parallel zum Film „Matrix“ spielenden Beethovenorchester unter der Leitung von Frank Strobel damit, genau jene Spannung zu erzeugen und zu halten, die für den mit vier Oscars prämierten Science-Fiction-Blockbuster maßgeblich ist, ohne sich dabei zu sehr in den Vordergrund zu drängen und die Handlung zu überdecken. Während der Film in Originalsprache (mit deutschen Untertiteln) auf einer riesigen in der Beethovenhalle aufgehängten Leinwand zu sehen war, sorgte der Klangkörper für die musikalische Untermalung – und lieferte eine Meisterleistung ab.
Antik ist höchstens der Name: Die Jazzrock-Formation „Colosseum“ mag zwar schon ein paar Jährchen auf dem Buckel haben, zum alten Eisen muss sie sich aber noch nicht zählen lassen. Ganz im Gegenteil: Auf Einladung der Harmonie Bonn ist die Kultband jetzt ins Brückenforum gekommen und wischte mit einem Konzert der Superlative fast alle Sorgen hinweg, die Fans im Vorfeld gehabt haben mögen. „Wir können noch“, so die Botschaft. Und ob sie können...
Alle sind sie gekommen: Die ach so beliebten A-, B- und C-Promis, Politiker, Schauspieler, Musiker und Moderatoren des deutschen Fernsehens. Und sie sind für jeden Quatsch zu haben. Eigentlich die besten Voraussetzungen für eine Erfolgsgeschichte, selbst „Wetten dass“ konnte davon in seinen besten Zeiten nur träumen. Und doch gelingt es all diesen großen Namen einfach nicht, Jörg Knörs neues Programm „Vip Vip Hurra“ mit Leben zu füllen. Oder mit Witz. Im Haus der Springmaus scheiterte der Promiflüsterer immer wieder a viel zu flachen Pointen, die ohne großen Spannungsbogen beliebig und belanglos wirkten, dem Potenzial des inzwischen nicht nur ergrauten, sondern anscheinend auch erkalteten Parodisten einfach nicht gerecht werdend. Feuer, Leidenschaft, Explosivität? Fehlanzeige. Schade.
Minutenlang jagen Soli durch den Raum, alle Metren bedienend, die nur irgendwie denkbar sind, vollgestopft mit psychedelischen Klängen, rockenden Passagen und Jazz-Elementen. Komplex, anstrengend, faszinierend. Eben Frank Zappa. Die Tribute-Band The Grandsheiks haben diesem stilprägenden „Father of Invention“ nun bei ihrem Konzert in der Harmonie einmal mehr ein Denkmal errichtet – und dabei zugleich eigene Akzente gesetzt, die sich nahtlos in die durchkomponierten Stücke des Rock-Dadaisten und Satirikers einfügen. Eine Meisterleistung.
Eine Frau unter sieben Männern – eine derartige Situation kann durchaus ein Quell absurder, komischer Geschichten sein. Vor allem wenn es sich um den Haushalt von Margie Kinsky handelt, einer der Gründerinnen des Springmaus-Theaters, Mütter von sechs Söhnen, Ehefrau von ihrem „Holzfäller“ Bill Mockridge („Sechs Richtige und ein Hauptgewinn“) und gebürtige Italienerin mit entsprechendem Temperament. Nun feierte ihr zweites Solo-Programm „Ich bin so wild nach deinem Erdbeerpudding“ in Bonn – natürlich im Haus der Springmaus – eine vom Publikum umjubelte Premiere, gefüllt mit Anekdoten, Wünschen und Geschichten aus einem scheinbar äußerst chaotischen und zugleich sehr humorvollen Leben.
Die Haare fliegen. Mal wieder. Rauf, runter, im Kreis. Headbanging scheint ein Hobby von Layla Zoe zu sein – doch fordert die Musik der Kanadierin es an manchen Stellen auch einfach ein. Wenn die Gitarre von Jan Laacks krachende Akkorde heraushaut und der Blues mit dem Rock Pogo tanzt, müssen eben auch Köpfe im Takt wippen. So wie jetzt in der Harmonie, wo das „Firegirl“ ihr neues, von Hendrik Freischlader produziertes Album „The Lily“ vorstellt, sich aber live deutlich stärker präsentiert als auf der eher glattgebügelten Aufnahme. Und damit sehr gut ankommt.
Wenn man die Augen schließt, ist kein Unterschied mehr festzustellen: Ist es wirklich Dominique Horwitz, der da gerade den Text von „Je suis un soir d'été“ herauspresst, oder ist es doch der wiederauferstandene Jacques Brel? Gut, letzterer mag das Lied vielleicht noch etwas wärmer und weicher dargeboten haben, mag etwas größere Bögen geschlagen und als Autor der Zeilen noch ein Stück gefühlvoller gesungen haben – aber das sind Marginalien. Für nahezu alle Besucher der Bonner Oper, in der Horwitz zum letzten Mal seinen Chanson-Abend präsentiert, ist der deutsch-französische Schauspieler die Reinkarnation des belgischen Chansonniers. Was sowohl Stärke als auch Schwäche des Programms ist.
Ein strahlendes Lächeln, ein „da bin ich wieder“ nach drei Jahren Auszeit – und alles ist wieder gut. Mehr braucht es nicht, um bei den Besuchern in der ausverkauften Kölner Philharmonie wohlige Schauer zu erzeugen, Zuneigung für diesen ergrauten „komischen Vogel dem schwarzem Gefieder“, der ganz alleine in der Saalmitte steht, von Alltagsdingen, Freunden, Rüpelrappern und vor allem von sich selbst singt und mit seiner unvergleichlichen Lyrik immer wieder einen Nerv trifft. Weil er so vieles in sich vereint: Geschichtenerzähler, Märchenonkel, Spielmann, Gaukler, Traumtänzer. Eben Reinhard Mey.
Ein singender Sportreporter. Darauf hat die Welt nur gewartet. Derart ironisch haben viele auf die Ankündigung reagiert, dass Reinhold Beckmann im März seine erste CD „bei allem sowieso vielleicht“ veröffentlicht hat und derzeit auf großer Tournee ist. Am vergangenen Sonntag trat er in der Harmonie Bonn auf – und auch wenn diese Kritik sich eindeutig von jenen Fünf-Sterne-Rezensionen beim Online-Händler Amazon distanzieren will, die durch ihre Konformität und übertriebene Lobhudelei unter dem peinlichen Verdacht stehen, gekauft worden zu sein, trifft eine zentrale Aussage tatsächlich zu: Beckmann sorgte für eine positive Überraschung. Denn dank einer exzellenten Band erschuf die abwechslungsreiche, unverkrampft dahinplätschernde Musik immer wieder kleine Aha-Momente.
Bauchredner können im Alltag jede Menge Spaß haben. Wenn ungeborene Babys im Mutterleib auf einmal eine Stimme erhalten, leise Rufe aus einem Altkleidercontainer schallen oder in einem Paket eine Papageienstimme erklingt, könnte das zwar durchaus Grund zur Sorge geben, dürfte aber eher ein Ulk eines solchen Stimmkünstlers sein. Wahrscheinlich steckt sogar Benjamin Tomkins dahinter: Der gebürtige Österreicher hat erst vor vier Jahren sein Talent für die Ventriloquistik entdeckt, gibt aber bereits fleißig Tipps für die Nutzung dieser Technik abseits der üblichen Puppenspiel-Kultur. Das hat Charme und sicherte Tomkins den Online-Preis des diesjährigen Prix Pantheon. Jetzt war er wieder in Bonn und ließ die Puppen tanzen.
Die Welt ist eine Kloake. Ein riesiger Abort, verstopft mit zahllosen vergeblichen Sehnsüchten, zerbrochenen Hoffnungen, unerwiderten Begehrlichkeiten, aber auch mit Eitelkeit und Missgunst. All das bricht aus dem Inneren der Menschen hervor, wird ausgekackt, ohne einen weiteren Blick in die Muschel gepresst und hinuntergespült. Bis dann die Jauche übersprudelt. Und Mariedl mit blanker Hand in der dunklen, ekligen Brühe nach der Ursache sucht. Sie, eine der drei Hauptfiguren in Werner Schwabs Groteske „Die Präsidentinnen“, wühlt mit messianischem Eifer so lange in dem ihr heiligen Stuhl, bis sie auch den am tiefsten sitzenden Dreck wieder an die Oberfläche ziehen kann. Selbst wenn sie dafür letztlich den Preis zahlen muss.
Er ist schuldig! Schuldig! Dieser Schuft! Da sind sich Sergeant Hastings (Hanno Dinger) und zunehmend auch sein Vorgesetzter, Chief Inspector John Parker (Karlheinz Lemken), sicher. Rechtsanwalt Adam Barklay (Rudi Knaus) soll, so die Handlung des nun im Kleinen Theater Bad Godesberg Premiere feiernden Kriminalstücks „Das Verhör“, zwei kleine Mädchen vergewaltigt und ermordet haben – alle Indizien weisen darauf hin, auch wenn konkrete Beweise fehlen. Dennoch, schuldig ist er, keine Frage, selbst Barklays Frau Lilian (Anna Bergman) ist davon überzeugt. Beweise? Ein Geständnis reicht. Also gehen die beiden Polizisten ihren Verdächtigen hart an, setzen ihn unter Druck, zerlegen seine Aussagen, decken Lügen über Lügen auf und ziehen so die Schlinge immer enger. Weil es eben keinen anderen gibt, der als Täter in Frage kommen könnte. Oder?
Links, da ist der Ekeltrakt. Der eingekaufte Pöbel, die nur dazu da ist, die Beethovenhalle zu füllen und an den richtigen Stellen über Kurt Krömers Sprüche zu johlen. Links, dahin kann man spucken, wenn einem schlecht oder langweilig wird. Sagt zumindest der Moderator des Abends und demonstriert gleich einmal, das selbst dieses Zeichen der Erniedrigung bejubelt wird, von der geifernden Menge im Rest des Saals ebenso wie von den Bespuckten. Auf Wiedersehen, Würde und Geschmack. Willkommen bei Kurt Krömers „Abschieds“-Show.
„Wir geh'n ab“, hallt es aus dem Kirchenschiff. Stimmt: 600 begeisterte Gäste jubeln, tanzen, klatschen und springen im Takt der Jazzkantine, die im Rahmen der 6. Soul-Preacher-Nacht und zum Abschluss der zweiten kabarettistischen Glaubenswoche auf ihrer Jubiläumstour auch in der Pauluskirche auftritt und das Gotteshaus für zwei Stunden in einen von Euphorie durchfluteten Club verwandelt.
Was ist das Böse? Diese Frage wird Ferdinand von Schirach immer wieder gestellt. Er muss doch eine Antwort haben, er, der schon alles gesehen hat: Abgetrennte Köpfe, Blutlachen, Vergewaltigungsopfer, Menschen am und im Abgrund. Doch der Strafverteidiger und Autor, der im Rahmen von „Quatsch keine Oper“ in Bonn vor rund 650 Zuhörern aus seinen Büchern vorlas und über die Inhalte philosophierte, verweigerte sich einer einfachen Replik. „'Das Böse' ist ein schnell gefälltes Urteil. Doch in der Strafjustiz spielt das keine Rolle. Dort geht es um Schuld und Unschuld, nicht um Gut und Böse“, sagte er. Um Beweise. Fakten. Tatsachen.
Hauptsache Bombast. Wenn es blitzt und donnert, Funkenfontänen Feuer spucken, die Windmaschine das blonde Haar zerwuschelt und sich attraktive Tänzerinnen auf der Bühne räkeln, fühlt David Garrett sich wohl. In der Lanxess Arena hat der Pop-Geiger nun im Rahmen seiner neuen Classic-Revolution-Tour Station gemacht und mit diesen Show-Elementen darüber hinwegzutäuschen versucht, dass die musikalische Substanz in etwa so dünn ist wie das Lametta, das bei Coldplays „Paradise“ tonnenweise in die Luft geschossen wird. Sieht schön aus, sorgt für ein paar Aha-Momente – und kommt dann in den Restmüll.
Der große Star ist ohne Zweifel Emma: Die Augen klimpern und leuchten, die Stimme trötet und seufzt, der Schornstein spuckt Rauch. Das alte Dampfross ist ein fantastisches Stück Bühnenkunst, das schon bei der Preview von Michael Endes „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ im Jungen Theater Bonn bei Kindern und Erwachsenen gleichermaßen für Begeisterung sorgt und die Schauspieler in manchen Szenen in die zweite Reihe drängt. Dabei haben die das nicht verdient: Das siebenköpfige Ensemble macht seine Sache gut, singt, albert und spielt mit sichtlicher Freude herum und bringt so die Geschichte um den cleveren Jungen Jim Knopf (Ferdi Özten) und seinen väterlichen Freund Lukas (Christian Steinborn) kindgerecht auf die fantastische, aus überdimensionalen Bauklötzen gebaute Bühne.
Kreativität, Ausstrahlung und Einzigartigkeit: Ohne diese drei Eigenschaften ist Erfolg im Musikgeschäft zwar durchaus möglich, wie so viele Retorten-Künstler ein ums andere Mal beweisen, für wahre Größe sind sie aber unabdingbar. Am dritten Tag des aktuellen Crossroads-Festivals in der Harmonie zeigte sich dies eindrucksvoll am Kontrast der beiden auftretenden Bands. Hier die bei vielen Kritikern beliebten Folk-Punker The Smith Street Band mit Songs und Auftritt nach Schema F, dort das sympathische Künstlerkollektiv We Invented Paris mit ausgefeilten Melodien, Publikumsnähe und jeder Menge Luftballons. Zwei völlig unterschiedliche Gruppen, die beide derzeit auf dem Weg nach oben sind. Auch wenn nur eine es wirklich verdient hat.
Nachdem der erste Tag des aktuellen Crossroads-Festivals in der Harmonie vor allem von Thin-Lizzy-Imitationen beherrscht wurde, zeigte sich der zweite weitaus abwechslungsreicher, komplexer, spannender. Und gegensätzlicher: Auf der einen Seite ein niederländischer Singer-Songwriter mit Hang zu ausgefeilten, vielschichtigen Klangkonstrukten, auf der anderen ein Quartett aufstrebender Gute-Laune-Rocker mit mindestens einem Megawatt Energie. Spaß machten beide. Wenn auch auf ganz unterschiedliche Art und Weise.
Haare fliegen, Köpfe wippen, Hände zeigen Metal-Zeichen: Der erste Tag des aktuellen Crossroads-Festivals in der Harmonie begeistert vor allem Fans der härteren Gangart, die nichts gegen einen ordentlichen Schuss Retro-Rock einzuwenden haben. Der Geist von Thin Lizzy schwebt über der Menge – natürlich auch der von AC/DC, aber der ist ohnehin bei nahezu jeder Band, die es krachen lassen will, omnipräsent. Dazu noch eine Blues-Note a la Led Zeppelin, fertig ist eine Mischung, die zumindest in den beiden aufspielenden Inkarnationen bei Rock-Liebhabern und Kritikern gleichermaßen für Begeisterung sorgt.
Das erste Mal griff er wegen eines Mädchens zur Gitarre. Das Herz habe sie ihm gebrochen, die Summe der schmerzenden Teile größer als der Lebensmuskel, weil diese Liebe zweier 19-Jähriger, die
nicht logisch, auch nicht biologisch, sondern mythologisch erschien, letztlich wie einst der Urkontinent Pangäa zerbrach. Immer größer wurde die Distanz zwischen ihnen, der sie trennende Fluss
ein See, ein Meer, ein Ozean. Und dennoch rief Asaf Avidan, der Israeli mit dieser einzigartigen, charismatischen Heliumstimme in die Ferne, versuchte sich mitzuteilen, eine Brücke ans andere
Ufer zu schlagen. Im Kölner Gloria, während seines Solo-Konzerts, funktioniert dies wohl besser als damals. Die Botschaft kommt an. Und verursacht Gänsehaut.
Das ist mal ein Gebräu mit Aufputschwirkung! Von wegen Kaffee oder Red Bull: Gegen einen Auftritt von The Brew wirken diese Getränke wie beruhigender Baldrian. In der Harmonie hat das Trio um den „Jumping Jack Flash“ Jason Barwick nun einmal mehr unter Beweist gestellt, wie viel Energie es freizusetzen vermag, wie viel Kraft und wie viel Begeisterung.
Der wahrscheinlich aufregendste UK-Live-Export im Bluesrock der letzten Jahrzehnte gab gleich von der ersten Sekunde an Vollgas, auch wenn die Titel zunächst eher an die Bedienungsanleitung eines CD-Spielers erinnerten. „Repeat“, „Mute“, „Pause“, „Skip“ – alles letztlich irreführend. Denn stumm, pausierend oder irgendetwas auslassend sind The Brew definitiv nicht.
Stattdessen müssen andere Attribute herangezogen werden, um die Band zu beschreiben. Laut. Druckvoll. Exzessiv. Einfach fantastisch.
Irgendwas mit Medien? Das klingt vielleicht am Anfang ganz gut, kann aber schnell die Hölle werden. Missgünstige Kollegen, arrogante Chefinnen, banale Nachrichten: Elmar Stelzwedel hat all das erlebt. Und ist daran zerbrochen. Weil der Anchorman einmal menschlich sein wollte und statt eines belanglosen Kommentars über Daniel Bahr vor laufender Kamera seine Freundin gebeten hat, zu ihm zurückzukehren. Doch statt Moni kam die Kündigung. Und jetzt? Droht als einziger beruflicher Ausweg ein Job als menschliche Pommes. Der Horror – zumal Stelzwedel selbst seine Träume verloren hat, in denen inzwischen ein Strapse tragender Osama bin Laden auf den Tischen tanzt und über die übertriebene Individualisierung des Westens redet.
Er ist ein maximalpigmentierter Medizinmann mit einer wichtigen Mission: Die Albinoäffchen zum Lachen zu bringen, sie locker zu machen und ihnen den Umgang mit Fremden zu erleichtern. Ein hehres Ziel, dass Dave Davis als Motombo Umbokko in seinem neuen Programm „Afrodisiaka“ verfolgt. Dabei ist ihm jedes Mittel recht. Alles, was das Zwerchfell anregt, ist heilsam, so seine Devise. Politik-Schelte, Kalauer, Dialekte, Hitler-Parodien, Welt-Erklärungsversuche? Rein in den Kessel. Doch bei der Premiere im Pantheon verrührt er all diese Zutaten zu einem zähen Brei mit undefinierbarem Geschmack, der zwar beim Publikum punktuell durchaus Wirkung zeigt, auf Dauer aber ungefähr so anregend ist wie eine Tüten-Suppe.
Es ist ein klassisches Bühnenpaar: Der misanthropische alte Griesgram und das lebenslustige Plappermaul, zwei Gegenpole, die sich gerade deswegen anziehen. In Peter Limburgs Komödie „Möwe und Mozart“, die jetzt ihre Premiere im Bonner Contra-Kreis-Theater feierte, entwickelt sich auf diese Weise eine Liebesbeziehung in der Großeltern-Generation: Die spritzige Sofia (Hilde Keller) trifft nicht so ganz zufällig auf den mürrischen Ex-Komponisten Herbert (Walter Gontermann), um diesen auf Bitten seines Neffen Carl (Daniel Buder) wieder ins Leben zu integrieren. Beharrlich kontert sie die Abwehrbemühungen des Grantlers, entmurrt und entgriest ihn, zeigt ihm, dass Liebe mehr ist als nur ein Wort und die Welt mehr zu bieten hat als eine Parkbank. Doch so manches düstere Geheimnis von „Möwe“ Sofia und „Mozart“ Herbert sorgt im Laufe der Handlung immer wieder für Überraschungen.
Deutschland und die Schweiz: Zwei völlig verschiedene Kulturkreise. Sagt zumindest Michael Elsener, der das Verständnis zwischen Bundesbürgern und Eidgenossen verbessern will und beim diesjährigen Wettkampf des Prix Pantheon mit einem starken 15-Minuten-Auftritt begeisterte. Nun war der Schweizer Krauskopf mit seinem Solo-Programm „Schlaraffenland“ im Pantheon Casino – und offenbarte dabei überraschenderweise einige Schwächen. Vor allem – Vorsicht, Klischee! – dank einer gewissen Gemütlichkeit.
Frauenstimmen in verschiedenen Ausprägungen des Metal sind mittlerweile nichts besonderes mehr. Bands wie Nightwish füllen mit ihren opulenten, sphärisch angehauchten Klängen riesige Hallen, die Kombination von harten und schnellen Gitarrenriffs mit klassischem weiblichen Leadgesang ist radiotauglich geworden. In den 90er Jahren sah dies aber zunächst anders aus – bis Damen wie Anneke van Giersbergen (The Gathering), Kari Rueslåtten (The 3rd and the Mortal) und Liv Kristine Espenæs Krull (Theatre of Tragedy) die Bühne betraten. Nun haben sich diese drei außergewöhnlichen Sängerinnen zusammengeschlossen und in der Harmonie ihr allererstes Konzert als The Sirens gegeben. Mit Erfolg.
Ja ja, Mütter haben's schwer. Kinder, Haushalt, bequemer Ehemann – gar nicht so einfach, das alles in Schuss und in Bewegung zu halten. Kein Wunder also, dass gefühlte 90 Prozent der weiblichen Comedians sich dieser Themen mal mehr, mal weniger unterhaltsam annehmen. Kennt man ohnehin oft aus eigener Erfahrung zu Genüge, da kann man es genau so gut überspitzt auf die Bühne bringen. So dürfte auch Lisa Feller gedacht haben, die jetzt mit ihrem Programm „Der Teufel trägt Pampers“ im Pantheon zu Gast war – und mit ihrer spritzigen, teilweise selbstironischen Art von der ersten Sekunde an überzeugte. Selbst jene Gags, die das letzte Mal vor 30 Jahren gewickelt wurden, zünden dank gutem Timing und einer prächtigen Mimik und Gestik.
Erst schießen, dann hinterfragen: Reflexartig nimmt der Kabarettist Max Uthoff bei der Premiere seines neuen Programms „Gegendarstellung“ im Bonner Pantheon alles ins Visier, was in Politik und Wirtschaft gerade so laufen kann, drückt ab und zieht in seinem Kreuzzug weiter. Dauerfeuer auf Schießbudenfiguren. Querschläger nicht ausgeschlossen. Merkel, Schäuble, Gabriel sowie sämtliche Untergebenen des CSU-Silberrückens Horst Seehofer werden gnadenlos mit einem Pointenhagel eingedeckt, Grüne und AfD ebenso. Alles Feinde! Gute Politiker? Scheint es im Uthoffschen Weltbild ebenso zu geben wie einen freien Markt, jene Fata Morgana des Kapitalismus, auf der ein Luftschloss nach dem anderen errichtet wird.
Die Ratten zu Beginn sind unsichtbar. Die braune Leichenflut, die dem Schwarzen Tod vorangeht, die ersten Anzeichen der die algerische Stadt Oran heimsuchenden Epidemie, sieht das in einem Stuhlkreis sitzende Publikum im Theater im Ballsaal lediglich durch die Augen des Erzählers und Darstellers Andreas Meidinger, der alle Protagonisten verkörpert, das personifizierte Opfer und zugleich ein Überlebender. Er ist es, der von den toten Nagern erzählt, ihm als Chronisten der nun folgenden kriegsähnlichen Zustände gilt es zu glauben. Selbst wahrnehmen kann man zunächst ohnehin nichts, das Licht ist aus, erst nach und nach erhellen zahlreiche alte Hängelampen notdürftig den Raum. Im Laufe des Stücks werden sie sich senken, werden fallen so wie die Hoffnung der Betroffenen. Eine interessante Idee. Wenn auch leider, wie so einige andere Aspekte, nicht konsequent zu Ende gedacht.
„Uwe, Uwe, Uwe“, skandiert die völlig aufgekratzte Menge. Jetzt ist also der Roadie dran. Tausende fordern das erneute Erscheinen des Mannes, der gerade eben Roger Ciceros Gitarre auf die Bühne der Lanxess Arena getragen hat. Für einen Moment steht er im Rampenlicht, nicht der croonende Swing-Singer, der die riesige Halle mit seinen Stücken in ein gemütliches Wohnzimmer verwandelt hat, in dem letztlich Narrenfreiheit herrscht. Lautstarke Zwischenrufe inklusive, die leider aus manchen Ecken der halbleeren Ränge mit der Zeit überhand nehmen und eine köstliche Kollektiv-Idee nach und nach in ein Ärgernis verwandelt.
„Ich will aus meinem eigenen Trend ausbrechen“, hat Lady Gaga erst vor wenigen Tagen in einem Interview gesagt. Rebellieren gegen sich selbst, gegen die Kunstfigur, das Marketing-Konstrukt. Deshalb auch das Jazz-Album „Cheek to Cheek“ mit Tony Bennett. Einfach mal old school sein. Ein nachvollziehbarer Wunsch, ist die New Yorker Sängerin doch tatsächlich vor allem durch ihre Performances und spektakulären, oftmals skurrilen Kostüme bekannt. Doch so ganz scheint sie sich nicht von ihrem früheren Ich verabschieden zu können: In der erstaunlicherweise nicht bis auf den letzten Platz gefüllten Lanxess Arena war die meiste Zeit über new school angesagt, eine wilde Mischung aus Rave, Pop und Rock, genau das also, was die treuen Fans, von Gaga liebevoll „Monster“ genannt, hören und sehen wollen. Eine Show, die nicht von dieser Welt war – die aber leider dank eines unterirdischen Sounds, viel zu laut und übersteuert, nur bedingt zu genießen war.
Wenn die Rede von einem Treffen dreier exzellenter Trompeter ist, denken Jazz-Fans am ehesten an das 1980er Album von Dizzy Gillespie, Clark Terry und Freddie Hubbard, die sich, unterstützt von einem von Oscar Peterson geführten Quartett, gegenseitig die Bälle zuwarfen, hervorragend harmonierten und doch ihren eigenen Sound beibehielten. In der „Jazz in Concert“-Reihe hat Organisator Thomas Kimmerle nun versucht, diese doch eher ungewöhnliche Band-Konstellation nachzubauen – und schuf so die Grundlage für einen fantastischen Abend.
Ob Jurys, Kritiker oder Deutscher Musikrat: Alle überschlagen sich in ihrer Begeisterung für den Bonner Jazzchor. Das Ensemble zählt elf Jahre nach seiner Gründung zu den besten a-capella-Ensembles in Deutschland, räumt regelmäßig bei Wettbewerben ab und punktet sogar im Ausland: Bei den prestigeträchtigen Contemporary A Cappella Recording Awards (CARA) hat es in diesem Jahr mit ihrer Version von „Kein schöner Land“ in der Kategorie „Best World/Folk-Song“ den zweiten Platz hinter den Swingle Singers belegt. Für einen Laienchor eine herausragende Leistung. Dementsprechend hoch liegt auch die Messlatte – doch ausgerechnet im Pantheon, ihrem inoffiziellen zweiten Wohnzimmer, hat der Jazzchor an diesem Wochenende mit den hohen Erwartungen mächtig zu kämpfen gehabt.
Kennste? Ja! Kenn ick. Beziehung schön, Freundin intellektuell eingeschränkt, kaputt ist auch irgendwas, in diesem Fall sogar sowohl Auto als auch Spülmaschine: Bei den Programmen von Mario Barth ändertn sich zwar der Titel (derzeit „Männer sind schuld, sagen die Frauen“), der Inhalt aber so gut wie nicht. Dennoch zieht der polarisierende Brachialkomiker die Menschen in Massen an, im Juni gelang es ihm sogar, innerhalb von zwei Tagen 116.498 Zuschauer ins Berliner Olympia-Stadion zu locken. Weltrekord. Unglaublich. Aber wahr.
Mit ehrbaren Zielen in einer Mischung aus Kultur und wissenschaftlichem Diskurs hat das Theater Bonn am Wochenende zu dem theatralen Kongress „Save the World“ geladen. Offiziell zum Abschluss des Beethovenfests (reell davon aber vollkommen losgelöst) tummelten sich Umweltschützer, Klimafeen, Forscher, Schauspieler und die Heldin Superchristina zwischen Königsdramen und Zombie-Apokalypse, zwischen dem „Paradies der Zukunft“ und den letzten Tagen der Menschheit (beschrieben in einer 24-Stunden-Lesung des gleichnamigen Romans von Karl Kraus). Performances, Aufführungen und Konzerte, unterhaltsam und lehrreich zugleich: Ein bemerkenswertes Projekt, das aber durchaus noch mehr Besucher hätte gebrauchen können.
Sechs Herrscher in ebenso vielen Stunden, eine Tour de Force durch die englische Geschichte und Shakespeares Königsdramen: Das Theater Bonn hatte sich gleich zu Beginn der neuen Spielzeit viel vorgenommen. Eine Reduktion auf die einzelnen Monarchen und ihren Tanz zwischen Zwängen und Streben, zwischen Wahn und Wunsch wollten Regisseurin Alice Buddeberg und Dramaturg Lothar Kittstein schaffen, ein Kondensat der Historien des Barden von Avon. Nun hat in der Halle Beuel der erste Teil dieses aus Krankheitsgründen geteilten Schauspiel-Marathons seine Premiere gefeiert – und mehr für Irritationen als für uneingeschränkte Begeisterung gesorgt.
Es ist der Versuch, mit Opulenz zu überzeugen: Das Norwegian Arctic Philharmonic Orchestra (NAPO), der nördlichste Klangkörper der Welt, hat in der nur zu einem Drittel gefüllten Beethovenhalle auf musikalische Wucht gesetzt, auf romantischen Pathos und auf eine sprechende, bildhafte Tonsprache. An sich ein reizvoller Ansatz. Zumindest so lange die Musik etwas zu sagen hat. Doch ausgerechnet das Werk des NAPO-Dirigenten und Posaunisten Christian Lindberg, eine musikalische Erzählung namens „Kundraan and the Arctic Light“, gerät zu einem Hort der Peinlichkeit, einem Antiklimax kompositorischen Schaffens auf Basis einer Geschichte, gegen die die gesammelten John-Sinclair-Romane wie das Œuvre eines Literaturnobelpreisträgers wirken.
Trio, Label, Album, Gaststars: Alles neu. Für Marialy Pacheco hat sich einiges geändert, seit sie 2013 der Liebe wegen Australien verlassen und zurück nach Deutschland gekommen ist. Daher jetzt auch eine „Introducing“-Tour, auf der die kubanische Jazzpianistin ihre gleichnamige CD, ihre Mitmusiker und vor allem sich selbst vorstellt beziehungsweise in Erinnerung ruft. Im Rahmen des Beethovenfests ist die 31-Jährige nun in die Harmonie Bonn gekommen – und legt sogleich furios los.