„Slow“: Tempowechsel mit Luftfisch-Hilfe

Wir müssen mal entschleunigen, heißt es immer wieder. Das aber bitte schnell. Am besten sofort. Also jetzt. Weg mit dem Stress, aber pronto. Eine nachvollziehbare und doch zugleich paradoxe Forderung, die das Kreativteam der Varietétheaterkette GOP dazu inspiriert hat, eine ganz besondere Show auf die Beine zu stellen. Eine, die auf Kontrasten aufgebaut ist, die „Slow“ heißt und in weiten Teilen rasend schnell ist. Ein Konzept, das in Bonn nicht zuletzt dank eines überaus amüsanten und entschleunigten Luftzoos tatsächlich immer wieder funktioniert – und das doch ohne einen übergeordneten poetischen Rahmen das Potenzial nicht vollständig ausschöpft.

Dabei hat das GOP die nötigen Bestandteile allesamt versammelt. Vor allem die Lufttiere des Berners Claude Criblez rufen ein kindliches Staunen hervor, während sie durch den Raum schweben, erst der Fisch, später dann die Katze, die mit surrenden Rotoren und einer unschuldigen Behäbigkeit die Entschleunigung vorleben. Criblez nutzt das für einige amüsante Anmerkungen und Moderationen, verzichtet aber letztlich darauf, aus dieser natürlichen Poesie mehr entstehen zu lassen. Ein eigenes Leben gesteht er den Bewohnern seines Flugzoos nicht zu, denn auch wenn er sie immer wieder anspricht und lockt, betont er doch immer wieder auch, dass er sie gebaut habe, sie steuere, ihr Tempo vorgebe. So dekonstruiert er kategorisch das Kopfkino, das er zuvor aufbaut, lässt die Geschichten schon nach wenigen Sätzen in sich zusammenfallen und hält zum Beispiel Fisch und Katze eine Interaktion mit den anderen Künstlern vor. Charmant sind die Nummern dennoch, keine Frage. Aber eben nicht zauberhaft.

Während Criblez mit seiner Kunst und auch aufgrund seiner Herkunft die gelebte Gemütlichkeit darstellt, ziehen die anderen Artisten des Abends das Tempo an. Angesichts des Mottos kann man das auch erwarten, hofft sogar auf Höchstgeschwindigkeitsdarbietungen und unbändige Energie. Immerhin lebt „Slow“ vom Spiel mit der Schnelligkeit, müsste eigentlich ständig changieren zwischen Stillstand und Tempo 180, doch zumindest in der ersten Hälfte bleibt sie irgendwo dazwischen. Lediglich die eröffnende Ikarier-Nummer der Togni Brothers kann vollends begeistern, während etwa Hula-Hoop-Tänzerin Daria Shcherbyna trotz einer eindrucksvollen Performance vorzugsweise Elemente zeigt, die schon in diversen anderen GOP-Shows zu sehen waren. Auch die Ring-Jonglage der Australierin Hazel Bock überzeugt nicht so ganz – erst nach der Pause zeigt sie in einer Antipoden-Nummer mit Bällen und Koffern, was für ein Ausnahmetalent sie eigentlich ist. Dann folgt aber ohnehin ein Höhepunkt auf den anderen: So hebt das Trio Tricked Out das Seilspringen mit Leichtigkeit auf ein neues Level, während Cyr-Artist Jonas Witt zur Musik von Luftring-Akrobatin und Pianistin Ingrid Korpitsch eindrucksvoll zeigt, dass er einer der Besten seiner Zunft ist. Wie er Fahrt aufnimmt, mit seinem riesigen Reifen über die Bühne jagt und dann wieder das Tempo zurücknimmt, eine kleine Pause macht und doch sein Gerät niemals stillstehen lässt, ist ein Genuss sondergleichen. Das ist die Dynamik, die ruhig den ganzen Abend über hätte herrschen können.

Immerhin durchbricht „Slow“ irgendwann doch noch die Schallmauer, spätestens als Chu Chuan-Ho mit seinem Diabolo agiert und das Publikum kollektiv den Atem anhält. Der Mann aus Taiwan dürfte einer der schnellsten Vertreter seiner Kunst sein, so unglaublich rasant lässt er die Doppelkegel über die Schnur und durch die Luft sausen. Irre. Als Gegenpol fungiert derweil die ruhige und gerade deswegen eindrucksvolle Paar-Akrobatik von Michael Togni und Yulia Girda. Das sind Szenen, die ruhig wiederholt werden könnten. Dafür nimmt man sich gerne Zeit, bei aller Hektik und allem Stress. Und auch wenn „Slow“ mehr machen könnte, ist dieser Schritt doch zumindest schon einmal ein Anfang.

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