Am Anfang war das Feuer. Hier, im Zentrum des Lagers, versammelten sich vor Tausenden von Jahren die ersten Menschen, um sich gemeinsam vor der Nacht zu schützen, um zu beten, um zu gedenken und um Musik zu machen. Diesen Gedanken nimmt auch Peter Gabriel bei seinem Besuch in der ausverkauften Kölner Lanxess-Arena auf, indem er seine Band um ein solches gruppiert und von dort aus eine Reise durch Raum und Zeit beginnt, die leider nicht allzu lange anhält, aber dennoch zu den eindrucksvollsten Einleitungen der vergangenen Jahre gehört. Und das war nur der Anfang.
Zunächst schien es, als würde Peter Gabriel, der nach eigener Aussage ähnlich wie Abba nur seinen Avatar auf die Bühne geschickt hat und ansonsten genüsslich in der Karibiksonne liegt, den Abend
als Konzeptkonzert gestalten, die Menschheitsgeschichte reflektieren und die größten Herausforderungen der Gesellschaft kommentieren. Klimawandel, Künstliche Intelligenz, Digitalisierung – damit
setzt sich der 73-Jährige auseinander, wie sich der Texte entnehmen lässt, die er auf deutsch vorliest und den verschiedenen Titeln seines kommenden Albums „i/o“ voranstellt. Die entsprechenden
Stücke will er jeden Monat zum Vollmond veröffentlichen, elf hat er bereits im Repertoire. Leider hält Gabriel den anfänglichen Impetus nicht lange aufrecht, verzichtet zunehmend auf die
Botschaften und irgendeine Art von Struktur, springt zwischen den Themen hin und her und baut auch kurzerhand ein paar Klassiker ein. Andererseits verlangt das Publikum nun einmal nach den großen
Hits, nach „Sledgehammer“ und nach „Solsbury Hill“. Und diesen Wünschen verweigert sich Peter Gabriel nun einmal nicht.
Dabei sind auch die neuen Songs durchaus hörenswert, nur vielleicht in einer anderen Reihenfolge. Immerhin: „Panopticom“ rockt die Arena, das hypnotische „The Court“ erinnert an Pink Floyds
„Another Brick in the Wall“, und „Playing for Time“ erweist sich als charmante Ballade, die zunächst langsam und dann sprunghaft alle Aspekte orchestraler Dynamik auszureizen versucht. Schön,
auch das folgende „Olive Tree“, das mit seinem pulsierenden Sound durchaus eine Referenz an Genesis sein könnte – doch das Publikum verlangt nach mehr. Und so holt Gabriel kurzerhand seinen
beliebten Vorschlaghammer („Sledgehammer“) raus und reißt die Menge von den Stühlen, bevor es in die Pause geht.
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Der zweite Teil reflektiert den ersten. „Darkness“ leuchtet eine dunkle Ära ein, „Love Can Heal“ geht über in „Road to Joy“ mit seinen flirrenden Ambient-Motiven. Die exzellente Band geht jeden
Schwenk mit: Manu Katché begeistert einmal mehr mit seinem ebenso präzisen wie lyrischen Schlagzeug-Spiel, Bassist Tony Levin spielt souverän und Cellistin Ayana Witter-Johnson sorgt nicht nur
mit ihrem Instrument für ein Element der Wärme inmitten der orchestralen Pracht. Als Sängerin ist die Britin die ideale Ergänzung zu Peter Gabriels kehlig-kantiger Stimme, die nur selten
emotional wird. Er singt, um zu erklären, um sich mitzuteilen und um eine Botschaft zu vermitteln – sie dagegen lässt das Publikum diese Botschaften fühlen.
Gut zwei Stunden (plus Pause) präsentiert Peter Gabriel seine Vision einer besseren Welt, mitunter etwas fragmentiert, aber immer musikalisch bezaubernd und visuell eindrucksvoll. Letzteres
liegt nicht zuletzt an den verschiedenen bildenden Künstlern, die der 73-Jährige für sein „i/o“-Projekt hinzugezogen hat, darunter Ai Weiwei, dessen „Middle Finger in Pink“ sich gegen die
Mächtigen im Allgemeinen und im Falle Gabriels gegen den Tod im Besonderen richtet. Das Publikum ist denn auch begeistert, obwohl die Akustik an einigen Stellen nicht ganz optimal gewesen sein
soll. Unter den Besuchern findet sich übrigens auch ein echter Megastar: Bruce Springsteen, der selbst derzeit auf Tour ist und am 21. Juli in Düsseldorf auftritt, verfolgt die Show vom Mischpult
aus.
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