Deichkind: Im Schlauchboot übers Menschenmeer

Bässe dröhnen, Arme wippen, Lichter flackern, während auf der Bühne sechs seltsame Vögel eine sehr eigenwillige Version eines Kinderlieds zum Besten geben. Nein, normal ist Deichkind wirklich nicht. Aber unterhaltsam. Die Hamburger Hip-Hop- und Electropunk-Formation ist immer in Bewegung, wechselt teilweise im Sekundentakt die Kostüme, wirft sich mal bemalte Müllsäcke über und setzt sich dann wieder ihre berühmten leuchtenden Silent-Hill-Pyramidenköpfe auf, immer dazu rappend, singend, tanzend. Stillstand ist der Tod. Langeweile auch.

Also lassen die Deichkinder die gar nicht erst aufkommen. Keine Aktion ist zu verrückt: Mal jagt einer von ihnen in einem Strandbuggy über die Bühne, dann wieder tänzeln zwei Fächerschwinger mit kleinen roten Engelsflügeln auf dem Rücken umher und präsentieren stolz ihre Bäuche, nachdem sich zuvor schon eine Art ironisch idealisierter Schönheitswahn-Vampir aus seinem Solariumssarg erhoben hat. Auch das Publikum wird bedacht, zunächst mit Wasser und später mit Bier besprüht. Die Mischung passt zu einer Band, die durchaus kritische Untertöne erkennen lässt, diesen aber unter einer oft meterdicken Glasur aus Trash und Lobhudeleien einer teils fragwürdigen Party- und Trinkkultur versteckt. „Kein Gott, kein Staat, lieber was zu Saufen“, rufen sie in „Hört ihr die Signale“ – und zitieren ausgerechnet dann Frankie goes to Hollywoods „The Power of Love“. Ja klar.

Doch gerade diese Mischung kommt an, ist der Erfolgsgarant für Deichkind. Fallen lassen und Spaß haben, das wird erwartet. Das und eben die kreativen Show-Ideen, die die Band auch immer wieder in Kontakt mit ihren Fans bringen. Gleich zu Anfang geht es mit dem Schlauchboot ins Menschenmeer, fröhlich über den Köpfen der Menge paddelnd, von dieser begeistert in der Luft gehalten. Kein Arm, der nicht nach oben geht und diesen Moment so erst ermöglicht. Später legen die Hamburger noch einen drauf, rollen mit, in und auf einem riesigen Fass in den Zuschauerraum. Weg mit der Trennung zwischen Bühne und Publikum: Wenn gefeiert wird, dann bitte zusammen. Kein Problem, der KunstRasen ist an diesem Samstag ohnehin eine große Partymeile mit fröhlich tanzenden, teils schrill gekleideten Fans, aber auch der ein oder anderen Schnapsleiche. „Schlecht für den Nachwuchs, schlecht für die Nordsee, schlecht für den Kopf, doch leider geil!“, singt Deichkind in einem ihrer bekanntesten Songs. Das sind dann doch die falschen Signale.

Mit Blick auf Besucherzahl, Stimmung und Show kann das Deichkind-Konzert ohne Zweifel als einer der Höhepunkte der KunstRasen-Saison 2013 bezeichnet werden. Einziger Wermutstropfen: Da die Band nun einmal eine gewisse Grundlautstärke und einen beträchtlichen Bass-Bedarf hat, nimmt sie den letzten Platz der zehn erlaubten außerordentlichen Veranstaltungen des KunstRasens ein – was dazu geführt hat, dass das für den 15. September geplante Tocotronic-Konzert abgesagt werden musste. Leider gar nicht geil. „Der Richtwert von 62 Dezibel (das ist ungefähr halb so laut wie eine Kita im Prenzlauer Berg) darf nicht überschritten werden“, schreibt die Band dazu mit Bedauern auf ihrem Facebook-Profil. Eine Vorgabe, die keine Rockformation einhalten kann. Oder Hip Hopper mit Electro-Einflüssen. Bleibt also zu hoffen, dass die KunstRasen-Betreiber für 2014 eine andere Regelung finden. Vielleicht kann Tocotronic dann doch noch in Bonn spielen. Richtig laut, zur Freude der Fans. So wie Deichkind. 

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