„Ich kann mit glücklicherweise erlauben, nur noch das zu machen, was mir Spaß macht“, hat Heribert Beissel einmal in einem Interview gesagt. Doch das ist eine Menge. In der Beethovenhalle hat der vor knapp sechs Monaten 80 Jahre alt gewordene Gründer und ständiger Leiter der Klassischen Philharmonie Bonn dies einmal mehr unter Beweis gestellt, bot prächtige Dynamik in Werken voller thematischer Vielfalt und konnte dabei neben seinem gewohnten Orchester auf einen Welt- und einen Jungstar zurückgreifen: Neben der 23-jährigen Sopranistin Anna Lucia Richter, die im finalen Satz von Mahlers 4. Sinfonie die Gesangspartie übernahm, war Klarinettenkönigin Sabine Meyer nach Bonn gekommen, um ihrem alten Mentor nachträglich mit Carl Maria von Webers 1. Klarinettenkonzert zum Geburtstag zu gratulieren.
Trotz dieses großen Namens war die Beethovenhalle nicht vollständig gefüllt. Bedauerlich, denn nach der beeindruckenden Egmont-Ouvertüre Beethovens, in der der Konflikt zwischen Blech- und
Holzbläsern durch einen Wechsel von düsteren und zarten Partien erst durch ein heroisch-strahlendes Finale beendet wurde, präsentierte sich Sabine Meyer in exzellenter Form. Permanent mit ihrem
Instrument tänzelnd kostete sie in Webers Klarinettenkonzert das gesamte Potenzial ihres Instruments aus, begeisterte durch teils atemberaubende Läufe ebenso wie durch lyrisch-romantische
Passagen, in ihrem Variantenreichtum immer wieder an die menschliche Stimme erinnernd. Dar Orchester harmonisierte, von den emotionalen Gesten Beissels fein geleitet, gut mit der
Ausnahme-Solistin – lediglich die Blechbläser offenbarten in einigen Piano-Stellen leichte Schwächen. Dagegen überzeugten vor allem die Streicher durch ihre Präzision, mit der sie im dritten Satz
die nötigen Akzente für den fröhlich-verspielten Klarinettenpart setzten, in dem Meyer einmal mehr brillierte.
Die zweite Konzerthälfte stand ganz im Zeichen von Mahler, dessen „Humoreske“ Beissel und die Klassische Philharmonie Bonn souverän zur Aufführung brachten. Für den Zuhörer ergaben sich
allerdings, sofern nicht mit der Symphonie vertraut, immer wieder Momente der Verwirrung, da Mahler sich zwar an die klassische Form hält, zugleich aber konsequent mit Erwartungen bricht. Viele
Motive bleiben angedeutet, ordnende Strukturen immer wieder durch Narrenschellen oder andere kindliche Elemente ad absurdum geführt. Diesen wiederum steht die „Totengeige“ im zweiten Satz
gegenüber, Heiteres und Düsteres kollidieren. Dieser Kontrast durchzieht das gesamte Werk: Öfters schraubte sich das Orchester entweder hinunter in den Zusammenbruch oder hinauf zum explosiven
Finale, nur um dann im letzten Moment wieder vom energischen Beissel zurückgenommen zu werden. Verletzlichkeit und Kindlichkeit im Angesicht des ernsten Lebens, zugleich eine Abwendung von
spätromantischem Pathos, das sind die Themen der Symphonie. Im vierten Satz stand dafür die leider im spotlosen Dämmerlicht der Beethovenhalle nur schlecht erkennbare hübsche Sopranistin Anna
Lucia Richter ein, die fröhlich-unschuldig, dabei technisch exzellent die Verse aus der Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“ intonierte und sich auch von dem teils mächtig aufdrehenden
Orchester hinter ihr nicht aus der Ruhe bringen ließ. Eine tolle Leistung – und für Heribert Beissel ein zwar verspätetes, aber dafür um so schöneres Geburtstagsgeschenk.
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