Das hatten sich die Veranstalter wohl anders vorgestellt: Eigentlich wollte das Theater Bonn nicht nur die Klassik- sondern auch die Jazz-Fans vermehrt ins Opernhaus ziehen und setzte dazu auf eine kleine Reihe mit hochkarätigen Künstlern, die Kenner interessiert aufhorchen lassen und in Scharen an den Boeselagerhof ziehen sollten. Doch das Auftaktkonzert am vergangenen Montag mit den Klazz Brothers, die mit ihrem Klassik-Latin-Crossover immerhin schon zwei Klassik-Echos gewinnen konnten und die musikalisch zweifelsfrei auch ohne die kubanischen Perkussionisten Alexis Herrera Estevez und Elio Rodriguez Luis zu den spannendsten Jazz-Formationen Deutschlands gezählt werden können, zeigte ein erschreckendes Bild. Gerade einmal 100 Besucher waren gekommen, um die Verwandlungen und Mutationen von Beethoven, Mozart, Piazolla und Grieg zu bestaunen. Bedauerlich, zumal die Klazz Brothers ihrem Ruf mehr als gerecht wurden.
Wuchtig wirkte sie, gewaltig, treibend. Die Uraufführung von „Amila“, der symphonischen Auftragsarbeit der Deutschen Welle bei der chinesischen Komponistin Lu Jiajia alias Zulan im Rahmen des Beethovenfests, hat in der Beethovenhalle epische Bilder voller fernöstlicher Exotik evoziert, dabei Klänge schaffend, die ihre Nähe zur Filmmusik nicht verhehlen konnten. Kein Wunder, immerhin hat die 35-Jährige aus der Inneren Mongolei, einer autonomen Provinz im Nordosten Chinas, in diesem Bereich bereits einige Erfahrung gesammelt. Vielleicht funktionierte aber auch gerade dadurch der Brückenschlag zwischen westlicher und mongolischer Musik so hervorragend.
Liegt das Glück wirklich in einem Krapfen? Ist der kurzzeitige Dopamin-Schwall, der durch das Verzehren dieser frisch zubereiteten Köstlichkeit ausgelöst wird, tatsächlich die Lösung für Niedergeschlagenheit und Trauer? Eine Antwort darauf wollen auch die drei Schauspieler des Fringe Ensembles nicht geben, die jetzt im Theater im Ballsaal eine Art Happening mit dem Titel „Glück“ in Szene gesetzt haben. Aber ein paar mögliche Sichtweisen, die geben sie schon. Zusammen mit dem Publikum, das sich, auf im Raum verteilten Stühlen platziert, einer Mitwirkung kaum entziehen kann, suchen Justine Hauer, Nicole Kersten und Andreas Meidinger nach diesem zentralen Gefühl. In der Küche, am Meer, im Garten, im Bett. Überall, wo vielleicht für einen kurzen Augenblick das flüchtige Glück gefunden werden kann. Nur an die tiefen, in der Seele verankerten Sehnsüchte trauen sie sich nicht heran.
Alles ist nur ein Spiel. Ein Spiel um Macht, um Bedeutung, um Sinnhaftigkeit. Es ist das einzige, was noch eine Relevanz hat in einer Welt, in der selbst der Glaube an etwas verloren ist, das zu glauben man ablehnen kann. Aus dieser Leere heraus starten die Teenager Ada und Alev, die sich selbst als Enkel der Nihilisten sehen, ein Experiment. Die beiden hochintelligenten, von moralischen Überlegungen nicht länger beschränkten Protagonisten des Juli-Zeh-Romans „Spieltrieb“, dessen Bühnenadaption nun in der Werkstatt des Theater Bonn eine umjubelte Premiere feiern konnte, wollen ihren Lehrer Smutek zum Ausbrechen zwingen, indem Ada ihn verführt und Alev ihn anschließend erpresst. Doch während der 18-Jährige es genießt, die beiden anderen Figuren in dieser Dreiecksbeziehung beliebig kontrollieren zu können, stellt Ada sich schließlich die entscheidende Frage: Wenn das ein Spiel ist, wann gewinnt man?
Immer wieder dieser stupide pulsierende Discobeat. Umpf Umpf Umpf Umpf. Gleichmäßig, langweilig, austauschbar. Doch für das kanadische Folk-Duo Madison Violet, das angeblich zu den besten Singer-Songwriter-Formationen seiner Heimat gezählt wird, scheint dieser monotone Rhythmus den Aufbruch zu neuen Ufern zu symbolisieren, den Weg auf die Tanzflächen und in den Mainstream. Ob dieser Plan aufgeht, darf bezweifelt werden: In der nur mäßig besuchten Harmonie haben Brenley MacEachern und Lisa MacIsaac zwar durchaus mit dem ein oder anderen Mitklatsch-Titel punkten können, zeigten sich aber immer dann am stärksten und souveränsten, wenn sie auf auf derartige Mätzchen verzichteten und stattdessen das nutzten, was bislang die Basis ihres Erfolgs war: Schöner zweistimmiger Gesang über charmant-filigranem Gitarrenspiel.
Das Unerklärbare sichtbar machen, ihm eine Form geben, die der Mensch zumindest ansatzweise nachvollziehen kann: Dieses Ziel eint Astrophysiker und den Künstler Ugo Dossi. Der Münchener ist fasziniert von den kosmologischen Modellen, die solch unvorstellbare Ereignisse wie eine Supernova oder die Verschmelzung zweier schwarzer Löcher beschreiben – und von den graphischen Darstellungen dieser komplexen Systeme, die wiederum die künstlerische Phantasie anregen. In einer Ausstellung im Kunstraum Villa Friede, die die Stiftung für Kunst und Kultur ins Leben gerufen und die der ehemalige Intendant der Bundeskunsthalle Wenzel Jacob kuratiert hat, zeigt Dossi nun Werke, in denen Wissenschaft und Kunst eine bemerkenswerte Symbiose eingehen. Aus dem Un-Sinnlichen weil nicht Erfahrbaren hat er so Sinnliches geschaffen, das er geschickt mit Illustrationen von Tarot-Karten als Ausdruck des Übersinnlichen kontrastiert.
Es geht aufwärts. Und zwar rasant. Die Entwicklung, die die Bonner Band Steal A Taxi seit Anfang des Jahres gemacht hat, übertrifft derzeit alle Erwartungen. Bei jedem neuen Auftritt klingt das Quartett um die charismatische Frontfrau Makeda Michalke reifer, stärker, runder. Nun haben die Vier ein Konzert in der Harmonie gegeben – und noch einmal eine Schippe draufgelegt. Mit einer exquisiten Mischung aus Funk und Rock, mit druckvollem Gitarrenspiel, präzisen Drums, souveränem Bass und einer bestens aufgelegten Sängerin feierten sie eine Party der Extraklasse, der sich das begeisterte Publikum mit Freuden anschloss.
So so. „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt.“ Ja, das singen viele. Vor allem in der Post-Tower-Lounge, die während des Beethovenfests schon seit Jahren immer wieder attraktive Sängerinnen zu einem Chanson-Abend einlädt, hat dieser Titel Friedrich Hollaenders eine gewisse Tradition. Jetzt eröffnet die Mezzosopranistin Neele Kramer, begleitet von Pianist Philipp Heiß, damit ihr Programm „Tell me the truth about love“, hell trällernd und selig lächelnd. Man hört der gebürtigen Hannoveranerin die Opern-Ausbildung in jedem Ton an; vor allem in den Höhen erklingt jenes spezielle Vibrato, das zu Arien so gut passt. Zu Chansons leider weniger.
Das ist mal ein Erfolg: 111 Einreichungen hat der zweite Deutsche Friedenssong-Wettbewerb verzeichnen können, den die Regionalgruppe Bonn-Rhein-Sieg der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) in der ersten Jahreshälfte durchgeführt hat. Nun konnten bei einem Finalkonzert in der Harmonie die fünf von einer Jury gewählten Sieger gekürt werden, die zugleich ihre Werke der Öffentlichkeit vortragen konnten. Den ersten, mit 2000 Euro dotierten Platz (insgesamt wurden Preise im Wert von 5300 Euro vergeben) sicherten sich Nicolasa Antiquera-Mall und mit ihre Tochter Hannah-Felisa aus dem baden-württembergischen Mosbach mit dem Popsong „Run Soldier, Run“.
Die Musik kommt wie eine willkommene Flut. Stetig, belebend, mitunter wuchtig, immer intensiv. Sie füllt die Harmonie wie ein Aquarium – und mittendrin schwimmen drei Pinguine aus Manchester, Nutznießer und Verursacher dieser Umwandlung, die mit unglaublicher Gewandtheit und Spielfreude zeigen, dass sie derzeit zu Recht zu den neuen Hoffnungen des britischen Jazz gezählt werden. Wobei Jazz ein dehnbarer Begriff ist: Akustische Electronica nennen GoGo Penguin ihren Stil eigentlich, diese ungeheuer reizvolle Piano-Trio-Klangentwicklung, die in ihrer Melodieführung immer wieder an Martin Tingvall oder Esbjörn Svensson erinnert und in ihrem druckvollen Rhythmus mitunter tatsächlich an eine komplexe Weiterentwicklung von Trance-Beats. Und die einfach Spaß macht.
Emotionen brauchen Nähe. Es hat seinen Grund, warum es sowohl zwischen Liebenden als auch zwischen Erzrivalen gerade dann am stärksten knistert, wenn sie sich Aug in Aug gegenüberstehen. Große Gefühle wirken eben nicht über große Distanzen. Schon gar nicht auf der Bühne. Genau dies hat Alice Buddeberg aber in ihrer Inszenierung von John Steinbecks Roman „Jenseits von Eden“ in den Kammerspielen Bad Godesberg versucht – und ist daran trotz einer an sich brillanten Bearbeitung in weiten Teilen gescheitert. Denn zwischen den geschickten Kommentierungen der beiden alt gewordenen Gegenpole Adam (Wolfgang Rüter) und Kate (Sophie Basse), zwischen den Dopplungen und Kreuzungen bei der Besetzung zweier Generationen und zwischen dem übertriebenen Spiel mit allerhand Äpfeln lassen die Schauspieler viel zu oft die erwartete Intensität von brodelnder Leidenschaft, Missgunst, Neid, Abscheu und Hass vermissen.
Die Welt ist in Schieflage. Gekippt um 35 Grad. Permanent besteht die Gefahr des Abrutschens, runter in die Depression, die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit. Vier Seelen, die auch lediglich Facetten einer einzigen sein können, agieren in der Euro-Theater-Central-Inszenierung von Sarah Kanes „Gier“ (Regie: Stefan Herrmann) aus dieser verfahrenen Situation heraus: Auf der schrägen Bühne skizzieren sie ihre Begierden und Sehnsüchte, ihre Ängste und Traumata. Ihre fragmentarischen Aussagen ergänzen sich zu einem rhythmisch geprägten Sprech-Konzert, einer eindringlichen Collage über Sex, Sucht und Sorgen. Sie sind gemeinsam einsam und verzehren sich nach etwas, das die innere Leere zu füllen vermag, bis sie am Ende in ein Licht eintreten, das sowohl Tod als auch Hoffnung gewähren kann.
Na, das kann ja heiter werden. Nach einer Wechseljahre- jetzt eine Hochzeits-Revue? Mit einer Handlung irgendwo zwischen „Hangover“, „Sex and the City“ und Midlife-Crisis? Klingt gewagt – und lohnt sich doch. Denn das Musical „Höchste Zeit“, das nun im Contra-Kreis-Theater als Fortsetzung des Vorjahres-Renners „Heiße Zeiten“ seine Premiere feiern konnte, überzeugt mit pfiffigem Witz, hohem Tempo und lustvollen Darstellerinnen. Langeweile? Fehlanzeige. Das Stück sorgt ganz im Gegenteil für jede Menge Spaß, auch wenn im zweiten Teil die Alters-Problematik ein wenig überhand nimmt.
Am Anfang war das Wort. Und die Wirtschaft. Und das Geld. Danach all die anderen wichtigen Dinge im Leben: Autos, Essen, Waffen, Zellteilung. Immer weiter geht es so, bis die Aufzählung schließlich zum Ende kommt und nach all diesen Schlagworten auch das Letzte genannt werden darf. Der Mensch. Er, seine Rechte und seine Würde spielen ja nun wirklich keine Rolle mehr. Ein Grund mehr für Wilfried Schmickler, den angeblich so weisen Homo Sapiens in den Mittelpunkt seines neuen Programms „Das Letzte“ zu stellen. Bei der Bonn-Premiere im Pantheon stellt sich allerdings die Frage, ob es das wert ist – denn in seiner weitschweifigen Abrechnung mit Welt und Volk lässt der wortgewaltige Scharfrichter des deutschen Kabaretts nur wenig Gutes zu. Und dafür jede Menge Kritisches.
Sinn wird überbewertet. Braucht man nicht. Wozu auch? Hallo Chaos und Wort-Anarchie, willkommen auf der Lesebühne. So zumindest scheint es Jan Philipp Zymny zu sehen, der jetzt als einer von vier Gästen bei der 53. Ausgabe der Pantheon-Vorleser im WDR seine abenteuerliche Prosa vortrug. Der Sieger des weltgrößten Poetry-Slams hatte es sich zum Ziel gemacht, sein Publikum zu verwirren – was ihm auch meisterhaft gelang. Keine Frage: Wenn aus Kindern plötzlich Bären werden, Wasser aus Holz ist und der Mond durch Beschimpfungen zum Abnehmen gezwungen wird, hat der Wuppertaler Wuschelkopf seine Finger im Spiel. So absurd waren seine Einfälle, dass nicht nur die Zuhörer im Saal, sondern auch Gastgeber Horst Evers und Zymnys Tischpartner Moritz Netenjakob, die ja beide selbst ein Händchen für Skurrilität besitzen, sich nur mit Mühe auf ihren Stühlen halten konnten.
Musik ist Veränderung. Eine so simple Aussage, und doch eine so komplizierte. Wandel und Wechsel sind essentielle Bestandteile einer jeden Melodie, die gleichsam selbiges auszulösen vermag, wenn sie nur stark genug ist. So überrascht es nicht, dass das Beethovenfest 2015, das an diesem Wochenende in Bonn eröffnet worden ist, die „Veränderung“ zum Motto erhoben hat. Geprägt nicht nur von musikalischen, sondern auch von konzeptionellen und politischen Perspektivwechseln (zu denen auch die Entscheidung gegen den Bau des lange geplanten Festspielhauses gehört, nachdem sich die Deutsche Post als letzter Hauptsponsor von dem Projekt verabschiedet hat) hat das einmonatige Klassik-Festival unter der Intendanz von Nike Wagner derzeit einiges zu verarbeiten. Es gilt, neue Wege zu gehen, manches neu zu denken. Es erscheint fast schon programmatisch, dass am Eröffnungsabend mit der Berliner Staatskapelle unter Daniel Barenboim eines der dienstältesten Orchester der Welt gekonnt zwischen der Bewahrung des Alten und dem Aufleben des Revolutionären wechselt – und dabei beides zusammenzubringen versteht.
„Pflanzen nicht füttern!“ Diese Warnung sollte man ernst nehmen. Sehr ernst. Denn wer weiß schon, was da für Exoten da im heimischen Blumentopf vor sich hinwachsen und heimlich blutige Weltherrschaftspläne schmieden. Klingt absurd? Keineswegs. Zumindest nicht auf der Bühne des Theater Bonn. Dort hat das Kult-Musical „Der Kleine Horrorladen“ in einer Inszenierung von Erik Petersen jetzt eine umjubelte Premiere gefeiert und zugleich auf die grüne Gefahr hingewiesen. Ein exzellentes und spielfreudiges Ensemble, zu dem unter anderem der Schauspieler und Moderator Michael Schanze (als Blumenladenbesitzer Mr. Mushnik) sowie der Kabarettist Hans-Werner Olm (als Zahnarzt Orin) zählen, eine knackig spielende Band und eine herrliche Bühne sorgten dafür, dass die trashig-absurde Handlung zwischen überzeichnetem Kitsch und B-Movie-Schrecken bestens zu unterhalten wusste.
Am Ende gab es ganz spontan Freibier für alle. Eine kleine Entschuldigung von Bonn-Olé-Organisator Markus Krampe für eine mit technischen Problemen geplagte Schlagerparty, die man sich, so wohl das Kalkül, am besten schön trank. Denn obwohl die Rahmenbedingungen in den Rheinauen am vergangenen Samstag eigentlich perfekt waren, das Wetter ein gewisses Mallorca-Feeling aufkommen ließ und die laut Veranstalter knapp 20.000 Fans einfach nur feiern wollten und nicht allzu hohe Ansprüche an das Bühnenprogramm stellten, machte der unterirdische Sound, der scheppernd aus den Boxen plärrte und mit dröhnenden Bässen vor allem in den vorderen Reihen immer wieder für schmerzverzerrte Gesichter sorgte, vieles kaputt. Trommelfelle etwa. Andererseits sind Schlager-Fans offenbar vieles gewohnt: Die meisten subsumierten den Tag unter dem Label „geil“. Es geht halt ums Prinzip, und das heißt Party. Oder, um es mit Peter Wackel zu sagen: „Scheiss drauf, Malle ist nur einmal im Jahr“.
Schon der Titel macht stutzig. „Hoffnungslos optimistisch“ will Christoph Sieber angeblich sein, zumindest hat er so sein neues Programm genannt, das jetzt im Pantheon seine Premiere gefeiert hat. Doch welcher politische Kabarettist kann momentan ernsthaft so eine Einstellung vertreten? Optimismus angesichts von Flüchtlingskatastrophe, Sozialstaatsabbau und Werteverfall? Da schüttelt selbst Sieber resigniert den Kopf. Andererseits: Einfach aufgeben, den Kopf in den Sand stecken oder vor dem nächsten großen Knall noch schnell in ein tropisches Steuerparadies fliehen? Kann und will der 45-Jährige nicht tun.
Eigentlich ist der Name nicht ganz richtig. Zu harmlos. „Suchtpotenzial“? Das klingt ja fast so, als könne man die Abhängigkeit vermeiden. Doch nach dem Auftritt des so betitelten Power-Damen-Duos im Pantheon ist klar, dass diese Option nur besteht, wenn man der Kabarett-Show von vornherein fernbleibt. Was man nicht tun sollte. Mit der Wucht eines musikalischen Dampfhammers und genug Witz für eine ganze Kompanie von Singer-Songwritern setzen die Pianistin Ariane Müller und die Sängerin Julia Gámez Martin sämtliche für die Unterhaltung zuständigen Neuronen unter Strom, bis das gesamte Publikum den beiden locker-flockig daher redenden Anonymen Musicaldarstellerinnen förmlich an Lippen und Fingern klebt. So wird aus dem Potenzial Realität. Und das fühlt sich verdammt gut an.
Besser hätte es kaum laufen können: Das achte Green Juice Festival hat am vergangenen Wochenende mit perfektem Wetter und der dazugehörigen Stimmung für einen weiteren Höhepunkt der Bonner Open-Air-Saison gesorgt. Über 7000 überwiegend junge Besucher tummelten sich auf dem Gelände im Beueler Ortsteil Villich und ließen sich von sieben Bands harte Riffs und heiße Rhythmen um die Ohren hauen. Indie, Hardcore, Punk, Hip Hop und Ska dominierten, eine bunte Mischung abseits des Mainstreams, die dennoch einen gemeinsamen Nenner zu haben schien. Zumindest deutete das wild tanzende Publikum darauf hin, das zu dem brodelnden, temporeichen Geschrei der Aachener Band Fjørt (die es übrigens immerhin verstand, zwischen Metal-Gewittern, inszenierten Ausbrüchen und emotionalen Inhalten zu balancieren) ebenso abfeierte wie zu den Jamaika-Rhythmen der Slapstickers, die als Lokalmatadore ohnehin die Menge um den kleinen Finger wickeln vermochten.
Kuckuck. Kuckuck. Kleine Terz. So einfach kann Musiktheorie sein. Hätten Timm Beckmann und Tobias Janssen es nur dabei belassen. Doch das Duo, das als Pro:C-Dur jetzt mit ihrem Musikkabarett-Programm im Haus der Springmaus gastierte, musste den Ansatz unbedingt ausreizen. Wo ist denn nur der Kuckuck in der Rockmusik versteckt, so die Frage. Wo ist die kleine Terz, auf die man den Vogelruf setzen kann? Wo die Quarte für das Tatü-Tata der Feuerwehr? Und wo der Witz?
Live-Musik, wohin man ging: Beim ersten Bonner Straßenmusikfest haben am vergangenen Samstag zahlreiche lokale Bands die Stadt an mehreren geschickt gewählten Plätzen ein wenig bunter und lebendiger gemacht und bewiesen, dass auch der öffentliche Raum erfreulich gut klingen kann. Im Bonner Loch sowie auf dem Bottler- und dem Marktplatz hatte das Kulturamt der Stadt Bonn zusammen mit der Musikstation des Kleinen Muck, der Viertelbar und der Jazzbäckerei kleine Bühnen aufgebaut, auf denen von 14 bis 19 Uhr für Stimmung gesorgt wurde; dazu gesellte sich die Jazztube in den U-Bahn-Stationen Universität/Markt und Hauptbahnhof/Thomas-Mann-Straße und ab dem frühen Abend der Alte Zoll. Jazz, Rock, Pop, Folk und Weltmusik – für jeden Geschmack war etwas dabei.
Der Kreis schließt sich. Fast dreieinhalb Dekaden ist es her, dass ein niederländischer Entertainer mit einer Leidenschaft für die Musik und den Humor der Weimarer Republik im Bonner Contra-Kreis-Theater debütierte und damit der 20er-Jahre-Retro-Bewegung Starthilfe gab – jetzt ist Robert Kreis wieder zurück in dem Halbrund, wie üblich mit Pomade im Haar, hochgezogenen Augenbrauen und fein gezeichnetem Menjou-Bärtchen, Im Gepäck frisch wirkende, eigentlich aber überraschend alte Couplets, schmissige Schlager und seine ureigene „Bühnografie“. Mehr als genug für einen unterhaltsamen Abend und so manchen Angriff auf die Lachmuskeln.
So ganz geheuer ist ihm die eigene Ausstellung noch immer nicht. Trotz enormer Erfolge in New York, Paris, Prag, Tokio und Osaka beschreibt sich Tim Burton, dessen Schaffen das Max-Ernst-Museum in Brühl seit diesem Wochenende als erstes Haus im deutschsprachigen Raum präsentieren darf, als zwiegespalten zwischen Faszination und Panik. „Es ist so, als würde man einem Fremden einen Blick in sein geheimes Kabinett gewähren“, sagt der Star-Regisseur über die ihm gewidmete Schau. „Eigentlich ist das alles hier privat.“
Einer steht auf Stehtische, andere auf Sellerie und Kirschkuchen. Jedem Liedermacher sein eigener Fetisch. Im Pantheon können nun neun von ihnen ihre Leidenschaft ausleben, dank der Einladung der Prix-Pantheon-Jurypreisträger von 2014, dem charmant-schüchternen Duo Simon & Jan. Die beiden haben kurzerhand ein paar Freunde zusammengetrommelt, um im Rahmen des Liedermacher-Sommers unter Beweis zu stellen, dass mitunter auch die große deutsche Boulevardzeitung mit den vier Buchstaben Recht haben kann, die ein nahezu identisches Konzert in Essen als Tagestipp auswies. „Immer wieder kreuzen sich unsere Wege mit einigen inzwischen sehr liebgewonnenen Kollegen, und so ist es jetzt ein Fest, sie alle wiederzusehen“, erklärt Simon den Hintergrund des gemeinsamen Auftritts, auch wenn er zugeben muss: „Ihr werdet keinen Künstler so lange auf der Bühne erleben, wie ihr das wollt.“ Mit beiden Aussagen hat er recht.
Musik liegt in der Luft. Und Schweiß. Gerade fliegt ein junger Kanadier am Trapez über den Köpfen des Pantheon-Publikums umher, turnend, tanzend, sich verknotend. Akrobatik auf hohem Niveau. Natürlich ist diese Nummer nur ein kleiner Baustein des beliebten Varietéspektakels, das zum inzwischen achten Mal in dem Bonner Kleinkunsttempel residiert und in diesem Jahr die Welt des guten alten Schlagers mit meisterhafter Körperbeherrschung und allerlei Skurrilitäten verbindet. Initiator Stephan Masur hat einmal mehr sieben hochkarätige junge Künstler aus Deutschland und der Welt versammelt – und mit seinem Programm genau ins Schwarze getroffen. Der Saal tobt und jubelt wie selten zuvor, fasziniert und verzaubert von der Mischung aus Clownerie und Artistik, die den Zuschauern mitunter schlichtweg den Atem raubt.
Das dürfte so manchem patriotischen Rheinländer bitter aufstoßen: Ausgerechnet die Preußen, diese angeblich so stocksteifen, bierernsten, protestantischen ehemaligen Besatzer, haben die Region erst formal gegründet? Und den Karneval gleich mit? Nein, Nein, Nein, so geht das nicht. Doch auch wenn sich Fritz Litzmann alias Rainer Pause während der alljährlichen kabarettistisch-journalistischen Schiffstour mit der MS Anja, mit der das Bonner Pantheon aus der Sommerpause zurückkehrt, noch so vehement gegen diese in seinen Augen blasphemischen Behauptungen wehrte, gelang es ihm nicht, den Historiker – und Westfalen – Martin Stankowski zu erweichen und vom Gegenteil zu überzeugen. Zumal es hätte schlimmer kommen können. Denn ursprünglich sollte Bonn sächsische Hauptstadt werden! Dann doch lieber die Hassliebe zu Berlin. Die ist, wie Litzmann in einer kleinen Gesangseinlage demonstrierte, besser zu ertragen.
Die Welt zerfällt, und keiner will es wahrhaben: Immer wieder skizziert Anton Tschechow in seinen Stücken die Selbsttäuschung einer russischen Oberschicht, die in sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht längst nichts mehr zu melden hat und sich daher einer Illusion hingibt, einem Schein der guten, alten Zeit. Dieses Szenario liegt auch dem „Kirschgarten“ zugrunde, den das studentische Ensemble Dauertheatersendung zunächst in der Brotfabrik inszeniert hat und am kommenden Freitag und Samstag im Kult 41 noch einmal aufführen wird. Eine mutige Stückwahl für die noch junge Gruppe, fehlt doch eine konkrete, stringente und vor allem das Publikum mitreißende Handlung, so dass die Charakterisierung der ambivalenten Figuren alle Blicke auf sich lenken muss – was der Dauertheatersendung mitunter tatsächlich erstaunlich gut gelingt.
Besser hätte es letztlich kaum laufen können: Die erste Auflage der Rockaue als Nachfolge-Festival der Rheinkultur hat am vergangenen Samstag Bonn noch einmal so richtig eingeheizt. Vier Bühnen, über 40 Bands und mit Jennifer Rostock und Schandmaul zwei hervorragende Headliner sorgten unter den knapp 20.000 Besuchern für Stimmung – der perfekte Sommertag tat sein übriges. Bis Mitternacht rockte und waberte die Musik über Große und Kleine Blumenwiese, die Menge in ihren Bann ziehend. Und auch wenn an der ein oder anderen Stelle sicherlich noch Verbesserungsbedarf bestand (vor allem zu wenige Toiletten wurden bemängelt) und die reduziert fahrenden Straßenbahnen die Abreise zu einer Odyssee werden ließ, können die Veranstalter mit der Premiere zufrieden sein.
Am Ende durfte es dann doch noch mal etwas lauter sein. Wuchtiger. Mächtiger. Und insgesamt großartig. Zum Abschluss der KunstRasen-Saison 2015 haben die Veranstalter am vergangenen Donnerstag, einen Tag nach dem Konzert von Friedenssängerin Joan Baez, den opulenten Progressive Metal in den Fokus gerückt und mit Dream Theater eine der erfolgreichsten und ohne Zweifel kreativsten Formationen der Szene in die Bonner Rheinauen geholt. Erwartungsgemäß haben sich die New Yorker trotz der zeitlichen Beschränkungen durch zwei Vorbands und dem vorgegebenen Ende um 22 Uhr nicht sonderlich bremsen lassen und ein anderthalbstündiges episches Feuerwerk voller ausgiebiger Soli, krachender Riffs und treibender, harter Rhythmen abgebrannt. Die Opulenz und Vielschichtigkeit von King Crimson, Rush, Pink Floyd oder Deep Purple trafen auf die typische Metal-Härte – eine spektakuläre Mischung.
Das Feuer lodert noch. 2000 Menschen haben sich gestern auf dem Kunst!Rasen an ihm gewärmt, an dieser brennenden Leidenschaft, die sich von der Bühne aus über den Platz ergoss und dem Publikum ein ums andere Mal einen wohligen Schauer über den kollektiven Rücken fahren ließ. Ja, Joan Baez kann es noch, die Massen begeistern und verzaubern mit ihrer Präsenz, ihrem Willen und ihrer Stimme, die sich vom aufwühlenden Sopran im Laufe der Jahre in einen nicht minder beeindruckenden Alt gewandelt hat. Die 74-jährige Ikone der Friedensbewegung brauchte dazu nicht viel, nur sich selbst, ihre Gitarre und ihre beiden Mitmusiker, den Multiinstrumentalisten Dirk Powell sowie ihren Sohn Gabriel Harris (Percussion). Das und die Erinnerungen an ein halbes Jahrhundert Musikgeschichte als Brennstoff.
Es hätte richtig schön werden können. Ein durchtrainiertes Ensemble nimmt sich mutig eines der berühmtesten Werke der Weltliteratur vor und modernisiert zugleich ein nicht minder bekanntes Ballett, auf diese Weise ähnlich wie die Flying Steps („Red Bulls Flying Bach“) Klassik und Streetdance elegant miteinander verknüpfend. Ach, man wird ja noch träumen dürfen. Denn die Realität kommt diesem Ideal leider noch nicht einmal ansatzweise nahe: Das großmundig als Rockballett angekündigte Tanzspektakel „Romeo & Juliet“ des obersten „Bad Boy of Dance“ Rasta Thomas, dessen neue Deutschland-Tournee jetzt in der Oper Bonn ihren Anfang nahm, schwillt zwar vor hohen Sprüngen und Salti über und fordert den Mitwirkenden in körperlicher Hinsicht einiges ab, gibt jedoch zugleich die Dramatik von Choreographie und Handlung, für die sich Rasta Thomas' Ehefrau Adrienne Canterna verantwortlich zeigt, innerhalb kürzester Zeit der Lächerlichkeit preis. Schwülstig, kitschig und völlig überzeichnet misslingt es der in 24 Einzelbilder zerstückelten Inszenierung demonstrativ, einen Spannungsbogen aufzubauen, und führt so die dem Shakespearschen Stück innewohnende Tragik schlichtweg ad absurdum.
Hubert von Goisern hat in seinen zahlreichen Wanderjahren schon so einiges aufgesogen: Samba, Funk, Reggae und Soul hat er mit den Klängen seiner oberösterreichischen Heimat kombiniert, hat für den Dalai Lama tibetische Lieder gesungen und mit einem ägyptischen Sufi-Musiker auf der Bühne gestanden. Sich öffnen, das war und ist seine Devise. Neue Impulse von außen zulassen, um menschlich und musikalisch zu profitieren. Zuletzt war der 62-Jährige in den USA, um sich Country und Blues hinzugeben und sie in den ihm eigenen Alpenrock zu integrieren. Ein interessantes, wenn auch nicht immer hundertprozentig gelungenes Experiment, dessen Ergebnis er am vergangenen Montag vor mageren 1100 Zuschauern auf dem KunstRasen präsentierte.
Wer will sie sein, wo geht sie hin? Die französische Sängerin Zaz steht, so scheint es bei ihrem mittlerweile dritten KunstRasen-Konzert, derzeit an einem Scheideweg: Auf der einen Seite immer noch der liebenswerte Wirbelwind, der ausgelassen über die Bühne tobt und mit funkelnden Augen zur wilden Party einlädt, auf der anderen die elegante Diva, deren gezähmtes Feuer sehr gut mit der in den vergangenen fünf Jahren gesammelten Erfahrung passt und die ohnehin schon beträchtliche Bandbreite von „Mademoiselle 100.000 Volt“ noch einmal vergrößert. Beide Aspekte stehen ihr hervorragend und sorgen bei den gut 4000 Fans, die allen Wetterkapriolen zum Trotz in die Bonner Rheinauen gekommen sind, ein ums andere Mal für euphorischen Jubel.
Mitunter ist es mucksmäuschenstill. 4000 schweigende Gesichter. Alle hören dem jungen Mann mit der Gitarre zu, der fast schon ein wenig verloren oben auf der großen KunstRasen-Bühne steht und seinen schönen, leicht kratzigen Straßenmusik-Folk zelebriert, ihn genießt und in ihn eintaucht. Magische Momente, die anhalten, bis sich Mike Rosenberg alias Passenger wieder aus dem von ihm geschaffenen Quell der Ruhe erhebt und revitalisiert zum Rufer in der Wüste wird, der mit einer bemerkenswerten Präsenz und Unbekümmertheit das Publikum aufpeitscht und energetisiert. Hier in den Bonner Rheinauen gelingt ihm dieser Wechsel mühelos – zumal das Publikum inmitten der Sommerhitze sensibel genug ist, um beide Seiten des Singer-Songwriter-Programms in vollem Umfang zu genießen.
Besser hätte es kaum laufen können: Trotz der enormen Hitze sind am vergangenen Donnerstag Tausende auf den Bonner KunstRasen geströmt, wo das Beethovenorchester unter der Leitung des munter moderierenden Chefdirigenten der Operr, Hendrik Vestmann, bei freiem Eintritt zum KlassikPicknick eingeladen hatte. Mindestens 4000 Zuhörer dürften es gewesen sein, die mit Decken und Proviant gewappnet in die Rheinauen kamen, um von dort aus an einem Road-Trip quer durch die USA teilzunehmen, vom Broadway New Yorks bis zur Traumschmiede Hollywood. Ein ansprechendes, populäres Programm, das vor allem im ersten Teil neben einigen typischen Ohrwürmern auch einige heutzutage eher unbekannte Titel aufwies und mit dieser Mischung bestens zu unterhalten wusste.