Am Ende durfte es dann doch noch mal etwas lauter sein. Wuchtiger. Mächtiger. Und insgesamt großartig. Zum Abschluss der KunstRasen-Saison 2015 haben die Veranstalter am vergangenen Donnerstag, einen Tag nach dem Konzert von Friedenssängerin Joan Baez, den opulenten Progressive Metal in den Fokus gerückt und mit Dream Theater eine der erfolgreichsten und ohne Zweifel kreativsten Formationen der Szene in die Bonner Rheinauen geholt. Erwartungsgemäß haben sich die New Yorker trotz der zeitlichen Beschränkungen durch zwei Vorbands und dem vorgegebenen Ende um 22 Uhr nicht sonderlich bremsen lassen und ein anderthalbstündiges episches Feuerwerk voller ausgiebiger Soli, krachender Riffs und treibender, harter Rhythmen abgebrannt. Die Opulenz und Vielschichtigkeit von King Crimson, Rush, Pink Floyd oder Deep Purple trafen auf die typische Metal-Härte – eine spektakuläre Mischung.
Das immer wieder vorherrschende Vorurteil, Metal sei grundsätzlich nur ein undifferenziertes Dreschen auf wehrlosen Instrumenten, widerlegen die theatralen Recken um Gitarrengott John Petrucci
und Frontsänger James LaBrie von der ersten Sekunde an. Ja, es ist laut, und ja, die Musik hat mehr Druck als eine ganze Presslufthammerbatterie – doch die Virtuosität und Komplexität der
Dream-Theater-Kompositionen steht außer Frage. Wenn direkt am Anfang mit „Metropolis Pt. 1: The Miracle And The Sleeper“ alle nur denkbaren Rock-Register gezogen werden oder der treibende Beat
der „Panic Attack“ so manches Metal-Herz höher schlagen lässt, wenn Drummer Mike Mangini wie ein Wahnsinniger seine Toms bearbeitet, Bassist John Myung seine Tapping-Künste unter Beweis stellt
und Keyboarder Jordan Rudess mit flitzenden Fingern über die Tasten jagt, zeugt dies von einer herausragenden Qualität. Und wenn bei der Ballade „The Spirit Carries On“ kurzerhand der ganze Platz
mitsingt, kommen auch die Emotionen nicht zu kurz.
Im Vorfeld hatten schon die englische Band Haken und das Projekt des Kanadiers Devin Townsend eindrucksvoll die gesamte Bandbreite des Progressive Metal aufgezeigt. Beide Formationen verstehen
sich bestens darauf, zahlreiche musikalische Motive zu unvorhersehbaren, intellektuell fordernden Werken zusammenzusetzen. Vor allem Haken treibt diesen Puzzle-Charakter ins Extrem und damit
mitunter etwas zu weit: Zwischen all den faszinierenden Fragmenten geht ab und zu mal der rote Faden verloren oder der kompositorische Rahmen zu Bruch. Keine Frage, die Ansätze sind
bemerkenswert, ein klein wenig mehr Stringenz könnte aber nicht schaden. Zumindest innerhalb der einzelnen Stücke. So wie bei Devin Townsend. Der aufgedrehte Gitarrist und Sänger, der gerne als
Beispiel für die enge Beziehung zwischen Genie und Wahnsinn angeführt wird, liebt zwar Kontraste und Dichotomien, versteht es aber bestens, diese zu zügeln und zu bündeln. Auf dem KunstRasen
verzichtete er allerdings auf das erst im vergangenen Jahr erschienene und vom Country inspirierte „Casualties of Cool“ – stattdessen hämmerte er zunächst mit brachialer Härte ein paar seiner
Klassiker in Richtung Publikum, bevor er etwas ruhiger wurde, ein Lied für seine Frau sang und schließlich eines über ein ganz besonderes Alien. Denn ja, auch Ziltoid der Allmächtige machte in
Bonn seine Aufwartung, jener von Townsend zwecks Vereinigung von Humor und Metal erfundene trashige Außerirdische, der auch gerne mal wegen einer Tasse Kaffee eine ganze Welt auslöschen möchte
und stattdessen das nahende Soundgewitter von Dream Theater ankündigte. Dieses diente schließlich als angemessenes Finale für eine abwechslungsreiche Open-Air-Konzertreihe. Bleibt zu hoffen, dass
die im kommenden Jahr in die nächste Runde gehen kann.
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