Marokkanischer Rock, so scheint es, ist bescheiden. Drei Saiten, mehr braucht es nicht, um es krachen zu lassen, drei Saiten und einen hypnotischen, gleichzeitig aber komplexen Beat. Dann jault die Gimbri, die Binnenspieß-laute aus dem Maghreb, in den Händen von Brice Bottin auf, während der Franzose, die Zunge zwischen die Zähne geklemmt und den Oberkörper in typischer Gitarristen-Pose nach hinten gebogen, in ein exzessives Solo einsteigt und einen fremdartigen, eigenwilligen Klangteppich erschafft.
ie Harmonie steht Kopf. Gerade stimmt ein kapverdischer Multiinstrumentalist mit einer portugiesischen Straßenmusikerin, einer Bonnerin mit rumänischen Wurzeln und einer Sängerin aus Angola eine Hymne an, die von Einheit und Frieden kündet, von der Überwindung von Hunger und Leid und von einer Welt, die alle Menschen ein- und nicht andere ausschließt. Und die Menge im Saal macht begeistert mit, wohl wissend, dass ist eine derartige Vielfalt auf der Bühne keineswegs selbstverständlich ist, erst recht nicht in Corona-Zeiten. Doch Konzertveranstalter Manuel Banha hat es mal wieder hinbekommen. Sein „Over the Border“-Weltmusikfestival ist der Beweis dafür, dass weder Grenzen noch Viren die Menschen dauerhaft daran hindern können, zusammenzukommen, zusammenzustehen und zusammen zu singen. Über drei Wochen hinweg werden Künstlerinnen und Künstler aus 22 Nationen in der Harmonie, dem Pantheon und dem Telekom Forum (sowie einmal im Café Hahn in Koblenz) auftreten. Jetzt haben die Local Ambassadors den Veranstaltungsreigen eröffnet.
Vielseitigkeit ist bekanntlich eher eine Tugend als ein Laster. Es sei denn, sie mutiert zur Beliebigkeit. So wie bei Love Ghost. Die junge Band aus Los Angeles, die den letzten Tag des Crossroads-Festivals in der Harmonie eröffnet, beruft sich zumindest auf eine schier endlose Zahl an Vorbildern, auf Amy Winehouse ebenso wie auf Machine Gun Kelly und Tupac, auf Rage Against The Machine, Nirvana und Limp Bizkit, und so wechselt das Quintett denn auch zwischen Pop-Ballade, Grunge, Emo-Rock, Hip Hop und Hardcore. Doch eine eigene Stimme? Gibt es nicht. Alles ist möglich, und deshalb ist auch letztlich alles egal.
Was macht eine Dame von Welt aus? Dass sie „Nein“ sagen kann. Am besten in 18 Sprachen, auf jeden Fall aber mit Nachdruck. Außerdem ist sie natürlich elegant, extravagant und einzigartig, genießt das Leben in vollen Zügen, hat ihren eigenen Kopf, vermag diesen auch zu nutzen und geht allen Hindernissen zum Trotz ihren Weg. Selbst wenn Frau sich selbst sabotiert. Damit kennt sich Evi Niessner bestens aus. Endlich will sie ihr eigenes kleines Cabaret eröffnen, ein Etablissement mit Stil und so manchem kapriziösen Amüsement – doch ihr zweites Ich will davon nichts wissen. Diesen inneren Konflikt fechtet die Niessner nun in ihrem neuen Solo-Programm „Mondän“ aus, mit jeder Menge Chansons und Couplets aus den 20er und 30er Jahren und mit so mancher verrückten Idee. Jetzt war Miss Evi im Pantheon zu Gast.
In diesen düsteren Zeiten kann selbst der Rock nicht unpolitisch sein. Und das ist auch gut so. Beim Crossroads-Festival des WDR-Rockpalasts, das einmal mehr vier Tage lang in der Harmonie stattfindet, werden zumindest immer wieder deutliche Botschaften in Richtung Russland gesendet, sowohl von Moderator Rembert Stiewe als auch von Bands wie Smokemasters. Die Kölner Psychedelic-Stoner-Rockformation, die am zweiten Abend die Bühne mit ausladenden Kompositionen auskleidete, hat mit dem düsteren „War Piece“ eine Art Soundtrack des Ukraine-Kriegs geschrieben.
Manchmal braucht es Einschränkungen, damit neue Wege beschritten werden, solche, die vorher schon möglich waren, aber kaum denkbar schienen. So wie etwa der musikalische Dialog zwischen dem Pianisten Lars Duppler und seinem Drummer-Kollegen Jens Düppe, der im Corona-Lockdown entstand, als also jeder auf Distanz bedacht war und trotzdem den Zusammenhalt suchte. Beide haben ihre eigenen Proberäume in ein und demselben Haus, sogar nebeneinanderliegend. Das wollten die beiden nutzen. Kurzerhand verlegten sie ein paar Kabel quer durch den Flur, setzten sich Kopfhörer auf, und schon konnten sie zusammenspielen, ohne zusammen zu sein. Das Ergebnis haben die beiden Jazzer nun zusammen mit Saxofonist Dennis Gäbel im Pantheon präsentiert und dabei zugleich die Reihe „Jazz in Concert“ von Thomas Kimmerle wiederbelebt.
Die nächste Völkerwanderung ist nur noch eine Frage der Zeit, und ausgerechnet ein Holländer versucht, die Menschen darauf vorzubereiten. Vor allem die Deutschen. Immerhin werden wir unweigerlich das Ziel von 17 Millionen Niederländern mit ihren Caravans und Hightech-Zelten sein, wenn der Meeresspiegel steigt, die Deiche brechen und ein ganzes Land zum Opfer der Fluten wird. Und dann? Kommen Klimaflüchtlinge mit einer Sprache, die wie eine Rachenkrankheit klingt, und mit jeder Menge Klischees, die ihnen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger in Jahrhunderten nachbarschaftlicher Rivalität zugeschrieben haben. Beides will Patrick Nederkoorn korrigieren. Der aufstrebende Kabarettist hat jetzt im Haus der Springmaus in Bonn die Premiere seines Debütprogramms „Die orangene Gefahr“ gefeiert – und einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Eine ausgefeilte Choreographie, bemerkenswerte Kraftakte und vor allem viel nackte Haut: Mit diesem ästhetischen Dreiklang startet die neue Show „Undressed“ im Bonner GOP. Dabei sprüht das Konzept vor Widersprüchen, trifft doch feurige Erotik auf eiskaltes Kalkül, Reduktion auf prächtige Kostüme und Akrobatik auf Slapstick. Dennoch gelingt diese Kombination der ukrainischen Zirkustheatergruppe Bingo meisterhaft – zumindest immer dann, wenn nicht gerade zu viele Worte den Zauber brechen.
Die Karawane rockt weiter. Zum Glück. Nachdem Corona die beliebte Blues Caravan aus dem Hause Ruf Records im vergangenen Jahr ausgebremst hatte, verheißt die aktuelle Tour die Rückkehr internationaler Stars auf den Kontinent. Einmal mehr stehen drei Künstler aus den Vereinigten Staaten, die kurz vor ihrem Durchbruch in der Rock- und Blues-Welt stehen, gemeinsam auf der Bühne der Harmonie, und einmal mehr freut sich ein Publikum über Neuentdeckungen von Labelchef Thomas Ruf, die man im Auge und vor allem im Ohr behalten sollte. Will Jacobs, Katie Henry und Ghalia Volt geben in Bonn auf jeden Fall Vollgas – und überzeugen jeder auf seine Weise.
Wenn Martin Tingvall seine Finger über die Tasten tanzen lässt, ist alles andere egal. Corona, Ukrainekrieg, Alltagssorgen, all das kann man bei dem virtuosen Spiel des Schweden für eine kurze Zeit ausblenden und sich einfach fallen lassen in diese wunderschönen Melodien. An diesem Abend ist Tingvall alleine in die Harmonie gekommen, ohne sein fantastisches Trio, ohne Bassist Omar Rodriguez Calvo und Drummer Jürgen Spiegel, die den lyrischen Melodien normalerweise eine ganz besondere Spannung verleihen. Schließlich will der 48-Jährige sein nunmehr viertes Solo-Album „When Light Returns“ vorstellen – und seine ganz eigene Art von Magie wirken, um das Licht in die Welt zurückzubringen. Zumindest für die Dauer eines Konzerts.
Volxmusik ist nicht gleich Volksmusik. Der Unterschied mag dank der nur leicht veränderten Schreibweise und der identischen Aussprache zunächst nur marginal erscheinen, doch spätestens wenn die ersten Töne von Loisach Marci durch den Saal der Harmonie schallen, ist klar, dass es hier um etwas ganz Anderes geht, um etwas Neues. Um Alphorn-Techno. Mit bairischem Rap, Waldhorn-Soli und krachenden Gitarrenriffs. Klingt seltsam, funktioniert aber. Und zwar extrem gut.
In manchen Momenten erinnert Jan Philipp Zymny an Peter Pan: Er, der Slam-Poet und Prix-Pantheon-Preisträger, der Chaot mit dem Bärenkatapult und der Verteidiger des gehobenen Blödsinns, will nämlich ebenso wie der Junge aus Nimmerland auf keinen Fall erwachsen werden. Doch die Zeit macht auch vor ihm nicht halt. In ein paar Tagen wird er 29: Eigentlich kein besonders wichtiger Geburtstag, für Zymny aber dennoch eine Zäsur. Immerhin wird er so langsam Teil jener Bevölkerungsgruppe, die statistisch und vor allem politisch eher uninteressant ist, zu alt für die Umfragen über die Wünsche und Sehnsüchte der „jungen Generation“, aber noch nicht alt genug, um gezielt von konservativen Parteien umgarnt zu werden.
Auf Egomanen können viele Menschen problemlos verzichten. Auf amerikanische (Trump) ebenso sehr wie auf russische (Putin). Dabei sind wir ja quasi selber schuld, dass diese Menschen inzwischen so mächtig und so gefährlich geworden sind, wir und der Kapitalismus. „Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht“, so lautet immerhin die Maxime dieser Wirtschaftsform. Doch das müsse gar nicht so sein, sagt Henning Schmidtke im Haus der Springmaus. Denn: „Wenn jeder an seinen Nächsten denkt, ist auch an alle gedacht.“ Aus liberal wird sozial, und wenn man dann noch ein paar Ex-Präsidenten und Diktatoren sowie einige Konzernbosse auf den Mond oder besser noch gleich zum Mars schießen würde, hätte man gleich eine viel bessere Welt geschaffen. Die Frage ist nur, ob Schmidtke, der bekennende Egomane unter den deutschen Kabarettisten, auch in die Rakete steigen müsste – oder ob er mit seinem Programm „Egoland“ Schule macht.
Was ist nur mit Justus los? Ausgerechnet er, der Ingenieur mit dem Glauben an den Fortschritt und an die Effizienz, hat sich in der Corona-Pandemie gewandelt und hat sich den Querdenkern angeschlossen. Das kann Christian Ehring einfach nicht verstehen. Was hat seinen besten Freund nur so umgepolt? Ihn und so viele andere, die der Wissenschaft einfach nicht mehr zuhören und die Logik nicht länger akzeptieren? „Es gibt Menschen, die liegen mit Corona auf der Intensivstation und betonen immer noch, dass es gut war, sich nicht impfen zu lassen“, sagt Ehring. Versteht er nicht, behauptet er zumindest. Dabei ist der Kabarettist und Extra-3-Moderator wahrscheinlich näher an der Wahrheit als viele andere. In seinem aktuellen Programm „Antikörper“ schaut er mit kritischem, aber auch offenem Blick auf die vergangenen zwei Corona-Jahre zurück – und erweist sich als exzellenter Analytiker der vermeintlichen Schwarz-Weiß-Situation mit einem feinen Gespür für die Grauzonen.
Die ganze Welt besteht als Bubbles. Aus Familien, Freundinnen und Freunden, Nationalitäten und sonstigen Gesellschaftskonstrukten, aber auch aus Fans eines bestimmten Musikstils oder den Followern eines Influencers. Mit diesen und anderen Filterblasen haben sich nun neun Jugendliche im Theater Marabu auseinandergesetzt und aus ihren eigenen Erfahrungen und Perspektiven heraus eine einstündige Collage aus Info-Texten und Choreographien entwickelt. Jetzt konnte „Bubble Up Your Life“ vor ausverkauftem Haus eine umjubelte Premiere feiern.
Wer braucht schon Männer? Die Zimtschnecken auf jeden Fall nicht. Zumindest nicht auf Dauer. Gut, den ein oder anderen Urlaubsflirt mit einem rassigen Spanier sind die drei Damen keineswegs abgeneigt, aber eigentlich genießen die reinkarnierten Andrews Sisters in Malentes Theaterpalast das Single-Leben in vollen Zügen. Na ja, mehr oder weniger. Denn so ganz ohne das andere Geschlecht ist es auch nicht so prickelnd. Und so dürfte es nicht überraschen, dass das Programm der Hamburgerinnen zwischen Freiheit und Verlangen changiert, zwischen dem Zug ins neue Leben und den sehnsüchtigen Erinnerungen an die aphrodisierende Fischbeker Heide. Das alles natürlich dreistimmig, pfiffig, mitunter ganz schön frivol – und vor allem mit dem Beweis, dass auch deutsche Texte swingen können.
Die Familie ist ein Zuhause – zumindest meistens. Sie ist anstrengend, nervend, eigensinnig, mitunter zerstritten und doch nach außen hin vereint, und das über alle Grenzen hinweg, geographische, kulturelle und sprachliche. Der Internationale Sprechchor Bonn hat sich diesem Thema nun im Theater im Ballsaal angenommen und mit „DreamFamily“ (Regie: Bettina Marugg) ihre eigenen Erfahrungen in eine bunte, multilinguale Textcollage integriert. Russisch, italienisch, baskisch, koreanisch und noch ein halbes Dutzend weitere Sprachen verschmelzen zu einem babylonischen Wirrwarr, das doch viele Gemeinsamkeiten kennt. Und einige ungewöhnliche Geschichten erzählt.
Wortspiele sind für Thomas Reis das Größte. Mehrdeutigkeiten und klangliche Ähnlichkeiten, Homophonien und Paragramme sind die Bausteine seiner politischen Kabarettprogramme. Dahinter muss alles andere zurücktreten, selbst die Pointen. Die muss sein Publikum schon selber suchen, was im Haus der Springmaus mal mehr, mal weniger gut gelingt. Immerhin feuert Reis in seinem Programm „Mit Abstand das Beste“ seine sprachlichen Kleinkunstwerke in etwa so schnell ab wie ein Sturmgewehr G36 – und mit ebenso großer Streuung. Kurzum, nicht jeder Schuss ist ein Treffer. Und nicht jeder Treffer erwischt das richtige Ziel.
Ein bisschen Ordnung muss sein. Das schafft Struktur und bildet Muster, die man vorhersagen kann. So wird die Zukunft planbar. Klingt gut – trifft auf Anna Mateur aber definitiv nicht zu. Unerwartbar, das ist sie, ein Gestalt gewordener Funken Chaos mit einem ebenso brachialen wie genialen Witz und einer Stimme, die das beste von Tom Waits, Joy Flemming und Trude Herr in sich vereint. Wenn Anna Mateur auf einer Bühne steht, kann alles passieren, von einer kafkaesken Traumsequenz mit einer trojanischen Giraffe bis hin zu einem Exkurs über jene „politisch motivierte Kunst“, der die sächsische AfD in Dresden den Hahn abdrehen will. „Was ist denn unpolitische Kunst?“, fragt Anna Mateur in ihrem neuen Programm „Kaoshüter“ und liefert die Antwort gleich mit: Ein T-Shirt. Mit Katzenbaby-Aufdruck. Süß, kitschig, beides? Ist das überhaupt Kunst? Und wenn ja, kann es dann weg? So viele Fragen, auf die auch Anna Mateur keine Antwort geben kann oder will. Klar ist nur eins: Was diese Frau daraus macht, das ist ohne Zweifel Kunst! Und zwar ganz große.
Der Sturm ist da. Zum Glück. Endlich fliegen wieder Blues und Boogie durch die Luft, wirbeln durch- und umeinander, zwei musikalische Partner im wilden Tanz, das atemberaubende Schauspiel einer Naturgewalt aus Dänemark – und das live, in Bonn, mitten in der vierten Welle der Corona-Pandemie. Selbstverständlich ist das keineswegs, nicht in dieser Zeit. Doch Thorbjørn Risager & The Black Tornado lassen sich von einem Virus nicht ihre Tour vermiesen, auch wenn von den ursprünglich vier geplanten Deutschland-Terminen nur noch zwei übriggeblieben sind. Sie haben lediglich ihren Auftritt in der Harmonie um zwei Tage nach hinten geschoben, stürmen dafür aber mit noch mehr Schwung als sonst auf die Bühne, geben alles und beschwören den Wirbelsturm, nach dem sie die Band benannt haben.
Corona? Kennt Stoppok. Hat er gehabt. Ist doof, braucht man nicht. Aber sich klein halten lassen, von so nem Virus? Nicht mit ihm, nicht mit Stoppok. Seit 40 Jahren tritt er Solo auf, da will er jetzt nicht damit aufhören. Also spielt er wieder auf seinen diversen Gitarren, vor allem auf der alten verschrammelten, die schon so viel erlebt hat und die gerade deswegen genauso gut und eigensinnig klingt wie ihr Besitzer. Der ist genau so stark wie eh und je, ein Alleinunterhalter mit jeder Menge Blues und jeder Menge Witz, ein Querdenker im positiven Sinne des Wortes, der gerne mal um die Ecken und über seinen Tellerrand hinausschaut und der dann doch letztlich wieder einfache Lieder für einfache Leute schreibt, und von Alltagsbanalitäten singt, die durch Stoppok auf einmal einen Hauch von Poesie versprühen. In der Harmonie sorgt er so für ausgesprochen gute Laune – und bringt die Menschen mit seiner Musik wieder näher zusammen.
Der Sturm kommt, und er bringt Veränderung. Er wühlt auf, wälzt um, deckt ab und deckt auf, unaufhaltsam, unwiderstehlich, unkontrollierbar. Diesem bildgewaltigen Element widmet das Fringe Ensemble aus Bonn nun seine neue Produktion „Stürmen“, die nach der Uraufführung in Münster jetzt auch im Theater im Ballsaal zu sehen ist. Fünf Schauspieler und vier Blechbläser nähern sich in einer Art szenischer und musikalischer Collage dem Phänomen des Sturmes an, erzählen von Rausch und Ekstase, von Hektik und Ruhe, von Liebe und Sex, aber auch vom Sturm auf das Kapitol, vom Klimawandel und von der Querdenker-Bewegung.
Eigentlich war 2021 alles andere als zum Lachen. Die Flutkatastrophe an der Ahr, die Corona-Pandemie und der völlig missglückte Afghanistan-Rückzug haben den Menschen vieles verleidet. Dennoch will die alljährliche Schlachtplatte, der kabarettistische Jahresrückblick mit der Lizenz zum Kalauer, die größten Themen Revue passieren lassen (bis auf das Hochwasser in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, denn darüber macht man keine Witze). Ein ambitioniertes Vorhaben. Doch eines, das durchaus gelingt: In ihren besten Momenten servieren Robert Griess und seine Kollegen Henning Schmidtke, Dagmar Schönleber und Sebastian Rüger im gut gefüllten Haus der Springmaus ihre Gerichte so heiß, dass sie schmerzen, und dann wieder so leicht, dass es Freude macht.
Was wäre die Welt ohne Traurigkeit. Ein Ort, an dem alle nur glücklich sind, nur fröhlich und vergnügt, ein modernes Arkadien voller Licht und Liebe. Manche würden mit verklärter Stimme von einem Paradies sprechen. Sterbenslangweilig wäre es da, würde Tina Teubner wahrscheinlich stattdessen sagen, denn wie will man die guten Dinge schätzen, wenn man die schlechten nicht mehr kennt. Und was wäre der Menschheit entgangen ohne die klagende Melancholie. Beethoven und Mozart. Tom Waits und Leonard Cohen. Charles Bukowski und Fjodor Dostojewski. Tina Teubner und Ben Süverkrüp. Die beiden letztgenannten bekennen sich im Kammermusiksaal des Beethovenhauses sogar ausdrücklich zu den düsteren Seiten des Lebens, die so oft als Inspiration für die ganz große Kunst dienen – und zeigen in einer Mischung aus Konzert, Deklamation und Lesung, das Schönheit auch im Dunkeln strahlen kann.
Gut gemeint heißt längst nicht immer gut gemacht. Die beiden Wannabe-Kidnapper Klein-Machow und Bad Langensalza aus der aktuellen Distel-Produktion „Nachts im Bundestag“ haben sich ihre Guerilla-Aktion im Dienste der Gerechtigkeit auf jeden Fall anders vorgestellt. Mit einem entführten Bundestagspolitiker, so ihr Kalkül, müssten sie doch eigentlich für genug Aufsehen sorgen, um etwas zu ändern. Am liebsten alles. Es gibt schließlich so viel, was im Argen liegt: Der Pflegenorstand, die Corona-Politik, die Verkehrswende. So kann das doch nicht weitergehen. Doch im Lagerraum für ausrangierte Politiker, irgendwo in den Katakomben des Bundestags, erweist sich das Opfer des Wutbürger-Duos wider Willen als lahme Ente. Heinz Güdderath, CDU-Hinterbänkler auf dem Abstellgleis, unwichtiger geht es kaum noch. Immerhin können sie aber gemeinsam so richtig vom Leder ziehen – und zumindest die ein oder andere Pointe setzen.
Das Hauptziel des Kapitalismus ist Wachstum. Mehr, immer mehr muss her, mehr Konsum, mehr Leistung, mehr Wohlstand. In der Vergangenheit haben die so genannten westlichen Nationen mit diesem Ansatz viel erreicht – doch so langsam wird die Luft dünn. Vor allem, wenn man Ulrike Herrmann glauben darf. Die Wirtschaftskorrespondentin der taz war jetzt zusammen mit dem Kabarettisten Jürgen Becker im voll besetzten Pantheon zu Gast, um darüber zu diskutieren, ob kein Kapitalismus tatsächlich auch keine Lösung wäre, und warum der Klimaschutz bei der Beantwortung dieser Frage eine zentrale Rolle einnimmt.
Der Boden lebt. Und er leidet, wenn ihm etwas genommen wird. Jeden Tag aufs Neue. Die Menschheit beraubt den Boden, entreißt ihm Gold, Nickel, Eisen, Kohle, Coltan, diese und andere Erze und Mineralien. Was bleibt, sind Narben und Giftstoffe, kranke oder gar tote Erde, aus dem Gleichgewicht gebracht von purer Gier. Im Rahmen des Theaterfestivals west-off nimmt sich der Schauspieler Gabriel Carneiro dieser toxischen Beziehung an und zeigt in seiner eindringlichen installativen Performance „O chão de ninguém“ („Niemandes Boden“) die Folgen solcher Eingriffe mit poetischen Mitteln auf. Ein spannendes Projekt – das bei seiner Premiere im Theater im Ballsaal lediglich am Anfang Zeit kostet.
In einem gemütlichen und gut sortierten Buchladen kann man sich schon mal verlieren. Umgeben von Geschichten taucht der Geist ein ins Reich der Phantasie, in dem nichts unmöglich scheint, so lange man die richtigen Worte findet. Hier treffen Leser auf Helden, manchmal auch auf Schrecken und mitunter sogar auf andere Menschen, die sich der Magie der Sprache ergeben. Im Bonner GOP hat nun ein ganz besonderer „Bookshop“ eröffnet, einer, in dem alle ein bisschen verrückt sind, ein bisschen eigen und gerade deswegen auch so wunderbar. Vor wenigen Tagen hat die neueste Show des Varieté-Theaters nun am Rhein ihre Weltpremiere gefeiert.
er Weltraum. Unendliche Weiten. Wir befinden uns in einer fernen Zukunft, in der das Raumschiff des Herzogs von Neapel durch einen kosmischen Sturm abstürzt und sich die Besatzung auf den Planeten des Magiers Prospero rettet, der einige der Männer an Bord nur zu gut kennt. Klingt nach einer vertrauten Ausgangslage? Sollte es auch. Immerhin hat die Bonn University Shakespeare Company (BUSC) mit einer Science-Fiction-Adaption von „The Tempest“ keineswegs Neuland betreten; einige Filme und Serien aus den 50er und 60er Jahren haben das Machtgefüge zwischen Liebe, Gier und Zauberei und die Erzählmuster des Dramas aufgegriffen, um die Geschichte von Prospero, Miranda und dem dämonischen Caliban auf ihre Weise zu erzählen. In der Brotfabrik sollte nun eine augenzwinkernde, bewusst trashige Hommage an diese Adaptionen hinzukommen, was mitunter auch gelingt – und dann wieder an der Treue zu Shakespeare scheitert.
Am liebsten würde man 2021 vergessen. Corona, Corona, Corona, Bundestagswahl, Corona und Klima: Es war ein Jahr der Ängste, auf das Florian Schroeder in seinem kabarettistischen Jahresrückblick „Schluss jetzt“ zurückblickt. Ein Jahr, in dem eine kleine radikale Minderheit die Themen setzte und sowohl große als auch kleine Parteien vor sich hertrieb. Ein Jahr, in dem sich alles ändern sollte und doch letztlich beim Alten blieb. Ein Retro-Jahr eben, das der Satiriker im gut gefüllten Pantheon zerpflückt.