„Spieltrieb“: Das Liebesdilemma

Alles ist nur ein Spiel. Ein Spiel um Macht, um Bedeutung, um Sinnhaftigkeit. Es ist das einzige, was noch eine Relevanz hat in einer Welt, in der selbst der Glaube an etwas verloren ist, das zu glauben man ablehnen kann. Aus dieser Leere heraus starten die Teenager Ada und Alev, die sich selbst als Enkel der Nihilisten sehen, ein Experiment. Die beiden hochintelligenten, von moralischen Überlegungen nicht länger beschränkten Protagonisten des Juli-Zeh-Romans „Spieltrieb“, dessen Bühnenadaption nun in der Werkstatt des Theater Bonn eine umjubelte Premiere feiern konnte, wollen ihren Lehrer Smutek zum Ausbrechen zwingen, indem Ada ihn verführt und Alev ihn anschließend erpresst. Doch während der 18-Jährige es genießt, die beiden anderen Figuren in dieser Dreiecksbeziehung beliebig kontrollieren zu können, stellt Ada sich schließlich die entscheidende Frage: Wenn das ein Spiel ist, wann gewinnt man?

Regisseurin Laura Linnenbaum und Dramaturgin Johanna Vater haben Zehs umfangreichen und mit zahllosen Anspielungen gespicktes Werk geschickt auf 100 Minuten heruntergebrochen, es entschlackt und auf die Kernfragen reduziert. Dabei gelingt ihnen etwas, was derzeit in Bonn leider nicht selbstverständlich ist: Sie bleiben konzise, verzichten auf irgendwelche grotesken, vermeintlich die Stimmung hebenden Einfälle, sind stringent und vor allem ernst. Das Ergebnis ist ein großartiges Theatererlebnis – nicht zuletzt dank der beiden herausragenden Neuzugänge im Ensemble. Maike Jüttendonks Ada ist ebenso eiskalt wie verletzlich, eine verlorene Seele auf der Suche nach jemandem, der sie sowohl fordert als auch stützt und ihr hilft, ihre innere Leere irgendwie zu füllen. Was für ein vielschichtiges, emotional aufwühlendes Spiel die 28-Jährige hier aufbietet, ist bemerkenswert; auf der einen Seite die nüchtern durchgeführte, mit der Videokamera gefilmte Selbstentjungferung im Bad, auf der anderen die Momente menschlicher Wärme, die sich immer wieder Bahn brechen. Kein Wunder, dass die gebürtige Kölnerin 2013 von der Zeitschrift „Theater Heute“ als beste Nachwuchsschauspielerin nominiert wurde. Nicht minder hervorzuheben ist allerdings ihr Gegenpart Manuel Zschunke, der in Bonn seine erste Festanstellung ergattern konnte und gleich einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Sein Alev („hinten mit V wie Vanitas“) ist ein arroganter, manipulativer Schuft ohne Gewissen, der dennoch über eine charismatische Aura verfügt, die sowohl Ada als auch das Publikum in seinen Bann zieht. Was für ein doppelter Einstand! Glänzend aber auch Ursula Grossenbacher als Lehrerin Höfi, die als Einzige eine Vertrauens- und Respektperson für die beiden Teenager darstellt und sie bis zu ihrem Suizid in Schach zu halten vermag, sowie Benjamin Grüter als Smutek.

Es tut gut, nach einigen anderen Inszenierungen in der vergangenen Spielzeit wieder einmal ein Stück am städtischen Schauspiel zu sehen, das auf eine übertriebene Effekthascherei verzichtet und ganz auf die Kraft der Schauspieler und des Textes setzt. Zugegeben, letzterer wirkt mitunter bei aller darstellerischer Kompetenz etwas steif (vor allem in den Monologen herrscht ein dozierender Tonfall vor), vermag aber dank der erstklassigen Umsetzung im Großen und Ganzen zu unterhalten, zu bewegen und vor allem zum Nachdenken anzuregen. Was mehr ist als manch andere Romanbearbeitung von sich behaupten kann. Das Premierenpublikum honorierte dies denn auch mit lang anhaltendem begeisterten Applaus. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0