Leicht reizbar, machtversessen und völlig unvorhersehbar: Recep Tayyip Erdoğan und Donald Trump haben einiges gemeinsam. Doch ein Schmähgedicht ist nur einem von beiden gewidmet worden. Bis jetzt. Denn diese Chance kann sich Mathias Tretter in seinem Jahresrückblick im Haus der Springmaus nicht entgehen lassen. Einmal schneller sein als Jan Böhmermann und mit etwas Glück die gleiche Aufmerksamkeit genießen wie dieser. Immerhin haben nur wenige Themen Deutschland in den vergangenen zwölf Monaten mehr bewegt als diese dahingerotzten Zeilen, die zwar gut gemeint, aber eben nicht gut gemacht waren. Auf dieses Niveau kann auch Tretter sinken. Und hoffen.
Sonderlich viel hat man ja nicht gewusst von dieser Terra Incognita jenseits des gewaltigen Stroms, dieser Ostzone des Rheinlands, die noch ein wenig näher am Kreml dran ist und damit schon einmal per se kritisch zu betrachten ist. Doch selbst Fritz Litzmann (Rainer Pause) und Hermann Schwaderlappen (Norbert Alich) müssen zugestehen, dass die Sonnenseite namens Beuel weitaus schöner ist als wie man meint – und vor allem weitaus närrischer. In die Schar der Möhnen und Wäscherprinzessinnen passt das Ensemble des Pink Punk Pantheon zumindest perfekt hinein, wie es beim Auftakt zur 34. Session in der neuen Spielstätte unter Beweis stellt. Und das nicht nur wegen der spielfreudigen Waschweiber-Combo.
Fremd wirkt eigentlich nur die Sprache. Ga heißt sie, eine von rund 70 Idiomen aus Ghana mit weichem, melodischem Klang – ideal für den balladenhaften Gesang Adjiri Odameteys, der im Rahmen des Beethovenfests durch die Harmonie wabert. Der 52-jährige Multiinstrumentalist hat dort die ihm eigene Mischung aus afrikanischer und europäischer Musik präsentiert, die trotz des Einsatzes von Kalimba, Balafon und Kora die Prägung durch westlichen Pop nicht verhehlen kann. Was per se nicht schlecht ist; nur auffällig.
Am Anfang war das Staunen. Über 400 Besucher hat Ryan McGarvey gleich bei seinem ersten Besuch in der Harmonie angelockt – Tourrekord für den 28-Jährigen, der gerne in einem Atemzug mit Joe Bonamassa genannt wird und der in der vergangenen Dekade eine Bluesgitarren-Auszeichnung nach der nächsten erhalten hat. Und ja, kein Zweifel, McGarvey ist ein Meister der Saiten, technisch brillant, virtuos und dynamisch, mit explosiven Soli, die aus wabernden Balladen erwachsen. Ein frischer Wind im Bluesrock, dessen rasanter Aufstieg ein wenig an Jonny Lang erinnert. Die Stimmung ist gut, das Publikum begeistert – es könnte also eigentlich alles gut sein. Wenn denn McGarveys Atem lang genug ist.
Verkehrte Welt: Ausgerechnet das stärkste, leidenschaftlichste, energiegeladendste Konzert der bisherigen KunstRasen-Saison weist die geringsten Besucherzahlen auf. Nur etwa 600 Fans waren zu Folk-Punker Frank Turner gekommen, dessen Auftritt durch die Veranstalter kurzfristig ins Brückenforum verlegt worden war. Eine nicht ganz unumstrittene Entscheidung, die aber angesichts der phänomenalen Stimmung im Saal letztlich nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Aus Sicht des Publikums hätte der Tag nicht besser sein können: Herrliches Wetter über und Partymusik auf dem KunstRasen, erst Synthi-Klänge der Steaming Satellites, dann wilder Rock von Madsen und schließlich Fußballgesänge von den Sportfreunden Stiller. Gut 3500 Menschen feiern ausgelassen, haben Spaß am Springen und Tanzen, schmettern begeistert einen Ohrwurm nach dem anderen mit. Irgendwas müssen die Bands wohl richtig gemacht haben. Auch wenn man sich angesichts so mancher Elemente aus dem Rockbaukasten für Anfänger, des teils unterirdischen Gesangs und der platten Liedttexte durchaus fragt, was das nur gewesen sein könnte.
In gewisser Weise ist ein Konzert fast immer auch eine Zeitreise. Mal geht es nur ein paar Tage oder Wochen zurück, dann wieder zum ersten Kuss, in die Kindheit oder aber in Epochen, in denen man noch nicht geboren war. Doch sowohl hinsichtlich der zu überbrückenden Jahrhunderte als mit Blick auf die Einblicke in eine andere Kultur war der Auftritt des Ensemble Sanstierce in der gut gefüllten Brotfabrik am vergangenen Mittwoch etwas ganz besonderes: Die Sängerin oder besser Trobairitz Maria Jonas, der Kniegeigenvirtuose Bassem Hawar sowie der Flötist und Lautenspieler Dominik Schneider führten das Publikum in die mittelalterliche Welt auf der iberischen Halbinsel.
Natürlich brannte am Ende die Hütte. Und die Schule. Wenn Extrabreit auf der Bühne stehen, geht es kaum anders. Die Punk-'n'-Roll-Band, die Anfang der 80er Jahre von der Neuen Deutschen Welle getragen mit Hits wie „Flieger, grüß mir die Sonne“ berühmt wurde, hat bis heute nichts verlernt und versteht es immer noch, dem Publikum mit krachendem Rocksound ordentlich einzuheizen. In der Harmonie haben es die Phantastischen Fünf am Ostersamstag dementsprechend krachen lassen und sich dabei vor allem der Klassiker bedient. Also jener Titel, die Extrabreit schon damals, auf ihrem Debütalbum, als „Ihre größten Erfolge“ bezeichneten. Ironie des Schicksals.