„Kritiker sind blutrünstige Leute, die es nicht bis zum Henker gebracht haben.“ Das hat George Bernard Shaw einmal gesagt – und er hat damit Recht. Denn zugegebenermaßen genießt ein echter
Kritiker es, wenn er mit spitzer Feder bei dem im Visier befindlichen Künstler eine Schwäche entdeckt. So holt er den heldenhaften Star von seinem Podest, zeigt ihn verwundbar, fehlbar,
greifbar.
Zugleich ist ein Kritiker vor allem eines: Ein Liebhaber der schönen Künste. Ob Oper, Schauspiel, Konzert oder Kleinkunst, Literatur oder Malerei, ohne eine starke Zuneigung zu dem jeweiligen
Sujet als Ganzes ist eine echte Kritik unmöglich. Wie sonst soll er sich über offenkundigen Dilettantismus echauffieren, über schlechte Witze mit Bodensatz-Niveau oder musikalische Abgründe? Und
ist dann nicht auch der blutrünstige Charakter mancher Texte nachvollziehbar? Oder der überschwengliche Lobpreis, wenn eine Veranstaltung ein qualitativer Lichtblick war?
Insofern ist nichts schlimmer als belanglose, fade, weichgespülte Inhaltsanhaben – Texte ohne eigene Meinung, ohne zumindest einen Hauch von Kritik, ohne Seele. So nicht! Es ist vielmehr das
Recht und die Aufgabe des Kritikers, zu sagen was er denkt, ohne Scheu vor aufgebrachten Fans oder wütenden Intendanten. Die Kunst, die man sich zu kritisieren anschickt, hat nicht weniger
verdient.
Thomas Kölsch (geboren 1980 in Siegen) hat an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn Komparatistik studiert. Von 2005 bis 2008 promovierte er in diesem Fach und veröffentlichte
seine Dissertation im Tectum-Verlag unter dem Titel „Homo Plasticator. Antike Menschenschöpfungsmythen in der Science Fiction“.
Schon während der Studienzeit war Thomas Kölsch als freier Mitarbeiter für die Rhein-Zeitung aktiv. Außerdem war er Chef vom Dienst und später Chefredakteur des studentischen Online-Projekts
www.campus-web.de. 2008 begann er sein Volontariat bei der Fuldaer Zeitung, für die er im Anschluss ein Jahr lang als Online-Redakteur tätig war. Seitdem arbeitet er als freier Kulturjournalist
in Bonn, unter anderem für die Rhein-Zeitung, den General Anzeiger Bonn, das Magazin „kultur“ der Theatergemeinde Bonn und die Jazzthetik. Im Sommersemester 2017 hat er zudem einen Lehrauftrag im
Fachbereich Technikjournalismus der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.
Bernd Siegloch schrieb mir am 27. Dezember 2016 folgende wunderbare „Kritiker-Kritik a la Kölsch“ und bezog sich damit sowohl auf meine allgemeine Arbeit als auch ganz speziell auf meinen Text über das Weihnachtskonzert von BonnVoice einige Tage zuvor. Solche Leser wünscht man sich.
Es gibt wohl derzeit in der Bonner Presselandschaft nicht viele interessantere Kritiken als die von Thomas Kölsch im Feuilleton des Bonner General-Anzeigers. Er versteht es immer wieder, das
jeweilige Kultur-Ereignis authentisch, kompetent und mit klarer Analyse zu würdigen - ohne Floskeln, Leerformeln oder vorgefertigte Textbausteine. So entstehen echte Unikate, bei denen sich
die Interpreten (und deren Anhänger bzw. Besucher) meist wiedererkennen.
Was will man also mehr ? Nun, vielleicht ein bisschen mehr Ausgewogenheit und Objektivität. Zugegeben: Seine analytischen Fähigkeiten sind beeindruckend, oft liegt er wohl richtig mit seinen
Bewertungen - aber in seinen negativen Kritiken fällt geradezu seine Manie auf, auch nur kleinste Fehler oder Schwächen aufzudecken und auszuwalzen. Jedes einzelne Haar in der Suppe wird
gnadenlos herausgefischt. In diesen Passagen legt er mehr Wert auf Wirkung als auf Fairness und erhebt seinen subjektiven Geschmack stets zum objektiven Maßstab. Wenn er z.B. eine
geswingte Variante eines traditionellen Liedes als seltsam beurteilt, dann mag ihm das so vorkommen - aber es fehlt hier ein objektives Kriterium für dieses negative
Etikett; vielen Zuhörern mag gerade die Spannung zwischen Rhythmus und (sattsam bekanntem!) Text in dieser Version gefallen. Oder wenn er den Widerspruch zwischen einem (klassischen)
Sänger-Stil und dem Text kritisiert, möchte man ihm entgegenhalten, dass gerade der Kontrast zwischen Form (Choral) und banalem Textinhalt gewollt ist, um so den witzigen Effekt zu erzeugen.
So verheddert er sich immer wieder in Petitessen, womit dann der mäkelnde Anteil seiner Kritik letztlich mehr Raum einnimmt (z.T. fast das Doppelte!) als der positive. Und der Leser fragt
sich am Ende, warum dann ein Konzert überhaupt noch "glänzend" sein kann! Hier kann man sicher eine bessere Balance erwarten. Dass der Experte zudem hin und wieder schiefe Lied-Titel
angibt (da kommt plötzlich ein "Schiff gefahren" !?) oder die Beatbox mit einer Bass-Verstärkung verwechselt - geschenkt. Ärgerlich allerdings, dass Herr Kölsch so manche
Veranstaltung vorzeitig verlässt und die Publikums-Reaktionen am Ende (mehrfache Zugaben-Forderungen oder standing ovations), die schließlich auch eine relevante Würdigung sind, gar nicht
mehr in seine Kritik aufnehmen kann.
Und dennoch, selbst solche in Schieflage geratene Kritiken sind begrüßenswert und in jedem Falle besser als eine - oft auch im GA verwendete - süße Himbeersauce, die großzügig über eine
Veranstaltung gegossen wird. Lieber knackige Provokationen als Langweile ! Es ist und bleibt ein Vergnügen, Kölsche Rezensionen zu lesen, zumal dem unbeteiligten Leser auch eine leichte
Belustigung über die vermeintlichen Schwächen der Interpreten gegönnt sei. So bleibt die Hoffnung, dass Thomas Kölsch seinem Stil durchaus treu bleibt und er seine analytischen Kraft auch im
neuen Jahr nutzt, um kulturelle Ereignisse kritisch zu würdigen: scharf, aber nicht unfair, punktgenau mit klarer Aufarbeitung relevanter Fehlleistungen - aber bitte mit mehr
Ausgewogenheit und Nachsicht vor allem bei geringfügigen Schwächen in der Darbietung.