Porcupine Tree: Der Bass, der nicht da war

Steven Wilson ist zweifelsfrei ein musikalisches Genie. Der 55-Jährige hat den Progressive Rock insbesondere mit seiner Band Porcupine Tree nachhaltig geprägt und ein Meisterwerk nach dem anderen geschrieben, mit tiefgründigen, hintersinnigen Texten und komplexen Songstrukturen. Jetzt ist besagte Formation nach Bonn gekommen und liefert musikalisch gesehen eines der besten Konzerte seit der Gründung des KunstRasens ab. Ein epischer Genuss in drei Stunden mit hochkomplexen und doch stets gefühlvollen Songs für Kopf und Herz, die auch ein später Regenschauer nicht mindern kann – zumindest, so lange man kein Smartphone zückt.

Es gilt Handy-Verbot auf dem KunstRasen. Zumindest an diesem Abend soll das Publikum die symbiotische Verbindung mit ihren Mobiltelefonen vorübergehend aufkündigen und die Geräte in den Taschen lassen, statt sie die ganze Zeit über auf der Jagd nach Fotos oder Videos in die Luft zu strecken. Einfach zuhören und genießen. Ein grundsätzlich nachvollziehbarer Wunsch der Band um Prog-Rock-Mastermind Steven Wilson, die sich nach einer zwölfjährigen Auszeit doch noch einmal aufgerafft haben und im Rahmen ihrer „Closer / Continuation“-Tour in der Bonner Rheinaue ein überragendes Konzert spielen; da will man nun einmal nicht überall Smartphones aufblitzen sehen, auch nicht in 2023. Doch wie auch bei einigen anderen Belangen vor und hinter der Bühne fährt die Band – oder deren Management – eine fast schon übertriebene Null-Toleranz-Politik, was dazu führt, dass die Sicherheitskräfte des Veranstaltungsgeländes in der Gronau konsequent gegen jedes gezückte Endgerät vorgehen und in einigen wenigen Einzelfällen sogar besonders hartnäckige Besucher hinauswerfen müssen. Dabei haben Porcupine Tree derartige Allüren eigentlich gar nicht nötig, zumal die Band selbst nun wirklich alles andere als technophob ist. Ganz im Gegenteil haben Wilson sowie seine Kollegen Richard Barbieri und Gavin Harrison stets die modernen Medien für ihre Zwecke zu nutzen gewusst. Aber gut, in der Kunst ist ja bekanntlich alles erlaubt.

Ohne Technik wäre der dreistündige Auftritt in Bonn übrigens kaum möglich gewesen: Aufgrund eines familiären Notfalls fehlt Live-Bassist Nate Navarro in Bonn; sein Part kommt stattdessen einfach vom Band. An dem für ein Open-Air-Konzert exzellenten Gesamtklang, bei dem jede Note kristallklar zu hören ist, ändert dies allerdings nichts. Weniger hätte die Musik aber auch nicht verdient: Die vertrackten und doch zugleich stringenten Stücke aus der Feder Wilsons, die mal sanft und mitunter melancholisch dahertreiben, nur um kurz darauf in einem Gewittersturm aus Gitarren-Riffs und atemberaubenden Schlagzeug-Patterns zu explodieren (schon allein wegen Gavin Harrison hat sich das Konzert gelohnt), lassen letztlich keine Wünsche offen. Insbesondere das Ende des ersten Teils ist mit „Dignity“, „The Sound of Muzak“ und der neuen Power-Nummer „Chimera’s Wreck“ eine Offenbarung. Langjährige Fans bejubeln allerdings auch „Mellotron Scratch“, das Porcupine Tree zum ersten Mal seit 16 Jahren wieder live spielen. „Lazarus“, das wahrscheinlich schlichteste Lied der Band – und eines der schönsten – wird dagegen leider nicht gespielt. Nach der Pause stehen stattdessen mit „Fear of the Blank Planet“, „Anesthesize“ und „Sleep Together“ sozialkritische Töne im Fokus, bevor die Zugaben mit „Trains“ einen starken Abschluss finden. Das könnte sich übrigens auch auf die gemeinsame Zeit von Porcupine Tree im Allgemeinen beziehen: Schon im Januar schrieb Steven Wilson in den sozialen Medien von den „wahrscheinlich letzten PT-Shows“. Weder die Band noch deren Management hat sich bislang zu diesen Andeutungen geäußert.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0