Mit einem wahren Rocksturm geht die KunstRasen-Saison 2019 zu Ende: Niemand geringeres als die Scorpions lassen es im Rahmen ihrer „Crazy World“-Tour in Bonn noch einmal so richtig krachen und bereiten der Open-Air-Konzertreihe so ein würdiges und prestigeträchtiges Finale. Die Band um Sänger Klaus Meine und Gitarrist Rudolf Schenker ist auch nach mehr als 50 Jahren auf den Bühnen dieser Welt eine nicht zu unterschätzende Macht, die noch längst nicht zum alten Eisen zählt und mit einer fulminanten Show die rund 5000 begeisterten Fans euphorisiert. Zugegeben, angesichts dieser Legenden hätten es eigentlich mehr sein müssen – so lange ist es schließlich noch gar nicht her, dass die Scorpions regelmäßig Stadien gefüllt haben, und die dafür nötige Energie besitzen sie allemal. Aber auch wenn die Plätze kleiner werden, wird die Band doch keineswegs leiser. Es sei denn, sie hat einen Grund – oder keine andere Wahl.
Wie bei fast jedem Konzert auf dem KunstRasen kommen die behördlich verordneten Lautstärke-Vorgaben im Publikum nicht allzu gut an. „Lauter“, schallt es schon beim Opener „Going Out With A Bang“ in Richtung Bühne. Dabei bemühen sich die Tontechniker der Scorpions schon, bis an die Grenzen des Erlaubten zu gehen, was denn auch zumindest direkt vor der Bühne sowohl hör- als auch spürbar ist, wenn auch natürlich kein Vergleich zu den Konzerten vergangener Tage, als die Hannoveraner regelmäßig mit Iron Maiden oder Metallica unterwegs waren – und diese Formationen im Vorprogramm auftraten, um von den großen Deutschen zu lernen, wie man rockt. Bis heute zählen unter anderem Axl Rose, Kirk Hammett, Joe Satriani oder auch Pink die Scorpions zu ihren Vorbildern, was angesichts der schier unbändigen Kraft, mit der vor allem Gitarrist Schenker sowohl über die Bühne als auch über die Saiten jagt, nur allzu verständlich ist. Sein Alter sieht man dem 71-Jährigen nicht an: Der Mann ist eine Wucht, eine elektrifizierte Rampensau mit Duracell-Antrieb und ein Rock-Virtuose, der seinesgleichen sucht. Gemeinsam mit Matthias Jabs haut er ein starkes Solo nach dem nächsten raus und sorgt für jenen berühmten Power-Sound, der die Scorpions zu einer der erfolgreichsten Bands der Musikgeschichte gemacht haben. Frontmann Klaus Meine geht angesichts dieser Wucht, die durch Bassist Pawel Maciwode und vor allem durch den ehemaligen Motörhead-Drummer Mikkey Dee weiter angefacht wird, zumindest am Anfang ein wenig unter, legt aber schnell noch einen Zahn zu und beweist, dass er die hohen Töne noch ebenso beherrscht wie die harten und die zarten.
Natürlich steckt hinter dem Bühnenkonzept eiskaltes Kalkül, ist alles durchorganisiert, jedes Solo bewusst gesetzt. Die Professionalität der Scorpions spricht aber für sich, ebenso wie die
stilistische Bandbreite, die von klassischem Rock über das mit Reggae-Rhythmen versehene „Is There Anybody There“ bis hin zu klassischen Balladen reicht und dennoch einen unverkennbaren Sound
aufweist. Da können auch The New Roses noch einiges lernen, die im Vorprogramm die Menge auf Touren brachte, mitunter aber ein bisschen zu glatt und zu austauschbar klang. Dabei gelten die
Wiesbadener spätestens seit ihrem aktuellen Album „Nothing But Wild“ als eine der großen Hoffnungen des deutschen Rock – die Platte sprang immerhin aus dem Stand auf Platz 10 der deutschen
Albumcharts. Der Gute-Laune-Sommer-Rock a la Bon Jovi ist denn auch gefällig, könnte aber durchaus noch ein paar zusätzliche Akzente vertragen. Irgendetwas einzigartiges. Und sei es nur ein
Pfeifen.
Das darf beim Scorpions-Konzert selbstverständlich nicht fehlen: Kaum spitzt Klaus Meine die Lippen, schon liegt „Wind of Change“ in der Luft, gesungen von tausenden Mündern. Die Hymne der Wende
bewegt auch heute noch die Menschen, sofern sie sich nicht längst satt gehört haben an dieser Ballade. Keine Sorge: Das vergeht. Spätestens als Mikkey Dee zu einem längeren Schlagzeug-Solo
ansetzt, ist die gewohnte Härte zurück. Am Ende wächst der Rocksturm sogar zu einem ausgewachsenen Hurrikan heran („Rock You Like A Hurricane“), bevor die Scorpions die Menge in die Nacht
entlassen. Ein starkes Finale für eine insgesamt überzeugende Saison, auch wenn die krankheitsbedingte Absage von Sting bitter war. Ob der britische Superstar den Auftritt im kommenden Jahr
nachholen wird, steht noch in den Sternen. Bislang hat Veranstalter Ernst-Ludwig Hartz erst drei Namen für 2020 bekanntgeben können: The BossHoss, Deep Purple sowie den in der Vergangenheit vor
allem durch peinliche Doku-Soaps bekannt gewordenen DSDS-Teilnehmer Pietro Lombardi. Weitere Künstler werden in den kommenden Monaten nach und nach bekannt gegeben werden.
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