Sommerzeit ist Reggae-Zeit. Wenn die Sonne vom wolkenlosen Himmel strahlt, die Seen zum Planschen und die Schatten der Bäume zum Verweilen einladen, sind die entsprechenden Grooves nicht weit. Das Summerjam zum Beispiel lebt davon: Das Festival, eines der größten seiner Art in Europa, findet seit 1996 am Fühlinger See statt und lockt mit Reggae aus aller Welt jährlich rund 30.000 Besucher an. Doch seit einigen Jahren drängt auch der Hip Hop auf die Insel, auf der das Summerjam stattfindet.
Wenn Billy F. Gibbons in die Saiten haut, tost der Bluesrock durch den Saal. Der 73-Jährige ist eine Ikone, nicht nur wegen seiner Brillanz an der Gitarre, sondern auch weil er als Mitglied von ZZ Top seit über 40 Jahren (spätestens seit der Veröffentlichung des 1983er Albums „Eliminator“) wie nur wenige andere besagtem Genre ein Gesicht verleihen. Eines, das aus einem Stetson besteht, aus einer Sonnenbrille und natürlich aus dem unverwechselbaren Rauschebart. Nach dem Tod seines ewigen Kollegen und Co-Barts Dusty Hill vor zwei Jahren sowie dem Abschluss der ZZ-Top-Tour mit dem langjährigen Gitarren-Techniker der Band (ein expliziter Wunsch Hills) ist Gibbons nun mit seinem Trio The BFGs unterwegs – so auch im Carlswerk Viktoria.
Steven Wilson ist zweifelsfrei ein musikalisches Genie. Der 55-Jährige hat den Progressive Rock insbesondere mit seiner Band Porcupine Tree nachhaltig geprägt und ein Meisterwerk nach dem anderen geschrieben, mit tiefgründigen, hintersinnigen Texten und komplexen Songstrukturen. Jetzt ist besagte Formation nach Bonn gekommen und liefert musikalisch gesehen eines der besten Konzerte seit der Gründung des KunstRasens ab. Ein epischer Genuss in drei Stunden mit hochkomplexen und doch stets gefühlvollen Songs für Kopf und Herz, die auch ein später Regenschauer nicht mindern kann – zumindest, so lange man kein Smartphone zückt.
Von Innsbruck bis Amsterdam, 1500 Kilometer mit dem Fahrrad: Das ist schon eine ganz schöne Leistung. Vor allem, wenn man die Strecke in 28 Tagen absolvieren und nebenher rund 20 Konzerte spielen möchte. Mit dem Equipment im Anhänger. Und das besteht bei Manu Delago nicht nur aus Blockflöten. Der Grammy-nomminierte Hang-Spieler und Perkussionist, der unter anderem schon mit Björk, Anoushka Shankar und Ellie Goulding zusammengearbeitet hat, war schon 2021 im Dienste der Nachhaltigkeit auf einer so genannten „ReCycling-Tour“, bei der von den Instrumenten bis zur Lichttechnik alles mit reiner Muskelkraft transportiert worden ist – jetzt hat der Österreicher die Nordsee als Ziel auserkoren. Auf seinem Weg hat er nun auch im Pantheon Halt gemacht.
Was wäre die kölsche Musik wohl ohne Tommy Engel. Wahrscheinlich ziemlich traurig. Der 73-Jährige, der die Bläck Fööss mitbegründete und fast 25 Jahre lang prägte, bevor er auf Solopfaden weitermachte, gehört zu jener kleinen Gruppe von Künstlern, die in gewisser Weise die Seele der Domstadt bilden. Jetzt sind er und seine Band erstmals in die Bonner Oper gekommen, um dort ein Kehraus-Konzert zu spielen und die Spielzeit von „Quatsch keine Oper“ abzuschließen. Vor ausverkauftem Haus feiert er – leiht verspätet – sein 60-jähriges Bühnenjubiläum. Und sein aktuelles Album.
Kernige, raue Stimmen singen Seemannslieder, beschwören die raue Romantik des Meeres und setzen die Freiheit über alles andere: Mit diesem Konzept ist die Shanty-Rock-Band Santiano vor einigen Jahren überaus erfolgreich gewesen. Vier Echo Pop als beste Band in der Kategorie „Volkstümliche Musik“, 14 Mal Platin und eine Einladung zum Wacken Open Air haben die windgegerbten Teerjacken aus dem hohen Norden in den vergangenen elf Jahren gesammelt, trotz oder vielleicht auch gerade wegen ihres triefenden Pathos und dem ständigen Spiel mit den Klischees. Jetzt hat die Band die KunstRasen-Saison 2023 eröffnet – und lässt von der ersten Sekunde an alle Segel setzen.
Sarah McCoy erinnert sich noch gut an ihren letzten Auftritt im Jaki. Damals, so erzählt die US-amerikanische Sängerin, sei sie ziemlich krank gewesen, fiebrig und heiser. Trotzdem hat sie sich auf die Bühne gequält und das Konzert durchgezogen – eine andere Möglichkeit kam für sie, die ehemalige Straßenmusikerin und Kneipenkünstlerin des French Quarter in New Orleans, schlichtweg nicht in Frage. Augen zu und durch. „Das war der schlimmste Auftritt meiner Karriere“, sagt sie rückblickend, während sie in genau diesem Club wieder am Klavier Platz nimmt. „Ich habe also etwas gutzumachen.“ Was ihr mühelos gelingt.
Die Rahmenbedingungen waren hervorragend, die Künstler grandios, das Publikum zahlreich und restlos zufrieden: Organisator Gregor Gäb vom Festival Musik und Wein im Ahrtal ist mit den vergangenen fünf Tagen seit Fronleichnam im Grunde hochzufrieden. „Alles lief wie am Schnürchen“, sagt er und genießt den feinen Soul-Jazz, der von der Bühne am Rande der Marienthaler Weinberge herüberschwappt. Gerade singt Malia mit ihrer herrlich warmen Stimme und im Spannungsfeld von Rock, Reggae, Afrro-Pop und Soul. Die 45-Jährige wird gerne in einem Atemzug mit Nina Simone und Billy Holiday genannt, hat sich aber in den vergangenen Jahren und definitiv seit ihrem letzten Auftritt in Marienthal, In gewisser Weise gestaltet sie zusammen mit der vor ihr auftretenden Cécile Verny für den musikalischen Höhepunkt des Festivals – aber leider auch den Abend, der am Schlechtesten verkauft ist.
Am Anfang war das Feuer. Hier, im Zentrum des Lagers, versammelten sich vor Tausenden von Jahren die ersten Menschen, um sich gemeinsam vor der Nacht zu schützen, um zu beten, um zu gedenken und um Musik zu machen. Diesen Gedanken nimmt auch Peter Gabriel bei seinem Besuch in der ausverkauften Kölner Lanxess-Arena auf, indem er seine Band um ein solches gruppiert und von dort aus eine Reise durch Raum und Zeit beginnt, die leider nicht allzu lange anhält, aber dennoch zu den eindrucksvollsten Einleitungen der vergangenen Jahre gehört. Und das war nur der Anfang.
Besonders tiefschürfend waren die Lieder der Sportfreunde Stiller noch nie. Das Trio hatte selbst in seinen besten Zeiten letztlich nicht viel mehr als aufgebohrte Stadiongesänge im Repertoire, pathetische Hymnen voller inhaltsleerer Phrasen, die dank schlichter, aber effektiver Hooklines sofort ins Ohr gingen und die Fans unweigerlich zum Mitsingen animierten. Doch die Zeiten, in denen die Sportis die großen Arenen füllen, sind vorbei. Stattdessen spielen sie wieder im kleinen Rahmen, so wie beim Bonnlive-Open-Air, seit Anfang des Monats das auf dem Platz vor dem Telekom Forum stattfindet und das mit Royal Republic, Juli oder Meute einige andere Bands dieser Generation nach Bonn geholt hat, die musikalisch und textlich deutlich mehr zu bieten haben. Vor allem da die Sportfreunde noch genau so klingen wie früher. Was kein Garantiezeichen ist, den Fans aber nur recht ist.
Blech pulsiert, dröhnt und vibriert, immer mit dem selben hypnotischen Beat, der das Publikum in ekstatische Trance versetzt, und das viel effektiver und hochwertiger, als es jeder DJ könnte. Seit 2015 krempeln Meute die Techno-Welt um, und die Hamburger Marching-Band, die genüsslich einen House-Track nach dem anderen in ein akustisches Gewand kleidet oder sich entsprechende Patterns kurzerhand selbst auf die uniformierten Leiber schneidert, genießt dabei zunehmend internationale Anerkennung. Im Mai diesen Jahres haben die elf Grenzgänger noch in den USA gespielt, jetzt waren sie beim Bonnlive-Open-Air zu Gast – und lässt die Menge vor dem Telekom Forum ausrasten.
Wenn Juli im Juni vom November singen, das Ende des Sommers ankündigen und traurige Lieder fordern, klingt das schon ein bisschen absurd – aber irgendwie auch konsequent angesichts einer Band, die seit 22 Jahren unaufdringlich-effektvolle Pop-Nummern mit so manchem Rock-Impetus und einer ordentlichen Dosis Melancholie würzt und damit immer wieder den deutschen Zeitgeist zu treffen scheint. Auch auf dem Gelände vor dem Telekom Forum in Beuel, wo Sängerin Eva Briegel und ihre Herren-Truppe im Rahmen des Bonnlive-Open-Air auftreten, ist diese Mischung auf jeden Fall allgegenwärtig, trotz Hits wie „Geile Zeit“ oder „Perfekte Welle“, in denen der Moment gefeiert und alles andere ausgeblendet wird. Auch das scheint nicht miteinander vereinbar zu sein. Aber Juli schaffen dies mühelos – und bereiten ihren Fans mit alten wie neuen Songs einen fantastischen Abend.
Es besteht kaum Zweifel daran, dass Anny Hartmann zu den scharfsinnigsten politischen Kabarettistinnen und Kabarettisten Deutschlands gehört. Ihre Analysen sind ebenso messerscharf wie ihr Blick fürs Detail, ihre Recherche ist umfassend und – das ist ihr hervorstechendstes Talent – ihre Erklärungen sind präzise und verständlich zugleich. Im Rahmen von „Quatsch keine Oper“ hat sie sich in Bonn nun mit dem Klimawandel beschäftigt, verschiedene Unwahrheiten und Täuschungen entlarvt und dem Publikum gezeigt, was es tun kann. Und was nicht. Das klingt so, als würde die 53-Jährige alles richtig machen. Doch während die Inhalte stimmen, weist die Form Schwächen auf. Und die sind so groß, dass die Botschaft darunter leidet.
Während der ersten Stunde des Konzerts von Royal Republic erklingt nicht ein einziger Ton. Offiziell sollten die Schweden schon um 18.45 Uhr auf der Bühne vor dem Telekom Forum stehen, so zumindest steht es schwarz auf weiß auf der Webseite des Veranstalters Bonnlive. Doch statt rocken heißt es warten. Und warten. Und warten. Eigentlich, so stellt sich im Nachgang heraus, hätte zu diesem Zeitpunkt eine Vorband spielen sollen, die aber zwei Tage zuvor gestrichen wurde. Ärgerlich, aber verständlich - nur hätte man das dem immerhin überraschend geduldigen Publikum ruhig mal sagen können. Doch dann kommen endlich Royal Republic und machen in nur fünf Minuten fast alles wieder gut.
Bei all dem Blödsinn, für den Helge Schneider berühmt geworden ist, vergisst man manchmal seine Qualitäten als Jazz-Musiker. „Katzenklo“ und „Telefonmann“ sind immerhin nur die eine Seite der Medaille. Nun ist der Meister des anarchischen Humors im Rahmen des Bonnlive-Open-Airs vor dem Telekom-Forum aufgetreten, um sein neues Album „Der letzte Torero“ vorzustellen – und hat das Bild, das die breite Öffentlichkeit von ihm hat, kurzerhand gerade gerückt.
Die Welt ist bekloppt, da ist sich Carmela de Feo ganz sicher. Total irre, balla balla. Ist aber egal. Schließlich ist La Signora nach eigener Aussage noch bekloppter und zudem auf dem besten Weg, ihr Publikum im Haus der Springmaus auf das selbe Level zu bringen. In der Verrücktheit liegt nun einmal die Erlösung, nur so kann man in de Feos Universum überleben. Und wenn sich alle in der Nische des Wahnsinns tummeln, ist es wenigstens schön kuschelig. Was der clownesken Satirikerin mit dem Akkordeon, die auf der Bühne wie ein wild gewordener Flummi hin und her hüpft und sich mit Gesang und Tanz restlos verausgabt, nur recht ist. Selbst eine selbst ernannte Psycho-Königin ist schließlich einsam ohne Untertanen – oder zumindest ohne Gleichgesinnte.
Tim Whelan liebt es, zu unterrichten. Oder zumindest so zu tun. Der britische Comedian, der 2020 den Jurypreis des Prix Pantheon gewonnen hat und jetzt erstmals mit seinem Soloprogramm „Gemüse“ nach Bonn gekommen ist, hat immer ein paar ganz spezielle, kompakte Lektionen in petto, um das Eis zu brechen. Englisch und Walisisch für Anfänger, englische Küche, Yoga für Bürokraten: Zu allem kann Whelan etwas beitragen. Irgendwas. Selbst wenn es nur eine Auflistung uralter Klischees ist, die alles andere als zeitgemäß sind und den Abend unerwartet in die Länge zieht.
In Rock und Metal ist offensichtlich alles ersetzbar. Bis auf das Schlagzeug, das muss bleiben. Alle anderen Instrumente lassen sich hingegen problemlos austauschen – das ist zumindest der Ansatz des London Symphonic The Rock Orchestra (LSRO), einem Kammerorchester mit einer Vorliebe für Effektgeräte. Jetzt ist die britische Formation ins Brückenforum gekommen, um die Songs von Led Zeppelin, System of a Down, AC/DC, Rammstein und vielen anderen Bands von der harten Seite gebührend zu feiern. Was besser gelingt als erwartet.
Die goldene Ära des deutschen Schlagers hat schon immer Musiker in ihren Bann gezogen, die es lieben, Raritäten zu entdecken zu entstauben und zu modernisieren. Max Raabe hat sich dabei auf Chansons und Couplets spezialisiert, die er auf seine ganz eigene Art und Weise interpretiert – und Götz Alsmann bleibt im Mainstream, gräbt dafür aber tiefer und exhumiert so manch „vergessene Trouvaille“, um ihr neues Leben einzuhauchen. Nun ist der Mann mit der Haartolle auf Einladung der Springmaus nach langer Zeit wieder mal nach Bonn gekommen, und zwar in die ausverkaufte Oper, die damit zum ersten Mal seit vielen Jahren dem Endenicher Kleinkunsttheater seine Hauptbühne zur Verfügung stellt. Eine gelungene Kooperation, nicht zuletzt weil Alsmann mit seinem bewährten Charme, seinem Gespür für Pathos und Dynamik sowie seiner unsterblichen Liebe zu wachzuküssenden Schlagern einen großartigen Job macht und so manche vergessene Perle in neuem Glanz präsentiert.
Glück, so heißt es, ist flüchtig. Dennoch versprechen zahlreiche Ratgeber, das richtige Rezept für diesen so begehrten Zustand der Zufriedenheit vermitteln zu können. Alles Humbug, sagt Dr. Manfred Lütz. Der Psychotherapeut, der mit seinen kabarettistischen Vorträgen ein gern gesehener Gast im Haus der Springmaus ist, hat sich eingehend mit dem Streben nach einem glücklichen Leben auseinandergesetzt und eine Art Anti-Ratgeber verfasst, um der gesamten Glücks-Industrie den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Die mache nämlich nur noch unglücklicher, sagt er nun bei einem Besuch in Endenich, denn planen oder gar erzwingen könne man den Weg zur Erfüllung nun einmal nicht. Schon eine Definition sei letztlich unmöglich, auch wenn viele weise Männer dies versucht hätten. Und so nimmt Lütz sein Publikum mit auf eine Reise durch die Philosophie und die Psychologie, klärt auf wenn möglich, warnt wenn nötig und unterhält eigentlich immer. Eine gute Kombination.
Tief in seinem Innern ist Olaf Schubert ein Rebell. Ein Rocker, ein Hipper und ein Hopper, manchmal auch alles zusammen, ein Mann der Tat mit dem Mut eines Gladiators und dem Intellekt eines Philosophen – oder umgekehrt? Egal, auf jeden Fall ist unser wahrer und einziger Bundes-Olaf, dieses Wunder im Pullunder, nach einer entbehrungsreichen Zeit zurück in Bonn und macht im Rahmen von „Quatsch keine Oper“ genau da weiter, wo er ziemlich genau fünf Jahren aufgehört hat: Bei der Aufklärung des Publikums. Und zwar in allen Belangen. Ob es will oder nicht.
Als Frank Oppermann, der Intendant des Kleinen Theaters Bad Godesberg, vor nunmehr 30 Jahren mitten in seiner Schauspieler, und Musicaldarsteller-Ausbildung steckte, lernte er eine ganz besondere Revue kennen, eine Aneinanderreihung von Liedern über die Liebe und das Leben, die das Autoren-Duo Richard Maltby und David Shire einst für Shows schrieben, welche entweder abgesetzt oder gar nicht erst produziert wurden. „Starting Here, Starting Now“ feierte 1977 einige Erfolge, neben immerhin 120 Aufführungen in New York City unter anderem mit der Grammy-Nominierung des Original-Cast-Albums, und findet seitdem immer wieder Eingang in die Lehrpläne der Musikhochschulen. Eine eigenständige Produktion der Revue hat es allerdings in Deutschland noch nicht gegeben – bis jetzt. Nach einer Premiere in Köln hat das „Jewel Box Musical Theater“ die Show jetzt in Bad Godesberg auf die Bühne gebracht. Im Kleinen Theater von Frank Oppermann.
Der Weg zur Macht ist mit Blumenkohl gepflastert. Unzählige Karfiolköpfe – und auch einige menschliche – müssen rollen, um Arturo Uis Aufstieg vom kleinen Gangster zum Unterwelt-Herrscher von Chicago zu sichern, und von dort aus ist der Griff nach der Weltherrschaft nicht mehr weit. Und alles nur wegen des Grünzeugs. Klingt absurd, ist aber wahr, zumindest in Bertolt Brechts skurriler Groteske „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, das jetzt im Bonner Schauspielhaus Premiere feierte. Mit dieser Parabel skizziert Brecht, der den Text 1941 im finnischen Exil schrieb, die Machtergreifung Hitlers, dem er aber zugleich Züge von Al Capone verlieh. In der Bundesstadt hat sich nun Regisseurin Laura Linnenbaum des Stoffes angenommen – und ihn mit einem guten Blick für die Balance zwischen Wahnsinn und Ernsthaftigkeit inszeniert.
Alles ist weg. Haus, Auto und Frau haben sich in Luft aufgelöst, und Bauunternehmer Waghubinger steht jetzt auf einmal nackig da, ganz ohne die für ihn so wichtigen Statussymbole. Was bleibt da noch? Burnout und eine gesetzliche Krankenversicherung, da könnte er sich ja gleich selbst den Totenschein ausstellen. Stattdessen spielt er gegen sich selbst Monopoly, das beruhigt, vor allem wenn er gewinnt. Derweil klagt Waghubinger, der alte Egomane, dem Publikum im Haus der Springmaus sein Leid, erzählt von Ängsten und zerbrochenen Träumen, von dem geliebten Porsche und von einem traumatisierenden Kaptain-Kirk-Pullover – und inszeniert sich gleichzeitig als liberales Feindbild und als trauriger Jedermann.
Wer es nicht besser wüsste, der könnte denken, dass Emil Brandqvist ein überaus virtuoser Pianist ist, der das Publikum mit ebenso virtuosen wie filigranen Läufen verzaubert und in seinem Trio den Ton angibt. Zugegeben, diesen Mann gibt es auch, nur heißt er Tuomas Turunen. Brandqvist hingegen verbirgt sich zumindest musikalisch gesehen in den Schatten und grundiert die zarten Klangbilder mit feinem Schlagzeugspiel. Was mitunter gar nicht so auffällt. Und doch einen Unterschied macht. Jetzt war der 41-Jährige mit Turunen und dem Bassisten Max Thornberg in der Harmonie zu Gast.
Die Wahrheit stirbt zuerst. In jedem Konflikt, in jedem Disput und in jedem Krieg ist die Deutungshoheit über das Narrativ eines der zentralen Ziele, um die eigenen Taten zu rechtfertigen. Wer seine Anhänger von einer Hexenjagd überzeugen kann, kann sich bei Wahlen entspannt zurücklegen: Ein Sieg ist dann die Folge eines erfolgreichen Kampfes gegen das Establishment, eine Niederlage die Schuld der anderen. Und die Wahrheit? Ist eine Lüge. Doch genau dagegen begehren Onkel Fisch jetzt auf. Das Kabarett-Duo widmet sich in ihrem aktuellen Programm ausschließlich dem Verhältnis von Wahrheit und Lüge – und stößt dabei schnell an künstlerische Grenzen.
Der russischstämmige Pianist Simon Nabatov gilt als Kind zweier Welten: Die klassische Pianoliteratur beherrscht er ebenso wie den Jazz, die harmonische Komplexität ebenso wie die avantgardistische Befreiung von allen Konventionen. Für das Jazzfest Bonn, das in diesem Jahr sowohl das Klavier als auch das Überschreiten von Grenzen als Motto ausgewählt hat, ist er damit automatisch eine zentrale Figur. Im Kammermusiksaal des Beethovenhauses hat er nun ein Doppelkonzert der besonderen Art gegeben: Das eine mit dem Saxofonisten Matthias Schubert, das andere mit Trompeter Ralph Alessi.
Wenn Stefan Gwildis singt, dann für alle: Für den Mann vom Nürburgring und die Frau aus New York City, für die Gäste in der ersten und für die in der letzten Reihe, für alle Regen- und alle Traumtänzer, für Romantiker und Realisten, für Lyriker, Pop-Fans und Soul-Liebhaber. Im Pantheon, wo er in minimaler Besetzung auftritt, trifft er damit ins Schwarze. Das Publikum ist begeistert bei der Sache, lässt sich nur zu gerne immer wieder mit einbeziehen und singt als Chor ein buntes Halleluja aus all den verschiedenen Stilen, die der 64-Jährige im Laufe seiner Karriere aufgesogen hat. Klingt gut. Beides.
Immer wieder werden junge Musiker als die Zukunft des Jazz bezeichnet, als Innovatoren und Restauratoren, Bewahrer, Entwickler und Propheten eines Genres, das längst über alle Grenzen hinausgewachsen ist und so ziemlich alles erlaubt. In vielen Fällen scheint diese Charakterisierung übertrieben – bei Jakob Manz könnte sie dagegen tatsächlich wahr sein. Oder wahr werden. Auf jeden Fall ist der junge Saxofonist, der im Rahmen des Jazzfests zusammen mit Pianistin Johanna Summer ins Volksbankhaus gekommen ist, ein Ausnahmetalent, der unglaubliche Virtuosität mit starker Emotionalität in Einklang bringt und ein intensives Solo nach dem nächsten durch den Turm aus Glas und Stahl schallen lässt.
Sie gelten als eine der besten Live-Bands Großbritanniens, und wer sie einmal auf der Bühne erlebt hat, wird dieser Aussage wahrscheinlich uneingeschränkt zustimmen: Wille and the Bandits sind einfach phänomenal, druckvoll im Drive, virtuos im Spiel, vielseitig in den Kompositionen – und vor allem mit jedem Auftritt besser. In der Harmonie hat das Quartett nun zum dritten Mal gerockt und sich damit den rheinischen Gesetzen zufolge als Institution etabliert, und auch wenn der Saal aus unerklärlichen Gründen noch immer nicht voll war, wuchsen Frontmann Wille und seine Gang dennoch über sich hinaus.
Die Wahrheit ist eine schwierige Sache. Sie ist so wandelbar, so fluide, vor allem in der Nähe von Politikerinnen und Politikern. „Glücklich ist, wer vergisst“, sagt Helmut Schleich in diesem Zusammenhang – und fängt im Pantheon sogleich an, diesen Zustand zu korrigieren. Immerhin erinnert sich der bayerische Kabarettist nur zu gut an so manche Aussage, die die Regierenden gerne aus dem kollektiven Gedächtnis tilgen würden, und opfert sich bereitwillig, um diese Worte zu bewahren, statt sie im Orkus verschwinden zu sehen.
Playback will gelernt sein: In der gleichnamigen neuen Show des GOP-Varietétheaters Bonn dreht sich alles um die Illusion des Singens, um die perfekte Täuschung, die aus Akrobaten große Musikstars zu machen scheint. Und das mit Erfolg. Hits von Abba bis Zaz, von Rammstein bis zur Königin der Nacht, von Dirty Dancing bis zur Rocky Horror Picture Show bilden die Grundlage eines überaus charmanten Abends, der vielleicht artistisch nicht viel Neues zu bieten hat, dank des Gesamtkonzepts und vor allem dank einiger strahlender Figuren aber beste Unterhaltung verspricht.
Eigentlich sollte es eine Rettungsmission werden: Im Rahmen des Jazzfests Bonn haben Ida Nielsen und ihre Funkbots an ihrer Mission festgehalten, den Funk am Leben zu erhalten. Was im LVR Landesmuseum nicht wirklich funktioniert hat. Denn obwohl Nielsen eine überaus versierte Bassistin ist, die immerhin niemand geringeren als Prince in den letzten Jahren seines Lebens begleitet hat, reicht das alleine nicht aus. Funk ist schließlich mehr als Rhythmus, mehr als Slap-Bass und dichtes Trommelspiel, und dieses „mehr“ fehlt der Dänin, zumindest bei ihrem Besuch in der Bundesstadt.
Nebeneinander trifft Gegeneinander, Einheit trifft Polarität: Der zweite Abend des Jazzfests Bonn stand ganz im Zeichen des musikalischen Diskurses, wenn auch mit unterschiedlichen Ausprägungen. Während Vladyslav Sendecki und Jürgen Spiegel im VLR Landesmuseum die Harmonie des gemeinsamen Nenners fanden und daraus einen überaus lyrischen Dialog zwischen Klavier und Schlagzeug schufen, setzten Kit Downes, Petter Eldh und James Maddren (alias ENEMY) auf Gegensätzliches, auf aus dem Eigensinn geborene Kontraste, die sich gegenseitig ergänzten und doch zugleich die größtmögliche Unabhängigkeit ermöglichten. So entstanden zwei Konzerte, die melodisch, rhythmisch und dynamisch verschiedener kaum sein konnten und die doch im Grunde den gleichen Ausgangspunkt hatten – das Streben nach einem kreativen Austausch, der im besten Fall auch das Publikum ansprach. Was an diesem Abend mühelos gelang.
Klänge wabern durch den Raum, oft melancholisch, manchmal wuchtig, immer komplex und dabei doch so klar. Ein Genuss, nicht nur für Progressive-Rock-Fans. Nicht ohne Grund gewinnen Lazuli auch im 25. Jahr immer wieder neue Fans, die sich dem Sog der charismatischen Franzosen nicht entziehen können oder wollen. Zu eindringlich ist der hohe Gesang von Frontmann Dominique Leonetti, zu virtuos die eingestreuten Instrumental-Soli und zu hypnotisch die Grooves, die mal sanft dahinfließen und dann wieder die Band rigoros nach vorne treiben. Jetzt sind Lazuli zum zweiten Mal nach 2021 zu Gast in der Harmonie, mit ihrem neuen Album „Onze“ im Gepäck und mit der ihnen eigenen Spielfreude. Ein Erfolg: Die Mischung aus Leichtigkeit und Komplexität, aus Melancholie und Humor lässt niemanden im Saal kalt, und auch wenn nicht jeder im Publikum des Französischen mächtig ist, spricht die Musik doch ihre eigene Sprache. Und die ist nun einmal wunderschön.
Was ist Jazz? Improvisation? Interpretation? Oder das Überwinden von konventionellen Regeln hinsichtlich Rhythmus, Harmonie und Tonalität? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt es längst nicht mehr, ist ebenso sehr Auslegungssache wie die Musik selbst. Wie weit sich der Begriff des Jazz mittlerweile spannen lässt, hat das Bonner Jazzfest beim Eröffnungsdoppelkonzert in der Oper eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Denn sowohl Florian Weber und das Dogma Chamber Orchestra als auch Thomas D und The KCBS gehen über die herkömmlichen Definitionsversuche hinaus, während sie neue Wege für die Klassik (Weber) oder den Hip Hop (Thomas D) suchen. Vielleicht ist ja schon dieses Streben Jazz. Auf jeden Fall hat es in beiden Fällen zu etwas ganz Besonderem geführt, zu aufregender, pulsierender, lebendiger Musik – und das ist allemal wichtiger als die Diskussion über Schubladen.
Mit dieser Überraschung hatte wirklich niemand keiner gerechnet: In der neuesten Ausgabe der Konzert-Reihe „Max Mutzke & Friends“, die im Rahmen von „Quatsch keine Oper“ stattfindet, hat Gastgeber und Namenspatron Max Mutzke nicht nur einen, sondern gleich drei herausragende Musiker nach Bonn eingeladen, um mit ihm zusammen einen Abend der besonderen Art zu gestalten. Was von der ersten bis zur letzten Sekunde gelang. Gitarrist Bruno Müller, Star-Trompeter Joo Kraus sowie Sänger und Entertainer Sasha sorgten zusammen mit ihm und dem Matti Klein Soul Trio für pure Euphorie beim Publikum, das sich bereitwillig auf das Format eingelassen hatte und die einzigartige Mischung aus Soul, Jazz und R'n'B sichtlich genoss.
Fünf Herren, fünf Stimmen, keine Instrumente und ganz viel Spaß am Singen: Anders unterscheiden sich von ihrer Grundaufstellung her – entgegen ihres Bandnamens – eigentlich gar nicht so sehr von vergleichbaren Vertretern ihres Genres. Die Wise Guys, Basta oder Vocaldente sind (oder waren) mit einem nahezu identischen Konzept überaus erfolgreich. Doch während vor allem die beiden letztgenannten inhaltlich auf brachiale Komik setzen, erweisen sich Anders bei ihrem nunmehr zweiten Auftritt im Haus der Springmaus als weitaus dezenter. Und besser.
In Köln-Ehrenfeld klingt es derzeit an allen Ecken. Urbane Grooves treffen auf eindringliches Singer-Songwriting, experimentelle Elektro-Sounds auf die Spielfreude des Indie-Pop: Einmal mehr ist die c/o pop in den Szene-Stadtteil gekommen, um über die Zukunft des Musikgeschäfts zu reden und um einige der aufregendsten Solo-Künstler und Bands vorzustellen. Sie ist ist Musikfestival und Branchentreff, Diskussionsforum und vor allem ein Paradies für Entdecker. In diesem Jahr feiert der Nachfolger der Popkomm seinen 20. Geburtstag und bietet bis einschließlich Sonntag ein spannendes Programm, an dem sich mehr als 20 Clubs, Geschäfte und Dienstleister beteiligen. Die Rundschau hat sich bereits am Donnerstagabend ins Getümmel gestürzt – und einige neue Erfahrungen gemacht.
Im politischen Narrativ gibt immer (mindestens) zwei Seiten. Die der Guten und die der Bösen zum Beispiel, und ersteres sind in der Regel wir, also die Deutschen beziehungsweise der Westen. Sagen wir, also der Westen. Das macht es einfach, Entscheidungen als alternativlos darzustellen, als notwendig und richtig. Ob diese Zuordnung jedoch zutrifft und was die andere Seite darüber denkt, wird gerne verdrängt. Nur nicht von HG Butzko. In seiner 25-jährigen Kabarettistenkarriere hat der 58-Jährige stets versucht, das Schwarz-Weiß-Denken aufzubrechen und alle Standpunkte zu beleuchten, auch wenn das bedeutet, dass er dem Volk eben nicht nach dem Maul redet und in die unbequeme Rolle des Advocatus Diaboli schlüpfen muss. Anlässlich seines Jubiläums war er jetzt wieder im Pantheon zu Gast – und sucht gerade bei sensiblen Themen wie Corona-Impfung und Ukrainekrieg nach der Position der anderen.
Schifferklavier, Schweineorgel, Zerrwanst, Quetschkommode, Heimatluftkompressor: Diese und andere eigenwillige, oft augenzwinkernde Bezeichnungen für das Akkordeon sind ebenso bunt wie die Musik, für die das Instrument steht. Von Tango bis Walzer, von Musette bis Volksmusik reicht das Repertoire; nichts scheint unmöglich. Das hat zuletzt auch die Akkordeonale bewiesen, die nach drei Jahren Zwangspause nun endlich wieder in der Harmonie stattfinden konnte. Organisator Servais Haanen hat einmal mehr herausragende Kolleginnen und Kollegen vereint, die ihre Instrumente nicht nur virtuos beherrschen, sondern sie auch mit eigenen Ansätzen in der Gegenwart verankern. Oder tief in der Vergangenheit. Was auch zukunftsträchtig sein kann.
An diesem Abend sind alle eine Familie. 16.000 Menschen in der ausverkauften Lanxess Arena lassen sich von Pur in den Arm nehmen, lassen sich streicheln von den Wohlfühl-Pop-Schlagern, umgarnen von den gesungenen Liebeserklärungen und trösten von dem Traum universeller Brüderlichkeit, den die Band in inbrünstige Worte kleidet. Klingt kitschig, ist es mitunter auch – aber in den besten Momenten gehen Pur weit darüber hinaus. Denn berühren und bewegen kann die Band aus Baden-Württemberg durchaus, zumindest sobald sie Betriebstemperatur erreicht hat. Und ihre Fans einmal mehr ins Abenteuerland entführt.
Hennes Bender muss umplanen. Den Anfang in die Mitte, die Pause vor den Anfang, und das Ende – bleibt am Ende. Ist besser so. Und alles nur, weil der CD-Spieler des Pantheons und die CD mit der Eingangsmusik des 55-Jährigen nicht miteinander klarkommen. Kann passieren, insbesondere in der leider viel zu selten bespielten Lounge des Beueler Kleinkunsttempels. Aber dank einem eifrigen Techniker und einem improvisationsfreudigen Künstler ist das alles kein Problem, höchstens eine Herausforderung, und auch die ist kleiner als zunächst vermutet. Immerhin macht Bender, der leidenschaftliche Nerd mit einer besonderen Vorliebe für Spongebob Schwammkopf, ohnehin Stand-Up-Comedy und braucht nicht zwingend einen roten Faden. Sondern nur ein gut gelauntes Publikum, das ihn auch ohne Rock-Intro gebührend feiert. Was durchaus gelingt.
Eigentlich ist Nora eine Gefangene in einem Puppenhaus. Eine Frau, die alles zu haben scheint und doch in einem goldenen Käfig lebt – aber in einem, den sie selbst mit errichtet hat und den sie sorgsam pflegt. Das gleichnamige Stück von Henrik Ibsen erzählt von ihrer Befreiung oder ihrem Niedergang, je nachdem, wie die jeweilige Inszenierung aufgebaut ist. Das Laien-Ensemble Dauertheatersendung hat für ihre Adaption des Stoffes in der Brotfabrik ersteres angekündigt, aber letzteres umgesetzt. Beides geht nicht auf. Denn vor allem die Hauptfigur bleibt trotz aller Bemühungen von Hauptdarstellerin Xenia Zoller leider nicht wirklich greifbar, soll Opfer ebenso wie Täterin sein und verharrt doch nur in dem Raum dazwischen.
1994 haben viele Fans die Bläck Fööss für tot erklärt. Den Ausstieg von Sänger Tommy Engel, so fürchteten sie, würde die Band nicht überleben. Eine Fehlannahme. Und doch regten sich ähnliche Befürchtungen im Oktober vergangenen Jahres, als mit Erry Stoklosa und Bömmel Lückerath die letzten beiden verbliebenen Gründungsmitglieder ihren Abschied ankündigten – ein paar Monate später sollte Drummer Ralph „Gus“ Gusovius ihnen folgen. Jetzt, so echauffierten sich manche, sind die Bläck Fööss nur noch eine Coverband ihrer selbst. In der Harmonie zeigte sich nun, dass an den Befürchtungen durchaus etwas dran sein könnte. Und dass die Band trotzdem noch lange nicht unter die Erde gehört. Sondern auf die Bühne.
Jetzt ist Schluss. Endgültig. Also wahrscheinlich. Möglicherweise. Wenn er es sich nicht doch noch anders überlegt. Bei Andreas Etienne ist schließlich alles möglich, zumal der 68-Jährige nun einmal eine Rampensau allererster Güte ist und die Bühne ebenso liebt wie lebt. Dennoch will er – so die offizielle Position – sich mit einem letzten @rheinkabarett-Programm sowohl von seinem Bühnen-Ich als auch von seinem Alter Ego Amelie Keltenbacher verabschieden und sich neuen Aufgaben widmen, was bei seinen Kolleginnen und Kollegen Cosima Seitz, Christoph Scheeben und Michael Müller sowohl Trauer als auch Erleichterung auslöst. Doch wie so oft kommt es in „King Mum“ anders als man denkt.
Derbe Witze, freche Songs, kokette Choreographien und ein leidenschaftliches Spiel mit Geschlechterklischees: „La Vida Loco“, das neueste Programm der Familie Malente (Knut und Dirk Vanmarcke), ist eine Dragshow in allen Schattierungen des Regenbogens, bissig, zotig, schrill und kunterbunt. Zugleich zeigen sich die Vanmarckes, die am Premierenabend ihren 25. Jahrestag gefeiert haben, allerdings so persönlich wie nie zuvor. Natürlich steht der Spaß an erster Stelle, soll das Leben geliebt und die Liebe in all ihren Facetten gelebt werden – doch hinter der Maske der Kunstfigur Loco Flanel (Knut Vanmarcke) und ihres Göttergatten stecken auch zwei Menschen, die es nicht immer leicht hatten und die jetzt ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern, nicht um sich zu beklagen, sondern um zu sensibilisieren. Ja, es gab auch graue Tage, ohne Glanz und Glitter. Aber auch viele in Farbe.
Weiter geht es, immer weiter. Nur nicht aufhören. Immer wieder treiben neue Klang-Gebilde durch den Saal der Harmonie, neue Motive, neue Ideen, alle unterschiedlich und doch irgendwie zusammen passend, wie ein gigantisches Puzzle voller akustischer Strahlkraft. Keine Frage: Was die kanadische Prog-Rock-Band Mystery an diesem Donnerstagabend abliefert, ist mindestens phänomenal, häufig sogar besser und niemals langweilig. Dabei pflegen die Kanadier um Mastermind Michel St-Père eigentlich einen vergleichsweise eingängigen Stil, verzichten weitgehend auf die sonst in der Szene so beliebten Ton-Experimente und die komplexen Verschachtelungen – aber gerade deswegen können sie ihre starken Melodien auch in epischer Breite ausspielen und die Stücke atmen lassen. Was Wunder wirkt. Und auch eine Kunst an sich ist.