Die Stille ist bedrückend und befreiend zugleich. Inmitten eines Rockkonzerts kann eine Minute des Schweigens schon lang wirken – und doch legt Michael Patrick Kelly auf diese kleine Zeitspanne ganz besonders großen Wert. Der Musiker, der auf dem KunstRasen dem Dauerregen entgegensingt, ihm mit leidenschaftlichem und zugleich kreativem Pop begegnet, will das bis auf die Knochen durchweichte Publikum zumindest für einen Moment herausnehmen aus der Nässe und dem gleichzeitigen Partystreben und will ein kollektives Zeichen für den Frieden setzen.
Mit dem Schlagen einer Glocke aus alten Kriegswaffen von der Schlacht um Verdun läutet er zum Innehalten, und 6000 Zuschauer folgen andächtig seinem Beispiel. 60 Sekunden muss es auch mal ohne
Johlen und Jubeln gehen, ohne die Titel von Kellys aktuellem Album „iD“, während auf der Bühne die Rampensau endgültig zum Prediger mutiert und daran erinnert, dass in den beiden Weltkriegen
Glocken eingeschmolzen und zu Kanonen verarbeitet wurden. Der 41-Jährige hat das umgekehrt, hat in Anlehnung an die alttestamentarische Forderung „Schwerter zu Pflugscharen“ Gewehre zur 300 Kilo
schweren Peace Bell verwandelt und dafür gesorgt, dass die Gronau den Atem anhält. Eine bewegende Geste. Und eine, die eindrucksvoll zeigt, dass Kelly durchaus etwas zu sagen hat. Mit Pop und
ohne.
Dabei ist auch der Rest des mehr als zweistündigen Konzerts von Botschaften durchdrungen. Häufig geht es in Kellys Liedern um Gott, Liebe und Hoffnung – kein Wunder angesichts eines Künstlers,
der beinahe für den Rest seines Lebens im Kloster geblieben wäre. Doch die Musik liegt ihm nun einmal im Blut, und auch wenn „Paddy“ nicht mehr gemeinsam mit der Kelly Family auftritt, deren
Gesicht und später auch musikalischer Leiter er vor einem Vierteljahrhundert war, so kann er seine Vergangenheit einfach nicht leugnen. Viele im Publikum kennen und lieben ihn schließlich noch
aus genau jener Zeit, als er 15-jährig voller Inbrunst das von ihm geschriebene „An Angel“ sang und mit seinen langen Locken als Teenieschwarm der 90er galt. Den Balladen und Hymnen ist er denn
auch zum Teil treu geblieben. Dazwischen tummeln sich aber etliche Gute-Laune-Stücke mit ordentlichem Drive: Schon der Opener „Lazarus“ hat ganz schön Kraft, später bekennt er sich sogar lyrisch
zur Rückkehr zum Rock 'n' Roll. Gut, letzteren hat er zuvor nie gelebt, so dass man diese Aufforderung ebenso wenig ernst nehmen kann wie so manche andere Phrase, die sich zwischen den
Halleluja-Gesängen verbergen. Andererseits liefert Kelly zumindest musikalisch ab, mäandert mal in Richtung Indie-Pop, groovt bei „A Little Faith“ mit eindeutigen Deep-Purple-Bass-Zitaten und
greift in „iD“ auf Reggae-Rhythmen zurück. Irgendwann nimmt man ihm sogar den Rock ab, den er immer wieder hervorholt und der sich durchaua hören lassen kann. Dazu kommt mit Johannes Oerdings
„Heimat“ ein deutscher Song, den Kelly mit Blick auf die jüngste Staffel von „Sing meinen Song“ noch einmal überaus gefühlvoll interpretiert.
Das Publikum nimmt all diese Lieder begeistert auf, zumal Kelly immer wieder auf die Menge ein- und auf sie zugeht, sie aus dem Regen auf die Bühne holt, Selfies macht, Hände schüttelt und alles
versucht, damit das Wetter nicht zu sehr aufs Gemüt schlägt. "Ich wollte ja sagen, ihr seid wie die Iren, aber eigentlich seid ihr einfach nur irre. Ihr habt mich einfach geflasht", lobt er
angesichts der klatschnassen, aber ausgelassenen Menge. Die wiederum bedankt sich bei einem Pop-Künstler, der sich als überaus vielseitig erweist und trotz mancher pathetischer Verse mit seiner
Friedensbotschaft und seiner Energie die Menschen zu berühren versteht. Da übersteht man nur zu gerne ein bisschen Nässe. Was soll's. "Morgen feiern wir bestimmt alle krank", lacht Kelly.
Möglich. Aber an diesem Abend, da feiern sie alle letztlich den Frieden.
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