„Multiversum“: Geisterjagd mit Shakespeare

Jetzt ist es amtlich: Shakespeare ist eine Frau. Und ein Geist. Und im falschen Jahrhundert, was natürlich sogleich eine Destabilisierung der Zeitlinie zur Folge hat. Dumm nur, dass Miss Shakespeare gar nicht daran denkt, die Gegenwart zu verlassen, immerhin gibt es hier so viele Wunder, unter anderem Pizza. Also versteckt sie drei Batterien, mit der ein kauziger Geisterjäger sie nach Hause schicken will, in dreien ihrer Stücke – was übrigens mit der Auflösung von „Multiversum“ gar nichts zu tun hat. Denn die neue Show des GOP Bonn kann zwar einmal mehr mit exzellenten Artisten aufweisen, aber leider auch mit einer der wohl peinlichsten und vor allem inkohärentesten Rahmenhandlungen, die je auf einer Varietébühne inszeniert wurden.

Nicht zum ersten Mal erweist sich das Storytelling als eine der größten Schwächen des GOP. Sobald eine Show nicht nur von Bildern, sondern auch von Sprache und vor allem von Witz getragen werden soll, tut sich das Theaterunternehmen schwer mit der Umsetzung. Bei „Multiversum“ wird dies auf eklatante Weise deutlich: Nichts passt zusammen, statt einer roten Linie besteht die Geschichte aus einem Trümmerhaufen. Der Shakespeare-Bezug? Völlig willkürlich, da die Anspielungen auf „Macbeth“, „Hamlet“ und „Romeo und Julia“ szenisch nicht aufgelöst werden. Der angebliche Geist? Wird nach ein paar Spuk-Ideen innerhalb der ersten Minuten zu einer Zeitreisenden aus Fleisch und Blut. Die beiden Hauptfiguren? Sind gleichzeitig fiktiv als auch zaubernde Moderatoren einer GOP-Show, ohne aber auch nur ansatzweise mit den beiden Ebenen zu spielen. Und die Sprache? Wirkt wie eine schlechte Persiflage eines John-Sinclair-Romans, bewegt sich aber leider auf Kindergarten-Niveau und nicht auf dem einer bewusst überzeichneten Trash-Inszenierung im Stil des Vollplaybacktheaters. Gleiches gilt übrigens für die geradezu penetrante Barockmusik vor Showbeginn und in der Pause, die immer wieder durch willkürliche literarische Zitate unterbrochen wird, was Tischgespräche massiv beeinträchtigt.

So abstrus die Theaterebene der beiden zentralen Akteure (Timothy Trust und Diamond, die immerhin als Mentalmagier überraschen) auch ist, so stark sind dagegen Artistik und Akrobatik. Beeindruckend etwa die Sprungkraft des Chinesen Kai Hou, der mit seinen Flickflacks kurzerhand durch Ringe in rund zweieinhalb Meter Höhe springt (zum Vergleich: Der Weltrekord im Hochsprung liegt bei 2,45 Meter); fantastisch die Jongleurskunst von Stanislav Vysotskyi, der zum Teil mit gefesselten Händen, dafür aber mit flinken Füßen seine Bälle in die Luft katapultiert; und beeindruckend die Kombination aus Rollschuhakrobatik und Strapaten des Duos Rêve de Lumière, das schon bei „Zauberhaft“ für Tempo gesorgt hat und Bonn in bester Erinnerung behalten hat – damals machte Wagner Ferre seiner Partnerin Jacqueline Likò auf der Bühne einen Heiratsantrag. Auch Alina Hryshkova, die nur an ihren Haaren hängend durch die Luft fliegt und damit an eine Nummer aus der Show „Neo“ erinnert, die vor fast genau einem Jahr in Bonn gezeigt wurde, sorgt beim Publikum für Begeisterung.

Die stärksten Momente lassen aber Künstler entstehen, die nicht nur technisch, sondern vor allem choreographisch Maßstäbe setzen. So wie die Hula-Hoop-Künstlerin Lisa Stampfl aus Österreich, die ganz bewusst auf das sonst so beliebte Schlussbild mit Dutzenden rotierender Reifen verzichtet und die Dynamik kurzerhand umdreht, mit vielen Hula-Hoops beginnend und mit einem endend. Dabei die Spannung zu halten und das scheinbar einfachste Element zum Höhepunkt zu machen, ist Artistik auf höchstem Niveau und optisch ein Genuss, der nur noch durch die Aquamen getoppt wird. Die vier Ukrainer Sergey, Andriy, Maksym und Roman zeigen nicht nur kraftvolle und doch scheinbar leicht aussehende Hebefiguren, sondern integrieren diese auch in eine Art Wasserballett, bei dem jede Bewegung das Wasserthema aufgreift und in Kombination mit einer entsprechenden Licht- und Ton-Installation die Poesie des Meeres in phänomenale Körperbilder umsetzt. Alles fließt ineinander, ist stimmig und klar. Das ist Varieté, so wie es sein sollte. Und das ganz ohne Geisterjäger.

„Multiversum“ ist noch bis zum 3. September im GOP Bonn zu sehen, und zwar mittwochs um 19 Uhr, donnerstags bis samstags um 20 Uhr sowie sonntags um 14 und um 18 Uhr. Kinder bis 14 Jahre erhalten in Begleitung eines regulär zahlenden Erwachsenen freien Eintritt. Tickets erhalten Sie bei allen bekannten Vorverkaufsstellen.

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