Jean-Philippe Kindler: Die vier Stadien des Ärgerns

Nur die Ruhe? Nicht mit Jean-Philippe Kindler. „Ich will, dass sich die Menschen ärgern“, bekennt der 23-Jährige in seinem ersten Solo-Programm und streicht dem entsprechenden Brettspiel-Klassiker kurzerhand die Verneinung. Weg mit der Didaktik, her mit den Emotionen. Glück, Schadenfreude, Wut und Hoffnung hat Kindler aus Triebfedern ausgemacht, und die will der Poetry-Slammer, der derzeit zu den erfolgreichsten Vertretern seines Genres in Deutschland zählt, in der Lounge des Pantheon nun bedienen, während er sich gesellschaftskritisch und politisch äußert. Klappt leider nicht so ganz – denn argumentatorisch fehlt Kindler leider oft das richtige Maß, geht er in seiner Rhetorik entweder zu weit oder nicht weit genug, auch weil er des öfteren zugibt, selbst nicht alles verstanden zu haben. Und auch wenn er es stets gut meint, ist die mangelnde Tiefe doch immer wieder erkennbar.

Dabei sind die Texte Kindlers mehr als nur künstlerischer Ausdruck eines unruhigen Geistes. Sie sind eine Art der Therapie für den jungen Künstler, der nach eigenen Angaben seit Jahren unter klinischen Depressionen leidet. „Ich würde meine Kreativität jederzeit für alles eintauschen, das mir das Leben dauerhaft erleichtert“, sagt er. Doch so lange er sich mit seiner Sprachkunst auf die Bühnen dieser Welt traut, so lange muss er sich auch der Kritik aussetzen. Und obwohl Kindler durchaus sympathisch wirkt, ganz ungezwungen und entspannt, schlägt er so manches Mal über die Strenge, vor allem dann, wenn er persönlich wird. In einem Rap persifliert er etwa das geplante Antwort-Video von Philipp Amthor auf die Abrechnung des Youtube-Stars Rezo mit den Unionsparteien, verlacht den CDU-Politiker aber nur, statt sich mit ihm auseinanderzusetzen. Billige Beleidigungen statt durchdachter Pointen greifen allerdings schlichtweg zu kurz. Dann wieder kokettiert er gar mit seinem Nichtwissen (etwa bei einem Philosophen-Rap über Hegel), hat also nichts zu sagen und tut es dennoch. Schade, denn mit Worten kann Kindler ohne Frage hervorragend umgehen. Sein Gedicht über den Weg eines Gedanken, der Sprache werden will, ist brillant und ein Paradebeispiel für die Kraft der Poesie, und auch seine Verse über die „Hexenjagd auf die Männlichkeit“ ist im Großen und Ganzen durchaus hörenswert. Jeder Satz ist fein ziseliert, sorgfältig gedrechselt und durchdacht. Wenn er das jetzt auch mit den anderen Inhalten tun würde, könnte Jean-Philipp Kindler noch weit kommen. Also weniger ärgern. Und mehr argumentieren.

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