Der alte weiße Mann ist das größte Feindbild des Feminismus: Die Personifikation des Patriarchats, das Jahrtausende lang Frauen dominiert und unterdrückt hat, eine Figur mit Macht und Einfluss, die an gesellschaftlichen Strukturen von Vorgestern festhält, um die eigene Position nicht zu gefährden. Und ja, es gibt sie, diese alten weißen Männer, vor allem auf Vorstandsposten und in der Politik. Mit einigen von ihnen hat Autorin Sophie Passmann das Gespräch gesucht, hat sie über Gleichberechtigung und Geschlechterklischees reden lassen und über das Narrativ der Dominanz. 15 Interviews hat die 25-Jährige nun zu einem Buch zusammengefasst, aus dem sie im Pantheon mit viel Witz und Ironie vorgetragen hat, sehr zur Freude des vor allem weiblichen Publikums, das die bissigen Ausführungen Passmanns sichtlich genießt.
Es ist längst Tradition, dass das Bonn Jazz Orchester die Reihe „Jazz in Concert“ eröffnet: Die Bigband der Bigband-Leiter (unter anderem gehören Adi Becker, Shawn Spicer, Thomas Heck und Dave Horler und Oliver Pospiech zu der Formation) ist nicht nur musikalisch immer wieder eine sichere Bank, sondern auch Heimat von Impressario Thomas Kimmerle. Im Pantheon erschallte nun schmissige Standards und die ein oder andere obskure Nummer, gewohnt prägnant gespielt und mit der nötigen Portion Druck in und durch die Gehörgänge des begeisterten Publikums gepustet.Ein starker Auftritt, der Lust auf mehr machte. Was nun wirklich kein Problem darstellt.
Wenn jemand wie Lulo Reinhardt zu einer „Nacht der Gitarren“ einlädt, kann diese eigentlich gar nicht schlecht werden. Der Gypsy-Gitarrist ist nun einmal ein Meister seines Fachs, der immer wieder mit anderen Saiten-Virtuosen aus aller Welt zusammenarbeitet und so bemerkenswerte Konzerte realisieren kann. In der restlos ausverkauften Harmonie hat er nun zum wiederholten Mal Kollegen auf die Bühne geholt, die zunächst einzeln und dann wieder in ständig wechselnden Kombinationen die immense Bandbreite der akustischen Gitarrenmusik offenlegen und vor allem gemeinsam zu zaubern verstehen.
Flic Flac ist anders. Unangepasst, rebellisch, eigenwillig. Alles, nur nicht gewöhnlich. Seit 30 Jahren pflegt der Zirkus aus Bocholt sein Image des Auffangbeckens für Freaks und Außenseiter, die Außergewöhnliches zu leisten im Stande sind. In der Arena dominieren die harten Typen, kantige, dreckige und mitunter skurrile Gestalten in abgerissenen Klamotten, die auf Adrenalin stehen, auf Energie und auf deftigen Rock. Nun ist Flic Flac mit seiner atemberaubenden Jubiläumsshow „Punxxx“ unterwegs und sorgt derzeit in Bonn für ungläubige Gesichter im Widerschein der Elemente. Denn was die Artisten auf dem Gelände an der Dottendorfer Straße präsentieren, setzt selbst in der Varieté-, Zirkus- und Kleinkunst-verwöhnten Bundesstadt Maßstäbe.
Eigentlich ist die gesamte Rock- und Pop-Musik ein einziger riesengroßer Schwindel. All die vermeintlich großen Komponisten sind Betrüger, die Bands im Grunde Dilettanten und jeder angebliche Superstar nur Nutznießer eines Diebstahls unermesslichen Ausmaßes. Schließlich sind, wie inzwischen immer mehr Eingeweihte wissen, nahezu allen modernen Songs von einem einzigen Genie geschrieben worden: Pjotrek Popolski, der irgendwann im Laufe des 20. Jahrhunderts von einem hinterlistigen Musikagenten übers Ohr gehauen wurde und dadurch sämtliche Noten verlor. Er, der Maestro aus Zarbze, ist der wahre Erfinder des Pop und all seiner Spielarten, hat den Reggae ebenso begründet wie Hip Hop und Techno – und keiner dankt es ihm.
Ein bisschen Bildung hat noch niemandem geschadet. Und Selbstbewusstsein erst recht nicht. Auch wenn beides mitunter nicht so leicht zu erlangen ist. Zum Glück gibt es Frauen wie Frieda Braun, die diese Mängel mit ihren ganz eigenen Mitteln zu beheben versuchen. Die kauzige Sauerländerin mit den mühsam zusammengedrömmelten Haarknoten und ihrem gelb gemusterten Kostüm, das vermutlich aus den sterblichen Überresten einer von der Urgroßmutter geerbten und inzwischen zunächst verblichenen und dann verschiedenen Gardine zusammengenäht wurde, sieht in ihrer heimischen Dorfgemeinschaft schließlich täglich, was ansonsten passieren kann.
Nur die Ruhe? Nicht mit Jean-Philippe Kindler. „Ich will, dass sich die Menschen ärgern“, bekennt der 23-Jährige in seinem ersten Solo-Programm und streicht dem entsprechenden Brettspiel-Klassiker kurzerhand die Verneinung. Weg mit der Didaktik, her mit den Emotionen. Glück, Schadenfreude, Wut und Hoffnung hat Kindler aus Triebfedern ausgemacht, und die will der Poetry-Slammer, der derzeit zu den erfolgreichsten Vertretern seines Genres in Deutschland zählt, in der Lounge des Pantheon nun bedienen, während er sich gesellschaftskritisch und politisch äußert. Klappt leider nicht so ganz – denn argumentatorisch fehlt Kindler leider oft das richtige Maß, geht er in seiner Rhetorik entweder zu weit oder nicht weit genug, auch weil er des öfteren zugibt, selbst nicht alles verstanden zu haben. Und auch wenn er es stets gut meint, ist die mangelnde Tiefe doch immer wieder erkennbar.
In Australien ist das Leben für freie Musiker offenbar nicht immer leicht. Wer nicht wahlweise in einer Led-Zeppelin- oder einer AC/DC-Coverband spielt, gilt gemäß der Offenbarung von Tim McMillan und Rachel Snow als Pariah und kann sich glücklich schätzen, wenn er oder sie überhaupt ein Instrument in die Hand nehmen darf. Umso erfreulicher ist es, dass die beiden charmanten Gestalten, die am vergangenen Sonntag im Rahmen des Beethovenfests im Post Tower auftraten, all diesen Widerständen getrotzt haben – anderenfalls hätte das Bonner Publikum auf ein ebenso unterhaltsames wie virtuoses Konzert verzichten müssen, das liebevoll mit allen möglichen Stilen spielt. Und das wäre wirklich eine Schande gewesen.
Das Meer hat schon immer eine besondere Anziehungskraft auf Jacob Karlzon ausgeübt. Der schwedische Jazz-Pianist liebt das unbeständige Element, liebt die Ruhe des Ozeans und zugleich die darunter liegende Kraft. Beides hat er in seiner neuen CD „Open Water“ adaptiert, die er jetzt im Rahmen eines Jazzfest-Extended-Konzerts im Haus der Geschichte vorgestellt hat. Es ist ein bemerkenswerter, anregender Auftritt, der erste einer Deutschlandtournee, der auch Karlzon und sein Trio gewissen Unwägbarkeiten aussetzt. „Wir sind selber sehr gespannt, was mit der Musik auf unserer Reise passieren wird“, sagt Karlzon. Zumindest in Bonn lautet die Antwort: Sie wächst, sie stürmt, sie verändert. Und sie begeistert.
Für herausragende Akrobatik haben die GOP-Varieté-Theater in der Regel ein ausgeprägtes Gespür. Für gute Comedy dagegen nicht. Immer wieder geben plumpe Pointen und peinlich inszenierte Nummern den Shows von Deutschlands größtem Kleinkunst-Unternehmen einen unnötigen Touch von Trash, mischen billige Zoten und verkrampfte Anzüglichkeiten mit artistischen Höchstleistungen. In Bonn hat dies erst zuletzt auf dem KunstRasen für Unmut gesorgt, als Moderator Roberto Capitoni mit niveaulosen Sprüchen und Beleidigungen für einen Eklat sorgte. Nun hat die Show „Kawumm“ von Top-Regisseur Markus Pabst in der Bundesstadt Premiere gefeiert – und ebenfalls eher auf alberne Bilder als auf große Kunst gesetzt.
Der Antrieb ist aus. Ein leiser Fluss von feinperliger Musik ist alles, was noch an Bewegung vorhanden ist, ein leise pulsierender Klang, der die Unendlichkeit des Kosmos zu spiegeln versucht. Das All ist an diesem Abend in der Harmonie die Quelle der Inspiration, ein Meer aus Schwärze und Stille, in dem jegliche Hektik bedeutungslos scheint. Es ist die absolute Entschleunigung, ein Zustand außerhalb der Zeit, nach dem Martin Tingvall strebt und dem er sich mit seinem aktuellen Solo-Album „The Rocket“ anzunähern versucht. Der schwedische Jazz-Pianist hat damit offenbar einen Nerv getroffen: Die erst vor wenigen Wochen veröffentlichte Platte stieg sofort auf Platz 1 der deutschen Jazz-Charts ein, und auch sein Konzert im Rahmen des Bonner Beethovenfests ist nicht nur offiziell, sondern sogar faktisch ausverkauft. Gut so: Mit feinen Melodien hebt Tingvall in der Harmonie ab, nimmt das Publikum mit auf eine Reise zu den Sternen – und lässt es dort ein wenig schweben.
Große Ambitionen? Hat David Kebekus definitiv nicht. Zu anstrengend. Wozu irgendwelchen Erfolgen oder Zielen hinterherhecheln, die man irgendwann einmal in einem Anflug von Größenwahn auf eine Liste geschrieben hat und die doch mehr Kraft kosten und weniger cool sind als ein Abend auf der heimischen Couch? Weg mit den Illusionen, her mit der Realität, so banal sie mitunter auch sein mag. Für Kebekus bedeutet dies, sich damit abzufinden, dass seine Schwester Carolin bekannter ist als er, größere Hallen füllt und die Familie zu Weihnachten auch mal in den Ski-Urlaub einladen kann, während Klein-David mit seinen 35 Jahren in Sessel-Clubs spielt und immerhin noch die Karte zum gemeinsamen Geschenk beisteuern kann. So ist das Leben eben – und damit kommt Kebekus ganz gut klar, seit er angefangen hat, die einst hochgesteckten Ziele zusammenzustreichen. In der Lounge des Pantheons blickt er nun auf seine Existenz. Und die ist an sich längst nicht so schlecht, wie man angesichts der ernüchternden Haltung zunächst glauben könnte.
Der Groove liegt ihnen im Blut: Das A-cappella-Ensemble Just 6 hat mit seinem Afro-Vocal-Play den Geist des schwarzen Kontinents mit westlichen Harmonien verbunden und damit bei der ersten Beethovenfest-Soiree im Post Tower für Furore gesorgt. Ausgelassen interpretierten die sechs Sänger aus Südafrika, Simbabwe und Swasiland Klassiker aus ihrer Heimat (darunter Miriam Makebas legendäres „Pata Pata“), berühmte Gospel und Musical-Hits wie „Circle of Life“ – und überzeugten vor allem dann, wenn sie die Stücke mit einer ordentlichen Dosis Humor würzten.
Eigenwillig – dieses Attribut hat sich die Bonner Sängerin Milene auf die Fahnen geschrieben. Die 22-Jährige sucht nach neuen Pfaden im Dickicht der deutschen Popmusik und setzt dabei auf eine Mischung aus Singer-Songwritertum und einer ordentlichen Dosis Soul. Das kommt an, wie sich am vergangenen Sonntagvormittag bei der Eröffnung des Beethovenfest-Programms im Post Tower gezeigt hat. Das Publikum jubelte der jungen Künstlerin und ihrer Band zu, feierte die ambitionierten Texte und die abwechslungsreiche Musik, die zwar mitunter ein wenig zu viel wollte, immer wieder aber auch im Ohr hängenblieb. Und letzteres ist ja immer ein gutes Zeichen.
Was eine Sehhilfe ausmachen kann. Wenn er die Hornbrille aufsetzt, heißt Herr Heist nicht länger Heist (und auch nicht Gernot Hassknecht), sondern Heinz Erhardt und als solcher das Publikum herzlich willkommen – im Haus der Springmaus ebenso wie auf dem Dachboden der Nostalgie, dort, wo jene verbalen Preziosen vor sich hinstauben, mit denen einst ein kleiner und doch ganz großer Komiker die gesamte Republik zum Lachen brachte. Es sind Wortspiele und Satzverdreher, Kalauer und Kaspereien, Gedichte und Geschichten, die Heist hervorkramt; manche ein bisschen altbacken, viele noch immer ungeheuer amüsant und allesamt Klassiker. Damit lässt sich schon ein charmanter Abend bestreiten, an dem die Made ebenso zu ihrem Recht kommt wie Ritter Fips und König Erl – und natürlich das Publikum, dass so manche Zeile genüsslich mitspricht.
Wer selbstbewusst ist, der kann auch tolerant sein: Davon ist Dave Davis überzeugt. Eine „geile Sau“ lässt sich eben nicht zu Rassismus verführen, sondern stellt sich vielmehr der braunen Flut entgegen. So wie der Bonner Comedian, der jetzt im Pantheon mit seinem aktuellen Programm „Genial Verrückt“ ein flammendes Plädoyer für jene Offenheit gehalten hat, die seiner Überzeugung nach in echten Rheinländern längst genetisch verankert ist. Die leben nun einmal ihre Willkommenskultur, sind immer geschmeidig, immer freundlich, und zwar „nicht nur gegenüber den 'guten Ausländern' wie den Schweden, sondern auch gegenüber den Kanaken“, wie der 46-Jährige betont. Diese Einstellung kennt Davis sonst nur von seinem Schamanen-Opa, dessen Weisheiten er nun mit seinem Publikum teilen möchte. Auch wenn er dabei mitunter ein wenig abschweift.
Einer alleine kann nichts bewirken. Warum sich also bemühen? Warum sein Leben ändern, wenn Milliarden andere Menschen weitermachen wie bisher? Ja, die Welt ist kaputt, und das treibt die Jugend in Scharen auf die Straße, aber persönliche Konsequenzen scheitern oft an Zweifeln, was das denn bringen soll. Im neuesten Stück des Jungen Ensembles des Theater Marabu werden genau diese existenziellen Fragen gestellt, mit großem Spieltrieb in Szene gesetzt – und letztlich auf äußerst eindrucksvolle Weise gelöst. Nicht zuletzt deswegen ist „Die Konferenz der Vögel“ eine der stärksten und intelligentesten Bühnenproduktionen der vergangenen Jahre, die das Publikum packt, es zum Nachdenken bringt. Und letztlich zum Mitmachen.
Mit einem wahren Rocksturm geht die KunstRasen-Saison 2019 zu Ende: Niemand geringeres als die Scorpions lassen es im Rahmen ihrer „Crazy World“-Tour in Bonn noch einmal so richtig krachen und bereiten der Open-Air-Konzertreihe so ein würdiges und prestigeträchtiges Finale. Die Band um Sänger Klaus Meine und Gitarrist Rudolf Schenker ist auch nach mehr als 50 Jahren auf den Bühnen dieser Welt eine nicht zu unterschätzende Macht, die noch längst nicht zum alten Eisen zählt und mit einer fulminanten Show die rund 5000 begeisterten Fans euphorisiert. Zugegeben, angesichts dieser Legenden hätten es eigentlich mehr sein müssen – so lange ist es schließlich noch gar nicht her, dass die Scorpions regelmäßig Stadien gefüllt haben, und die dafür nötige Energie besitzen sie allemal. Aber auch wenn die Plätze kleiner werden, wird die Band doch keineswegs leiser. Es sei denn, sie hat einen Grund – oder keine andere Wahl.
Hauptsache anders: Das war und ist eines der Markenzeichen des Progressive Rock, eines nach allen Seiten offenen Genres, in dem alles möglich ist. Na gut, fast alles. Klassik, Jazz, Elektronika und Folk sind immer wieder integriert und assimiliert worden, um etwas Neues zu schaffen, eine Musik jenseits gängiger Konventionen, durchdacht, komplex und ungeheuer spannend. Nun haben drei Bands auf dem KunstRasen gewissermaßen zu einer Zeitreise eingeladen, auf der die rund 3000 Besucher den Progressive Rock von heute bis hin zu seinen Ursprüngen erleben konnten. Mit dem polnischen Quartett Riverside, das unter Szene-Kennern seit nunmehr 15 Jahren eine feste Größe der gegenwärtigen Szene ist, dem ehemaligen Marillion-Frontmann Fish sowie Jethro Tull samt Teufelsflötist Ian Anderson ist eine illustre Runde nach Bonn gekommen, die musikalisch und zum Teil auch inhaltlich noch einiges zu sagen haben.
Eine klare Haltung, gute Laune und ganz viel Gefühl: All das kann man BAP einfach nicht absprechen. Seit nunmehr 40 Jahren bereisen die Kölschrocker die Republik, nachdem 1979 das erste Album „Wolfgang Niedecken's BAP rockt andere kölsche Leeder“ erschien, und immer schon haben sie es verstanden, sowohl Klartext zu reden als auch poetische Alltagsgeschichten zu erzählen. Ob es um die Liebe oder um Europa geht, um die Zweisamkeit oder um das gesellschaftliche Miteinander, stets hat die Band den richtigen Ton und die richtigen Worte gefunden. Auf dem KunstRasen, wo sie ihre aktuelle „Live & Deutlich“-Tour beenden, drehen Niedecken und Konsorten in ihrer aufwendigen Kulisse noch einmal so richtig auf, lassen es an nichts fehlen und feiern mit den rund 8000 Fans gut drei Stunden lang ein Finale der Extraklasse, das Lebensfreude und ernste Botschaften mühelos vereint.
Die rund 4000 Menschen auf dem KunstRasen sind glücklich. Wieder mal. Natürlich. Immerhin sind sie alle Lieblingsmenschen, dürfen sich alle angesprochen fühlen von Sängerin Namika und später von Max Giesinger, der dem eingeläuteten Kuschelkurs nur zu gerne folgt. Alles toll hier, so nett und so schön und so entspannt. Und in weiten Teilen so belanglos. Denn während Namika im Vorfeld ab und zu noch tief blicken lässt und vor allem mit den Songs ihres aktuellen Albums „Que Walou“ für den ein oder anderen Gänsehautmoment sorgt, verharrt Giesinger als Inkarnation des wohlig-weichen Mainstram-Pops sowohl inhaltlich als auch emotional an der Oberfläche. Nichts wird jemals konkret, erst recht nicht die Musik aus der Krabbelkiste der Singer-Songwriter-Floskeln.
Mit Worten konnten Kettcar schon immer hervorragend umgehen. Ob sie nun Alltagssituationen beschrieben, Liebeslieder schrieben oder Gesellschaftskritik üben, stets treffen die Hamburger um Frontmann Marcus Wiebusch den richtigen Ton, finden die richtigen Worte, poetisch, aber niemals peinlich, prägnant und nur selten pathetisch. Jetzt haben Kettcar zusammen mit ihren Kollegen von Muff Potter auf dem KunstRasen vor knapp 2000 Menschen ein Konzert gegeben, bei dem sie mehr denn je Haltung bewiesen haben und im Dienste des Humanismus dazu aufgerufen haben, Menschen über Grenzen und durch Zäune zu helfen. Im Notfall auch mit Hilfe eines Bolzenschneiders.
Schweißbänder und Sonnenbrillen, Luftballons und gute Laune, angefacht von Boyband-Pop und Eurodance-Beats: Am vergangenen Samstag waren die Bonner Rheinauen erneut das Mekka für alle Liebhaber der 90er Jahre. Formationen wie East 17 („It's Alright“) und Caught In The Act („Love Is Everywhere“) trafen auf Duos wie Snap! („Rhythm Is A Dancer“) oder Culture Beat („Mr. Vain“) sowie auf Solo-Künstler wie Blümchen („Herz An Herz“) oder Oli P, der einst mit der Cover-Version von Herbert Grönemeyers „Flugzeuge im Bauch“ für Furore sorgte. Diese je nach Einstellung schlimmsten oder schönsten Hits jener Ära schallten im Rahmen der 90er-Live-Open-Air-Tour, die durch insgesamt 15 deutsche Städte tourt, einmal quer über den Rasen und animierten die rund 20.000 Besucher zu einer Party, die gleichzeitig für viele eine Zeitreise in Jugend und Kindheit darstellte.
Die Stille ist bedrückend und befreiend zugleich. Inmitten eines Rockkonzerts kann eine Minute des Schweigens schon lang wirken – und doch legt Michael Patrick Kelly auf diese kleine Zeitspanne ganz besonders großen Wert. Der Musiker, der auf dem KunstRasen dem Dauerregen entgegensingt, ihm mit leidenschaftlichem und zugleich kreativem Pop begegnet, will das bis auf die Knochen durchweichte Publikum zumindest für einen Moment herausnehmen aus der Nässe und dem gleichzeitigen Partystreben und will ein kollektives Zeichen für den Frieden setzen.
Die Rheinaue klingt wieder: Nach einer dreiwöchigen Sommerpause sind die KunstRasen-Konzerte am vergangenen Donnerstag in die zweite Runde gegangen und haben mit James Bay einen Musiker präsentiert, der sich offenbar nicht vor einer künstlerischen Kehrtwende scheut. Einst als Singer-Songwriter mit Blueswurzeln gestartet, hat sich der 28-Jährige Brite mit seinem 2018er Album „Electric Light“, das er an diesem Abend zusammen mit einigen noch neueren Titeln und so manchen Klassikern vor rund 3000 Zuschauern präsentierte, bewusst dem Mainstream zugewandt – und kam damit vor allem bei seinen weiblichen Fans erstaunlich gut an.
Manche Verbindungen sind einfach untrennbar. Seit 1972 ist John Fogerty inzwischen solo unterwegs, hat in dieser Zeit etwa ein Dutzend Platten veröffentlicht und mit Songs wie „Rocking All Over The World“ Musikgeschichte geschrieben. Und doch wird er immer als der Gitarrist und Frontmann von Creedence Clearwater Revival bekannt sein, als das Mastermind hinter einer Band, die vor 50 Jahren einer der Headliner des Woodstock-Festivals waren (auch wenn der Auftritt mitten in der Nacht kaum Beachtung fand). Anlässlich dieses Jubiläums schaut Fogerty noch einmal zurück auf jene Ära – und erweckt auf dem Bonner KunstRasen die Songs von CCR erneut zum Leben.
Wir müssen mal entschleunigen, heißt es immer wieder. Das aber bitte schnell. Am besten sofort. Also jetzt. Weg mit dem Stress, aber pronto. Eine nachvollziehbare und doch zugleich paradoxe Forderung, die das Kreativteam der Varietétheaterkette GOP dazu inspiriert hat, eine ganz besondere Show auf die Beine zu stellen. Eine, die auf Kontrasten aufgebaut ist, die „Slow“ heißt und in weiten Teilen rasend schnell ist. Ein Konzept, das in Bonn nicht zuletzt dank eines überaus amüsanten und entschleunigten Luftzoos tatsächlich immer wieder funktioniert – und das doch ohne einen übergeordneten poetischen Rahmen das Potenzial nicht vollständig ausschöpft.
An diesem Abend muss das Publikum ganz schön ackern. „Ihr könnt noch lauter“, ruft Nena in die Menge, „das ist mir hier zu lame.“ Na, wenn die wahrscheinlich erfolgreichste Solo-Künstlerin der Bundesrepublik das sagt, muss man eben aufdrehen. Und sich die Seele aus dem Leib schreien. Was für die rund 6000 Fans, die für die Ikone der Neuen Deutschen Welle auf den Bonner KunstRasen gekommen sind, kein Problem ist. Die bringen gerne Opfer, um sich jener Liebe als würdig zu erweisen, die Nena nur zu gerne propagiert.Seit 40 Jahren steht die Sängerin auf der Bühne, hat Musikgeschichte geschrieben und hat noch längst nicht vor, sich zu verabschieden. Dafür ist sie einfach zu professionell. Und zu energiegeladen. Wie ein Flummi auf Speed springt sie umher, ist immer überall, nach Möglichkeit überall gleichzeitig, zwischendurch auch auf einer kleinen Bühne im Publikum, wo sie mit Fans den Punk zelebriert, der sie einst elektrisierte und der ihre ersten Auftritte prägte.
Schon seit etlichen Jahren ist der Jazzchor der Universität Bonn eine feste Größe in der Bundesstadt. Mal singt das engagierte studentische Ensemble bei „Der beste Chor im Westen“ mit, dann wieder holt es den Sieg beim Deutschen Chorwettbewerb oder – wie in diesem Jahr – beim Aarhus Vokal Festival in Dänemark. Insofern dürfte es keine große Überraschung sein, dass alle drei Semesterabschlusskonzerte des Chores unter dem Titel „No better Place“ restlos ausverkauft waren. Zu Recht, wie dieser in der Aula der Uni Bonn am vergangenen Dienstag zeigte. Eine feine Intonation traf auf starke Dynamik und eine herrliche Lockerheit, die alles andere als selbstverständlich ist. Ja, der Jazzchor kann auch grooven. Sogar ohne Jazz.
Distanz ist für Walk off the Earth tödlich. Die kanadische Gute-Laune-Band, die mit kreativen Cover-Versionen und spritzigen Eigenkompositionen in den vergangenen Jahren zu einem der größten Youtube-Phänomene in der Indie-Rock-Welt geworden ist, braucht die Nähe zum Publikum, braucht die Direktheit und Unmittelbarkeit, die sie in ihren Videos pflegen und die auch kleinste Spielereien und Klangexperimente in den Fokus rücken. Fünf Musiker an einer Gitarre so wie bei ihrer legendären Cover-Version von Gotyes „Somebody that I used to Know“ (derzeit mehr als 185 Millionen Zugriffe) sind ohne Zweifel ein Blickfang, aber nur wenn sie im Vollformat auf dem Bildschirm über die Saiten tanzen.
Das Feuer der Liebe und die Fackel der Freiheit, sie brennen noch. Auch und gerade in Zeiten, in denen Populisten, Nactionalisten und Rechtsradikale wieder ihre Stimmen erheben, Abgrenzung fordern und Kriegsdrohungen ausstoßen. Auf der Insel Grafenwerth lodern die Flammen auf jeden Fall hoch, als Folk-Ikone Joan Baez im Rahmen ihrer Abschiedstour am Ufer des Rheins auftritt und die Massen noch einmal berührt, so wie nur sie es vermag. Viel braucht die 78-Jährige safür nicht, hat sie nie gebraucht. Zwar lässt sie sich unter anderem von ihrem Sohn Gabriel Harris am Schlagzeug, dem Multiinstrumentalisten Dirk Powell sowie einer Backgroundsängerin unterstützen, doch eigentlich hat sie die gar nicht nötig. Eine Gitarre und ihre Stimme reichen schließlich, letztere inzwischen vom eindringlichen Sopran zum nicht minder intensiven Alt gereift. Das und ihre Botschaften, die noch immer so wichtig sind wie eh und je.