20.000 Arme in der Luft sind wirklich ein beeindruckendes Bild. Eines von vielen, für das die Broilers bei ihrem Konzert auf dem Bonner KunstRasen sorgen, und mit jedem einzelnen setzen die Düsseldorfer Maßstäbe. Noch nie haben so viele Besucher im Kreis getanzt wie an diesem Samstagabend, und noch nie saßen so viele Menschen auf den Schultern anderer, einfach weil Frontmann Sammy Amara bei „Held in unserer Mitte“ beziehungsweise bei „Wie weit wir gehen“ dazu auffordert. Angesichts von inzwischen elf Open-Air-Saisons mit Weltstars wie Tom Jones oder Santana sagt das schon eine Menge über die Broilers aus. Und über die 10.000 Fans der Punkrock-Band, die enthusiastisch und zugleich friedlich eines der besten Konzerte feiern, das jemals in der Gronau stattgefunden hat.
Jetzt ist es amtlich: Shakespeare ist eine Frau. Und ein Geist. Und im falschen Jahrhundert, was natürlich sogleich eine Destabilisierung der Zeitlinie zur Folge hat. Dumm nur, dass Miss Shakespeare gar nicht daran denkt, die Gegenwart zu verlassen, immerhin gibt es hier so viele Wunder, unter anderem Pizza. Also versteckt sie drei Batterien, mit der ein kauziger Geisterjäger sie nach Hause schicken will, in dreien ihrer Stücke – was übrigens mit der Auflösung von „Multiversum“ gar nichts zu tun hat. Denn die neue Show des GOP Bonn kann zwar einmal mehr mit exzellenten Artisten aufweisen, aber leider auch mit einer der wohl peinlichsten und vor allem inkohärentesten Rahmenhandlungen, die je auf einer Varietébühne inszeniert wurden.
Das Publikum tobt. Noch hat Andrew Hozier-Byrne keinen einzigen Ton gesungen, doch allein seine Anwesenheit versetzt viele Fans im Carlswerk Viktoria in Verzückung. Die Verehrung, die dem irischen Sänger in Köln entgegenschlägt, scheint nahezu grenzenlos zu sein – eine Frau vor der Bühne hebt sogar ein Ikonenbild mit dem Antlitz des 33-Jährigen in die Höhe. Hozier, der Jesus des Folkrock. Angesichts dieser überbordenden Euphorie, die durchaus an die Boyband-Manie der 90er Jahre erinnert, mag man den charmanten Künstler vorschnell für eine Art Posterboy halten, der mit seinen teils tanzbaren, teils dunklen Songs mehr Schein als Sein ist. Doch das wäre ein Fehlurteil. Denn Hozier besticht im Verlauf von gut 90 Minuten sowohl durch musikalischen als auch durch lyrischen Tiefgang. Und durch ganz viel Gefühl.
Gewalt, Drogen und andere krumme Geschäfte bestimmen das Leben in Malfi. Dealer, Schläger und andere Gangster gehen weitgehend unbehelligt ihren Geschäften nach, geschützt von einem geschwisterlichen Triumvirat aus Herzogin, Herzog und Kardinal. Doch dann heiratet erstere heimlich ihren Haushofmeister Antonio – und bringt so ihre eifersüchtigen Brüder gegen sich auf, bis die Straßen von Malfi rot vor Blut sind. So zumindest ist die Inszenierungsidee der Bonn University Shakespeare Company, die das Stück des Shakespare-Zeitgenossen John Webster in der Brotfabrik aufführt. Was allerdings nicht so ganz aufgeht.
Der erste Eindruck täuscht. Nur eine handvoll Leute stehen vor der kleinen Bühne, die der KunstRasen-Verein für sein FolkPicknick auf den Front-of-Stage-Bereich gesetzt hat und auf dem an diesem heißen Samstagnachmittag fünf Bands aus ganz Europa ein kostenloses Konzert geben. So wenig Publikum, und das, obwohl nach dem schweren Regen im vergangenen Jahr nun immerhin die pralle Sonne vom Himmel schien? Doch wie gesagt: Der Eindruck täuscht. Denn tatsächlich sind sehr viel mehr Menschen auf dem Gelände als man zunächst annehmen könnte, allerdings im kühlen Schatten statt mitten auf dem längst zur Wüste mutierten Platz, verborgen unter den Bäumen und zwischen den – weitgehend geschlossenen – Fressbuden und Zelten am Rand. Zwei- der sogar dreihundert dürften es schon sein, die ihren Weg in die Gronau gefunden haben, und auch wenn die Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne diese kaum zu Gesicht bekommen, sind sie doch zumindest bei dem herzlichen, dankbaren Applaus hörbar.
Monotonie kann man Roland Kaiser sicherlich nicht vorwerfen: Bei seinem Auftritt auf dem KunstRasen am vergangenen Freitag hat der Grandseigneur des deutschen Schlagers zumindest musikalisch alle Register gezogen, hat zusätzlich zu seiner wandlungsfähigen Band ein Streichquartett sowie ein Bläser-Trio auf die Bühne geholt und ist damit in gut zweieinhalb Stunden durch zahlreiche Genres mäandert. Eine beeindruckende Leistung des 71-Jährigen, der an diesem Abend bestens gelaunt war. Warum auch nicht? Rund 9000 Menschen waren gekommen, um mit ihm bei traumhaftem Wetter Kaisermania zu feiern und zumindest vorübergehend an eine heile Welt zu glauben. Und die kann nun einmal niemand besser präsentieren als Roland Kaiser.
Wieder geht es nach oben. Weit nach oben. Unerbittlich schraubt sich die Stimme von Ryan Tedder in die Höhe, bis hin in jene Sopranlage, in der der Frontmann von OneRepublic so gerne verweilt. Diese Flugstunden sind einer der zentralen Gründe für den Erfolg der Band aus Colorado, das Händchen für eingängige Melodien ist der andere. Auf dem Bonner KunstRasen reihen der 44-Jährige und seine Kollegen nun einen Hit an den anderen, jeder einzelne aus Tedders Feder – aber nicht alle für OneRepublic.
Das Euro Theater Central tritt derzeit gezwungenermaßen auf der Stelle. Drei Jahre nach dem Umzug in die Budapester Straße ist das neue Haus – nicht zuletzt aufgrund der Corona-Pandemie und fehlender Handwerker – noch immer eine Baustelle, die Räume noch nicht präsentabel, der geplante Theatersaal nur in der Vorstellung vorhanden. Umso wichtiger ist es, Lebenszeichen von sich zu geben, was dank der Außenbühne im Innenhof zumindest ansatzweise möglich ist. Nun hat das Euro Theater mit einer englischsprachigen Adaption von Oscar Wildes einzigem Roman „The Picture of Dorian Grey“ genau dies realisiert und gleichzeitig seine Bereitschaft für Experimente signalisiert. Immerhin sind sowohl die vier Schauspieler als auch die Bühnenbildner und Kostümverantwortlichen zum ersten Mal am Haus tätig, während sich Johannes Neubert zwar schon als Darsteller, nicht aber als Regisseur seine Meriten verdient hat. Angesichts der umjubelten Premiere wird dieses Wagnis durchaus goutiert – auch wenn ein großer Teil des Potenzials von Ensemble und Stück letztlich ungenutzt bleibt.
Die Flammen lodern hoch, wieder und wieder. Dazu kracht und knallt es, während Laser durch die schwefelschwangere Luft flackern und ein treibender Beat jeden aus den Sitzen reißt. Kein Wunder: Immerhin wollen Kiss bei ihrem allerletzten Deutschlandkonzert noch einmal die Bühne abbrennen und zeigen, was Rock in seiner spektakulärsten Form ausmacht. In der Kölner Lanxess-Arena zieht die legendäre Band mit den ikonischen Schminkmasken daher alle Register und zündet ein atemberaubendes Feuerwerk, das keine Wünsche offenlässt – so wie es sich für ein Quartett gehört, das Musikgeschichte geschrieben hat. 50 Jahre lang haben Kiss den Rock geprägt, und schon in den ersten Minuten wird deutlich, dass Paul Stanley, Gene Simmons, Tommy Thayer und Eric Singer selbst bei ihrem Abschied von der Bühne Maßstäbe setzen können. Was für eine Show. Und was für ein Konzert.
Schon bei den ersten Tönen stehen alle auf. Ein Konzert der Pet Shop Boys ist nun einmal keines, das man im Sitzen genießen kann, auch wenn es nun mehr als 30 Jahre her ist, dass die Musik des britischen Elektropop-Duos in den Discos rauf und runter gespielt wurde. Egal: Die Zeiten haben sich gewandelt, die Pet Shop Boys nicht, wie sie nun bei ihrem einzigen Deutschland-Konzert in der Kölner Lanxess-Arena unter Beweis stellen. Ja, Neil Tennant und Chris Lowe sind etwas in die Jahre gekommen, doch fällt das angesichts minimalistischer Bewegungen kaum auf – letzterer hält sich wie schon in den 80er und 90er Jahren ohnehin lieber mit stoischer Miene im Hintergrund, und ersterer steht am liebsten in seinen Gold- und Silberfolienkostümen mit weit ausgebreiteten Armen in der Mitte der Bühne, so als wolle er die Energie des Publikums aufsaugen, um damit die ebenso nüchterne wie effektvolle Lichtshow zu versorgen.