Schauspieler müssen doch wandlungsfähig sein, hat sich der Herr Rössler gedacht. Passt also zum diesjährigen Motto des Beethovenfests. Super, Programm steht. Und so stehen bei der 4. Jazz-Matinee in der Post-Tower-Lounge eben Filmmusiken im Mittelpunkt des Programms, das der Pianist und Arrangeur Uwe Rössler zusammen mit seinem fröhlich streichenden Tiffany-Ensemble zum Besten gab. Mal sieht man förmlich Al Pacino in „Der Duft der Frauen“ Tango tanzen, dann wieder Thomas O'Malley und die Aristocats fröhlich abjazzen, Johnny Depp die Piratenflagge hissen oder den aufgebockten Humphry Bogart (um den Größenunterschied zwischen ihm und Ingrid Bergman auszugleichen, stand der Schauspieler oft auf einer Kiste) zu „As Time goes by“ in sein Café stürmen. Dazu kommen brillante Ragtimes, Zigeunerweisen und sogar ein paar Auszüge aus Bizets Oper „Carmen“. Nur auf ABBA hätten die Fünf verzichten können.
Alles Warmduscher heutzutage, Wellness-Fans und Weicheier. Das kann der stänkernde Stunk-Bademeister gar nicht leiden. Früher, da herrschte noch Zucht und Ordnung. Da gab's noch einen Hauch von Guantanamo, da war man noch gestählt. Willensstark. Radikal. In diesen Zustand müssten die Menschen wieder zurückkehren. Ist erwiesenermaßen gesund. Und gesund ist gut. Weshalb sich die Mitglieder von Stunk unplugged auch dahingehend orientieren und im Brückenforum teils satirisch-böse, teils hochpolitisch und häufig beides sind.
Acht Jahre ist es her, dass beim Bonner Beethovenfest zuletzt der „Fidelio“ erklang, die einzige Oper des berühmtesten Sohnes der Stadt. Damals sorgte Günter Krämers Inszenierung für teils wütende Proteste – jetzt blieb die Inszenierung kurzerhand außen vor. In der halb-szenischen Aufführung der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Paavo Järvi waren Gestik und Mimik irrelevant, das Auge blickte enttäuscht auf eine Wand schwarz gewandeter Gestalten. Stattdessen standen die Musik und die ihrerseits umstrittenen Zwischentexte von Walter Jens im Mittelpunkt. Offenbar eine vernünftige Herangehensweise: Das Publikum spendete großzügigen Applaus, sah keinen Anlass für derartige Buh-Rufe wie 2005. Und das, obwohl längst nicht alles ohne Fehl und Tadel war.
Fröhlich aufspielende Geigen, flotte Flöten, brillante Rhythmen, dazu jede Menge lachender und vor allem steppender Menschen – all das gehört spätestens seit „Riverdance“ zum typischen Klischee irischer Musik. Ist ja auch nicht so weit von der Wahrheit entfernt, sieht man mal von den Tänzern auf den Tischen ab. Aber jenseits von Jigs und Reels hat die Smaragd-Insel noch mehr Traditionelles zu bieten: Etwa gälische Gesänge im „Sean nós“, im alten Stil, aus dem Mittelalter und der Renaissance stammend, einfach und doch wunderschön. Dies hat auch Caitríona O'Leary gezeigt, die zusammen mit dem Quartett Dúlra im Volksbankhaus für einen Abend der besonderen Art sorgte. Strahlend klar trug sie jene Lieder ihrer Heimat vor, die eben nicht für den Pub, sondern vielmehr für ganz besondere, intime Gelegenheiten reserviert sind, eigentlich unbegleitet und daher von Dúlra nur mit einer minimalistischen Begleitung unterlegt. Nichts durfte den beeindruckenden Gesang stören, übertönen, umlenken – alles war ausgerichtet auf O'Learys perfekte Intonation und ihre Verzierungen der alten Melodien.
Politisches Kabarett ohne Struktur, ohne Plan – das kann nicht wirklich funktionieren. Ein gutes Programm steht und fällt mit einer logischen Verkettung fundierter, pointierter Argumente, mit exzellenter Rhetorik nach altem Vorbild, mit Aussagen, die solide unterfüttert werden mit Hintergrund-Informationen. Anderenfalls fällt jeder Satz, jeder Witz in sich zusammen. So wie jetzt im Pantheon Casino. „Vielleicht lesen Sie zwischen den Zeilen – auch wenn da nichts steht“, empfehlen Team & Struppi ihren Gästen am Ende ihres Programms. Genau ins Schwarze.
Wussten sie, dass im Aachener Dom die Windeln Christi liegen? Und dass diese Tatsache etwas mit dem neuen Programm von Marc-Uwe Kling zu tun hat? Denn, so erklärt der Poetry-Slammer, Känguru-Kenner und Buchautor im ausverkauften Brückenforum den gut 900 Fans, je absurder eine Information, desto leichter lässt sie sich merken. Deshalb gewinnt die Jesu-Pampers auch vor seinem Lendentuch, dem Kleid der Maria und dem Enthauptungstuch Johannes des Täufers, die als Heiligtümer ebenfalls in der alten Kaiserstadt liegen. Und deshalb bleiben auch eher die Ideen des kommunistischen Kängurus hängen, das in Klings Büchern mit diesem in einer Wohngemeinschaft lebt, als die Worte des Erzählers.
Elektronik trifft Folk, wabernde Spährenklänge aus einer Loop-Maschine auf einen virtuosen Geiger: Üblicherweise würde jetzt der so gerne bemühte Begriff „Crossover“ fallen. Doch bei Pekka Kuusisto wäre dies fatal. Der Finne hasst dieses Wort, impliziert es doch zuvor vorhandene Grenzen, die überschritten werden müssen. „Es ist alles einfach Musik“, sagt er. Und lässt dann sein Instrument sprechen. In der Straßenbahnhalle Dransdorf erweckt er die Polskas und Menuette zu neuem Leben – in der ersten Konzerthälfte ganz allein, nur durch die Technik unterstützt.
Eine herrlich warme, leicht kehlige, schwarzsamtene Jazz-Stimme, dazu virtuose Pickings eines exzellenten Gitarristen: Mehr braucht es nicht für ein beeindruckendes Konzert. Das Duo Friend & Fellow hat dies bei ihrem magischen Konzert in der Harmonie einmal mehr unter Beweist gestellt. Nach einer kreativen Auszeit, in der die beiden Material für ein neues Album gesammelt haben, können sich die Fans nun erneut auf die bezaubernde Constanze Friend freuen, die vom leichten Sommerhauch bis hin zum Wintersturm alles in ihren Gesang packen kann.
Es ist eine Show der Superlative, die im Pantheon Station macht. Groß- statt Kleinkunst. Wie sollte es auch anders sein: Wenn der einzigartige Tony Mono die Bühne betritt, haben selbst Superstars in einem Umkreis von 100 Kilometern keine Chance. Im Notfall werden sie mit Bässen platt gemacht, wie neulich Helge Schneider leidvoll erleben durfte. Die einzige Alternative: In die Show kommen. Was denn auch viele tun und sich bei dem Dauerplatin-Produzenten die Klinke in die Hand geben.
Immer wieder der selbe Ablauf: Aus dem drohenden Marschieren der Celli und Trommeln, dem aggressiven Duktus der Wut erheben sich fast schon sakral klingende Geigen in hoffnungsvoller Harmonie, nur um kurz darauf abzustürzen, zurück in diesen Strudel aus Verzweiflung und Grauen. Bis zur nächsten, noch weiter gesteigerten Auferstehung. Ein eindrucksvolles, ein komplexes, ein schweres Werk, das Krysztof Penderecki unter dem Einfluss des 11. Septembers 2001 aus eigentlich leichten, lebensbejahenden Skizzen schuf. Im Jahr seines 80. Geburtstages dirigierte der „spätmoderne Klassiker“, einer der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts, seine ernste „Resurrection“ für Klavier und Orchester nun im Rahmen des Bonner Beethovenfests in der Beethovenhalle.
Aus drei mach zwei, und weiter geht’s: Nach gefühlten sechs Jahren (tatsächlich acht Monaten) Tourpause und zahllosen Aufforderungen aus dem engeren Bekanntenkreis, doch mal wieder irgendwo anders hin zu gehen, haben es Matthias „C“ Zeh und Rainer Schacht vom Anfang des Jahres zu Grabe getragenen Comedy-Liedermacher-Trio „Ganz Schön feist“ nicht mehr zu Hause ausgehalten. Nach 24 Jahren Bandleben kaum überraschend. ls „Die Feisten“ sind die beiden von nun an unterwegs und haben sich am vergangenen Dienstag im Bonner Pantheon erstmals der zahlenden Öffentlichkeit präsentiert. Mit riesigem Erfolg.
„Ich kann mit glücklicherweise erlauben, nur noch das zu machen, was mir Spaß macht“, hat Heribert Beissel einmal in einem Interview gesagt. Doch das ist eine Menge. In der Beethovenhalle hat der vor knapp sechs Monaten 80 Jahre alt gewordene Gründer und ständiger Leiter der Klassischen Philharmonie Bonn dies einmal mehr unter Beweis gestellt, bot prächtige Dynamik in Werken voller thematischer Vielfalt und konnte dabei neben seinem gewohnten Orchester auf einen Welt- und einen Jungstar zurückgreifen: Neben der 23-jährigen Sopranistin Anna Lucia Richter, die im finalen Satz von Mahlers 4. Sinfonie die Gesangspartie übernahm, war Klarinettenkönigin Sabine Meyer nach Bonn gekommen, um ihrem alten Mentor nachträglich mit Carl Maria von Webers 1. Klarinettenkonzert zum Geburtstag zu gratulieren.
An Selbstbewusstsein fehlt es Kool Savas und Xavier Naidoo wahrlich nicht. Der selbsternannte King of Rap und der nicht minder stolze King of Soul haben am Samstag als Xavas die KunstRasen-Saison 2013 beendet und dabei ein letztes Mal fette Beats aufgefahren. Genau das, was das Publikum will: Die „unglaublich erfolgreichen Popstars“ (so singen die beiden in „Die Zukunft trägt meinen Namen“) werden frenetisch empfangen, tausende Arme und Hände wippen im Takt, viele schwenken Handys oder Kleinkameras, von hinten sieht es aus wie ein Meer von wogenden Leuchtfischen. Hat schon was.
„Come fly with me“, trällert Adrienne Haan, und das Publikum in der PostTower Lounge folgt dieser Aufforderung gerne. Auf zu einem Rundflug durch das Great American Songbook, durch blaue Himmel Richtung Mond und zurück – wer kann da schon Nein sagen. Zumal die bezaubernde Bonner Sängerin, die im Rahmen des Beethovenfests bereits im vergangenen Jahr begeisterte, mit ihrer „little big band“ (Klavier, Saxofon, Bass, Schlagzeug) von Anfang an fröhlich losswingt. Doch ihr Auftritt ist mehr als nur ein Jazz-Liederabend: Es ist eine Show, samt Kostümwechsel, gelegentlichen Ausflügen ins Publikum, dem koketten Umgarnen von Gästen und jeder Menge Pathos.
Perkussive Wassertropfen und Gewitterbögen schweben über einem bedrohlich dissonanten Orchester mit teils quietschenden Streichern, die sonst in einem klaustrophobisch engen Tonraum ohne große Melodielinien zu agieren haben. Nein, schön im Sinne einer klassischen harmonischen Ästhetik ist Coriglianos Komposition „Conjurer“, das das Pittsburgh Symphony Orchestra (PSO) unter der expressiven Leitung von Manfred Honeck am Mittwoch im Rahmen des Beethovenfests zusammen mit Schlagwerk-Zauberer Martin Grubinger aufführte, über weite Strecken nicht gerade. Dafür aber ungeheuer intensiv, fesselnd, verzaubernd.
Schräg, schwirrend, sphärisch: Mit Jörg Widmanns „Armonica“ bildete eine sehr ungewöhnliche Komposition den Auftakt des diesjährigen Beethovenfests in Bonn. Das Werk, das die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Kent Nagano in der ausverkauften Beethovenhalle spielte, erinnerte in weiten Teilen eher an die Hintergrundmusik eines Horrorfilms, der stetig atmende Klangkörper des Orchesters ein in den Schatten verborgener Koloss. Doch bei aller harmonischer Modernität hat Widmann vor allem mit dem Rückgriff auf eine Glasharmonika (gespielt von Christa Schönfeldinger) bewusst Bezug auf die Klassik genommen: Das heute exotisch wirkende Instrument war im 18. Jahrhundert sehr beliebt, Mozart selbst hat dafür ein Quintett und ein Solostück komponiert, ähnlich wie Hector Berlioz, Carl Maria von Weber und Camille Saint-Saëns.
Fit ist er noch, kein Zweifel. Morgens Yoga, dann ein bisschen Hühnersprache für den Besuch beim Bäcker, das fördert die körperliche und geistige Gesundheit ungemein. Dann verliert auch das Altern seinen Schrecken, wie Jochen Busse in seinem ersten Solo-Programm „Wie komm ich da jetzt drauf“ beweist, das seit Mittwoch im Contra-Kreis-Theater zu sehen ist. Auch wenn der Text des „Faust“ inzwischen zum Teil den „weißen Rosen aus Athen“ gewichen ist, muss das noch lange nicht heißen, dass man zu einer beige und matschbraun gewandeten menschlichen Ruine wird, sich mit Bekannten nur noch auf Beerdigungen trifft und konsequent in der Vergangenheit lebt. Die Gegenwart hat genug Lohnenswertes zu bieten – trotz dem TV-Duell zwischen Angela Merkel und Per Steinbrück, gleichgeschalteten Talkshows, Ernährungsberatern und Frauen mit Manefaktum-Haltung.
Bässe dröhnen, Arme wippen, Lichter flackern, während auf der Bühne sechs seltsame Vögel eine sehr eigenwillige Version eines Kinderlieds zum Besten geben. Nein, normal ist Deichkind wirklich nicht. Aber unterhaltsam. Die Hamburger Hip-Hop- und Electropunk-Formation ist immer in Bewegung, wechselt teilweise im Sekundentakt die Kostüme, wirft sich mal bemalte Müllsäcke über und setzt sich dann wieder ihre berühmten leuchtenden Silent-Hill-Pyramidenköpfe auf, immer dazu rappend, singend, tanzend. Stillstand ist der Tod. Langeweile auch.
Offiziell hat das diesjährige Beethovenfest noch gar nicht begonnen, erst am 6. September steht das Eröffnungskonzert auf dem Programm. Am vergangenen Freitag gab es auf dem KunstRasen in der Bonner Rheinaue jedoch einen Vorgeschmack auf das große Klassikfestival – und zwar einmal mehr mit jener Art von Grenzgängern und mutigen Erneuerern, die das Beethovenfest seit Jahren fördert. Die Trompeterformation „Ten of the Best“ von Otto Sauter hatte sich dafür, passend zum 200. Geburtstag des Komponisten, der Musik Richard Wagners angenommen, diese aber kurzerhand in den US- und lateinamerikanischen Raum übertragen. Wagner auf Weltreise.
Vom Publikum wird er gefeiert wie ein Rockstar. Es wird getanzt, gesprungen, gewunken, die Stühle im hinteren Teil des KunstPalasts in den Bonner Rheinauen sind nur Staffage, alle stehen ohnehin, um Heino zu erleben. Heino, den König der Volksmusik – und jetzt eben Heino, den Rocker, der auf seiner CD „Mit freundlichen Grüßen“ (es ist das erste Nummer-Eins-Album in der Karriere des blonden Barden und eines der erfolgreichsten Alben der deutschen Musikgeschichte) deutschsprachige Pop- und Rock-Songs covert.
Früher lautete die Frage „Was guckst du?!“, heute ist es eher „Was sprichst du?!“. Denn auch wenn Kaya Yanar schon immer von anderen Ländern und anderen Sitten fasziniert war, mit Sprachen ebenso gerne spielte wie mit Klischees, hat der Vielgereiste nun fast sein gesamtes Programm darauf ausgerichtet – beziehungsweise jene Mischung aus Altem und Neuem, die er im KunstPalast in der Gronau präsentierte.
Die Trompeten klirren, das Schlagzeug treibt, dazu schwungvolle Gitarren und die unvergleichliche Stimme von Joey Burns: Die Desert-Rock-Band Calexico hat im KunstPalast eindrucksvoll ihre Wüstenmagie erweckt und eines der besten Konzerte der aktuellen KunstRasen-Saison abgeliefert. Mariachi-Klänge treffen in ihrer Musik auf Folk, Country und Jazz, ein mächtiger fast schon orchestraler Sound lässt an straubtrockene Ebenen und epische Weiten denken, an Fiestas und Siestas. Wenn diese Bilder doch nur der Wahrheit entsprechen würden. Denn inhaltlich malt Calexico meist ein anderes Bild, ein kritischeres, singt von Grenzen, Zäunen, Flüchtlingen, illegalen Einwanderern.
Das Publikum ist heute im Fernsehen. Also bitte lächeln, jubeln, applaudieren. Zur Sicherheit noch ein paar Mal üben, falls es doch noch Leute gibt, die so etwas noch nie zuvor gemacht haben. Dann Vorhang auf – und los geht’s mit der neuesten Ausgabe des Varietéspektakels, das nach seiner Premiere im Kölner Senftöpfchen nun für zwei Wochen im Pantheon zu Gast ist. Die „Show Télévisé“ entführt die Besucher in die Welt hinter der Mattscheibe und zugleich in eine Ära, als Twix noch Raider hieß, Fernsehserien wie „Dallas“ Millionen fesselte und die Mode neue Dimensionen der Peinlichkeit erreichte.
Es ist ein Wollny-Abend. Jedes Mal, wenn der junge Tastenzauberer im KunstPalast zu einem seiner brillanten Soli ansetzt, steigt die Spannung im Publikum an, die Improvisationen genießend, um sich dann in tosendem Applaus zu ergießen, der dem Pianisten fast schon peinlich zu sein scheint. Derweil steht Nils Landgren lächelnd daneben, lässt Wollny den nötigen Freiraum. Warum auch nicht? Macht schließlich Spaß, dem 35-Jährigen zuzuhören, wie er mit virtuosen Läufen und teils verrückten Harmoniegebilden auf eine Gesangspassage oder ein schmelzendes Horn-Solo Landgrens reagiert.
Bonn scheint es diesmal nicht gut mit Bosse zu meinen. Die Vorband muss wegen Krankheit absagen, auch Keyboarderin Valeska Steiner liegt nachmittags flach. Und dann noch dieser Stress mit der Klage eines 55-jährigen Bauingenieurs, der jetzt erst nach Beuel-Süd ziehen wird, aber gleich schon einmal gegen den KunstRasen vor Gericht gezogen ist und durchsetzen konnte, dass die Lautstärke sich nach seiner „subjektiven Wahrnehmung“ richten muss, wie der zuständige Richter festlegt hat. Ergebnis: Die Bässe wurden um 30 Prozent heruntergefahren, auch an die Höhen wurden kräftig zusammengestrichen. „Eigentlich genau das, wofür man einen Tontechniker braucht“, sagt Bosse, der es sich trotz dieser ganzen Hürden nicht nehmen lassen wollte, im KunstPalast aufzutreten.
Wie Las Vegas, nur eben ganz anders: So ist laut Helge Schneider Bonn, und so sind auch in der Regel seine Konzerte. Im KunstPalast (zumindest der Name würde gut zwischen das Bellagio, das Mirage und den Caesar's Palace passen) ließ der Meister des Katzenklos seine großen Hits Revue passieren, hatte Band, Butler und Gogo-Tänzer dabei und blödelte immer wieder genussvoll herum, indem er etwa von seiner Karriere als Schönheitschirurg und der Entstehung der Welt erzählte. Jazz-Genie und Clown in einer Person. Typisch Helge. Alles, nur nicht normal.
Überraschend viele Männer sind an diesem Samstag in den KunstPalast gekommen. Wahrscheinlich fast allesamt Opfer weiblicher Überzeugungskraft. Ein thematischer Reiz wird bei den Herren mit ziemlicher Sicherheit in den wenigsten Fällen eine Rolle gespielt haben. Denn wenn Ex-Missfit Gerburg Jahnke zu ihrer Mixed Show einlädt, geht es immer nur um eins: Frauen und ihre Probleme. Ob Schuhschmerzen, Kindergeschrei, würdevolles Altern oder wanderndes Bindegewebe mit der Neigung zur Klumpenbildung, das dann nicht mehr den Weg zurück zu seinem Ausgangspunkt findet – es sind immer die selben, vorhersagbaren Bereiche, die von Jahnke und ihren Gästinnen beackert werden. Das aber immerhin weitgehend gut.
„Oh Bonn, ihr seid fantastisch!“ Was so ein bisschen Hitzeresistenz doch ausmachen kann. Madsen-Bassist Nico Maurer zeigt sich auf jeden Fall sehr angetan von den Fans, die im Bonner KunstPalast den tropischen Temperaturen Paroli bieten, fröhlich auf und ab springen und lautstark sämtliche Texte der Deutschrocker mitsingen. Auch der Rest der Band ist begeistert, von Frontmann Sebastian über Co-Gitarrist Johannes bis hin zu Schlagzeuger Sascha Madsen („ihr habt sein Herz erobert“, erklärt Sebastian) – und das obwohl sie in der Bundesstadt eigentlich noch deutlich mehr gewohnt sind.
Die Luft ist schlimmer als in einer Sauna, schweißgeschwängert, vernebelt, heiß. Die Versuche des Service- und Sicherheitspersonals, für ein wenig Erfrischung zu sorgen, scheinen zumindest direkt vor der Bühne des KunstPalasts keine Wirkung zu erzielen. Aber hier kocht ohnehin die Tanzwut, ragen die Arme in die Höhe, hüpfen klatschnasse T-Shirt-Träger auf und ab – zu bayerischer Blasmusik. Gut, nicht zu der traditionellen Variante, nicht zum Wump-ta-ta alter Marschkapellen, sondern vielmehr zum Hochgeschwindigkeits-„Ra-ta-ta-ta-tat“ von LaBrassBanda. Spätestens seit ihrem zweiten Platz beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest 2013 (an dem nur das bizarre Jury-Urteil Schuld war – im Nachhinein ein Segen) ist die Formation mit ihrer ungewöhnlichen Stilmischung in aller Munde. Alpen-Techno mit Funk-, Gypsy- und Ska-Einflüssen. Hauptsache schnell.
Tina Turner, Etta James, Janis Joplin: Die Vergleiche, mit denen Beth Hart teilweise belegt wird, legen die Messlatte für die 41-jährige US-Sängerin hoch. Aber nicht zu hoch, wie sie im
KunstPalast in der Gronau eindrucksvoll unter Beweis stellt. Mit unbändiger Kraft schleudert sie ihre Rock- und Blues-Songs in den Raum, die eigenen ebenso wie die Cover-Versionen ihrer großen
Vorbilder, von schwierigen Erfahrungen zehrend und sich zugleich gegen diese aufbäumend. „Ich lass mich nicht unterkriegen“, scheint die Botschaft zu sein, die Hart mit ihrer Musik vermittelt.
Auch nicht von der schwülen Hitze, die unter dem Zeltdach des leider recht schmucklosen KunstPalasts herrscht.
Da tanzen sie im Sonnenschein: Männer in papageienfarbenenen Kostümen und Frauen mit Blumen im Haar, Riesen-Sonnenbrillen auf den Nasen, allesamt bestens versorgt mit Bier, Cocktails und guter Laune, einem Mann mit hervorquellendem Brusthaartoupet zujubelnd, der gerade über einen kleinen zusätzlich installierten Laufsteg von der Bühne des KunstRasens aus in Richtung Menge schreitet, ein goldenes Mikrofon in der Hand hält und nach der Zeit fragt. „Sag mir quando, sag mir wann“, singt Dieter Thomas Kuhn – und die heimliche Antwort lautet „Sofort“. Schließlich hat das Wiedersehen mit den Bonner Fans gerade erst begonnen, die Schlager-Party steht noch ganz am Anfang. Bis zur Aftershow-Party und dem angekündigten Nachtnacktbad im Rhein muss einiges geschehen. Immerhin: Band und Besucher sind gleichermaßen willig.
Eigentlich ist jeder seiner Songs einer von Licht und Liebe: „Fühle das Licht in deinem Herzen“, sagt Santana im Vorfeld zu Marvin Gayes „Right On“, „dann wirst du Wunder bewirken können.“ Eine Erleuchtung, die der Meister selbst schon seit Betreten der Bühne auf dem KunstRasen ausstrahlt. Gut gelaunt geben der 65-Jährige und seine Santana Blues Band bei dem ersten von nur zwei Deutschlandkonzerten von der ersten Sekunde an Gas, zaubern treibende lateinamerikanische Rhythmen und opulente Instrumentalparts aus dem Hut – und einen Hit nach dem anderen.
Da sind sie endlich, die legendären Power-Chords von „Smoke on the Water“. Fast sieben Stunden haben manche Fans auf diesen Moment hingefiebert, auf diesen Höhepunkt eines krachend harten Nachmittags und Abends voller exzellentem Rock in all seinen Facetten. Jetzt leitet Steve Morse mit dem berühmten Blackmore-Intro einen 40 Jahre alten und dennoch taufrisch klingenden Klassiker ein, dann folgen Don Airey am Keyboard, der Roger Glover vertretende Ex-Jamiroquai-Bassist Nick Fyffe, der schon 2011 mehrere Konzerte in dieser Formation gespielt hat, und natürlich der schier unverwüstliche Ian Paice an den Drums. Ganz zum Schluss noch Ian Gillan, der aber zumindest den Refrain vertrauensvoll dem Publikum überlässt. Deep Purple Mk VIII.5 legt los. Und die Fans toben.
Jetzt aber Tempo! Phillipp Pöhner jagt über Cajón und Becken, Gitarrist Lukas Uecker schrammelt fleißig seine Akkorde und Sänger Daniel Michel röhrt die Liedfett-Texte ins Mikrofon. Irgendwie muss das Liedermacher-Trio ja die halbstündige Verspätung wieder reinholen, mit denen ihr Konzert im Pantheon-Casino begonnen hat. Andererseits: Bei den Hamburgern ist das durchgetretene Gaspedal normal. Langsame, besinnliche, ruhige Stücke, die viele andere Liedermacher dazu nutzen, um feinsinnige Texte und filigrane Melodien zu verweben, sind nichts für die Band, die 2011 mit dem Sieg des „Hamburg rockt“-Wettbewerbs ihren Durchbruch feiern konnten.
Ausnahmen bestätigen die Regel. So wie Konrad Beikircher, der zwar nicht als Rheinländer geboren wurde, aber dank des Studiums in Bonn zu einem solchen Exemplar mutierte beziehungsweise transzendierte und heute einer der Vorzeige-Missionare von kölscher Sprache und Lebensart ist. Seit 35 Jahren steht der Kabarettist und Musiker nun schon in dieser Funktion auf der Bühne. Wenn eine Ehe so lange hält, spricht man von der Leinwandhochzeit, und da das so ein schöner Begriff ist, hat der Beikircher ausnahmsweise beschlossen, dieses Jubiläum auch mit einem entsprechenden Programm zu feiern.
Für manche Menschen ist Ästhetik harte Arbeit. Und eine Einstellungssache. „Das Ruhrgebiet schön finden, das muss man wollen“, sagt Frank Goosen im Pantheon. Der Kabarettist weiß, wovon er redet: Im Pott geboren, im Pott geblieben und wahrscheinlich für den Rest seines Lebens im Pott überdauern werdend ist er mehr als willig, ist leidenschaftlicher Verteidiger und Botschafter einer mit vielen Vorurteilen (von denen laut Goosen die meisten wahr sind) belasteten Region im Herzen Deutschlands. Nun klärt Goosen auf.
Mal sind es Töpfe, dann wieder Glocken oder quietschende Handpuppen: Die Mitglieder der Tanzcompagnie „Sheketak“ machen in der Bonner Oper vor nichts halt, um ihre Vorstellungen von Rhythmus und Klang zu verdeutlichen. Alles geht, alles kann, darf und sollte verwendet werden. Selbst das Bellen eines Hundes oder ein anfahrendes Auto. In meist absurden Clownerien voller Slapstick und beeindruckender Körperbeherrschung schaffen die acht Israelis ein herrliches Zusammenspiel von Percussion, Bass- und Keyboard-Klängen – eine Art der Performance, wie sie „Stomp!“ Anfang der 90er begründet hat.
Ganz dezent ist das Arrangement von „I love to kill you“, ganz leicht. Der Tötungswunsch steckt in Zuckerwatte. Es ist die große Stärke von Katie Melua, derart zerbrechliche Songs zu schreiben und ihnen dann die nötige Spannung zu verleihen, um bis in die letzte Reihe des KunstRasens zu tragen. Ihre größten Hits, die sie natürlich in Bonn ebenfalls spielt, unterstreichen das: „The closest thing to crazy“ und „Nine million bicycles“ besitzen ebenfalls dieses zarte Geflecht – und dazu diese unschuldig wirkende, verträumte Stimme, so als ob die 28-Jährige in Gedanken ganz weit weg ist, irgendwo versunken in ihrer eigenen Phantasiewelt.
Carl Orffs berühmte „Carmina Burana“ mit dem wuchtigen „O Fortuna“ gehört mit Sicherheit zu den beliebtesten Chor- und Orchesterwerken der westlichen Welt. Gerne wird dabei allerdings ignoriert, dass das Werk eigentlich als szenische Kantate komponiert wurde. Die Staatsoper Plovdiv hat nun auf dem KunstRasen mit diesem Missstand aufgeräumen und mit rund 120 Mitwirkenden Orffs Vertonung von Lied- und Dramentexten aus dem 11. und 12. Jahrhundert als farbgewaltiges, idealisiertes Mittelalterspektakel inszenieren wollen. So weit die Ankündigung. Das Ergebnis blieb allerdings aufgrund einer sub-optimalen Akustik, nicht immer überzeugenden Solisten und einem recht kleinteiligen Schauspiel etwas hinter den Erwartungen zurück.
Da strahlt sie wieder, die quirlige, springfreudige Zaz. Regen? Egal. Auf dem KunstRasen strahlt die französische Sängerin genug genuine Leidenschaft aus, um die Nässe weitgehend zu ignorieren. Gut 4000 Fans sind in die Rheinauen gekommen, stehen auf der Wiese und jubeln dieser bezaubernden Fee zu, die in bester Stimmung auf der Bühne Gas gibt, Nouvelle Chanson, Jazz und Rock in den ihr eigenen Stil integriert und dabei so voller Poesie und Lebensfreude ist, so entspannt und unverwechselbar, dass das Wetter nun wirklich keine Rolle mehr spielt.