An diesem Abend muss das Publikum ganz schön ackern. „Ihr könnt noch lauter“, ruft Nena in die Menge, „das ist mir hier zu lame.“ Na, wenn die wahrscheinlich erfolgreichste Solo-Künstlerin der Bundesrepublik das sagt, muss man eben aufdrehen. Und sich die Seele aus dem Leib schreien. Was für die rund 6000 Fans, die für die Ikone der Neuen Deutschen Welle auf den Bonner KunstRasen gekommen sind, kein Problem ist. Die bringen gerne Opfer, um sich jener Liebe als würdig zu erweisen, die Nena nur zu gerne propagiert.Seit 40 Jahren steht die Sängerin auf der Bühne, hat Musikgeschichte geschrieben und hat noch längst nicht vor, sich zu verabschieden. Dafür ist sie einfach zu professionell. Und zu energiegeladen. Wie ein Flummi auf Speed springt sie umher, ist immer überall, nach Möglichkeit überall gleichzeitig, zwischendurch auch auf einer kleinen Bühne im Publikum, wo sie mit Fans den Punk zelebriert, der sie einst elektrisierte und der ihre ersten Auftritte prägte.
Einer davon fand damals tatsächlich in Bonn statt. 1979 spielte Nena mit ihrer ersten Band The Stripes in den Rheinterrassen vor rund 40 Gästen, coverten und imitierten The Ramones. Und jetzt?
Steht die selbe Frau in der Gronau und agiert genüsslich in jenem Spannungsfeld aus modernem Schlager, massentauglichem Pop und kraftvollem Rock, der ihre Musik schon immer geprägt hat. Nicht
immer gelingt die Balance, manche Stücke sind trotz eines rotzigen Impetus mitunter doch recht schmalzig, aber gerade diese Mischung kommt im Publikum gut an. Zumal Nena ohnehin alles gibt. Für
sie mag all das Routine sein, sind gewisse Sätze längst zu Floskeln verkommen, aber dennoch wird jeder Song auf den Punkt gebracht, wird Euphorie verströmt und Leidenschaft, wird getanzt und
gejohlt und gefeiert und gewütet. Ihre Band hält ihr dafür den Rücken frei, darunter Nenas jüngerer Sohn Simeon sowie die Zwillinge Larissa und Sakias. Letzterer darf sogar mal ein Solo singen
und dabei zeigen, dass er mit seiner eindrucksvollen Stimme auch ohne den Namen seiner Mutter bestehen könnte.
Knappe zwei Stunden tobt Nena wie ein Wirbelwind über den KunstRasen, stimmt neue und alte Hits an und überzeugt ihre Fans davon, dass das Motto der Jubiläumstour tatsächlich stimmt: Wer dabei
war, hat nichts versäumt, wer fern blieb dagegen eine Künstlerin, die mit 59 Jahren noch genau so exzessiv Party zu machen versteht wie einst mit Anfang 20 und kleinere Schwächen entweder rigoros
überspielen oder geschickt kaschieren kann. Dass sie etwas eigen ist und zum Beispiel auf ausgeschaltete Bildschirme besteht, so dass vor allem die Besucher in den hinteren Reihen nur wenig sehen
können, stört zumindest die hartgesottenen Fans nur am Rande. Hauptsache, die richtigen Lieder erklingen, also jene, die ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen. Die Menge stimmt gerade dann lautstark
mit, wenn Klassiker wie „Nur geträumt“ oder „Leuchtturm“ erklingen, und natürlich erst recht bei „99 Luftballons“, jener Anti-Kriegs-Hymne, die längst ins kollektive Gedächtnis Deutschlands
eingegangen ist und die immer für ein bisschen Gänsehaut gut ist. So eine Wirkung über alle Generationen hinweg haben außer Nena nur wenige deutsche Künstler. Das weiß sie auch – und insofern
wird sie sich wahrscheinlich nicht so schnell von der Bühne verabschieden, sondern präsent bleiben und wiederkommen. Irgendwie, irgendwo, irgendwann.
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