„Undressed“: Halbnacktes Spektakel

Eine ausgefeilte Choreographie, bemerkenswerte Kraftakte und vor allem viel nackte Haut: Mit diesem ästhetischen Dreiklang startet die neue Show „Undressed“ im Bonner GOP. Dabei sprüht das Konzept vor Widersprüchen, trifft doch feurige Erotik auf eiskaltes Kalkül, Reduktion auf prächtige Kostüme und Akrobatik auf Slapstick. Dennoch gelingt diese Kombination der ukrainischen Zirkustheatergruppe Bingo meisterhaft – zumindest immer dann, wenn nicht gerade zu viele Worte den Zauber brechen.

Schöne Bilder, dafür ist das Circus-Theater Bingo aus Kiew berühmt. Im GOP war das Ensemble unter anderem schon für „Fashion“ und „Circus“ verantwortlich, und jetzt verknüpft es eben schöne, halbnackte Körper mit herausragender Akrobatik zu einer klaren, kontrastreichen und fantasievollen Bühnensprache. Angesichts des brutalen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine mag dies zunächst unsensibel erscheinen, doch in Wahrheit trifft das genaue Gegenteil zu. „Jedem einzelnen Künstler steht es in dieser schwierigen Zeit natürlich frei, ob er auftreten will oder nicht“, betont GOP-Theaterleiter Marc Schüler während eines Pressegesprächs im Vorfeld der Premiere. „Alle haben gesagt, dass sie spielen wollen, weil sie zumindest während dieser zwei Stunden die dramatische Situation in ihrer Heimat ausblenden können und auch müssen. Auf der Bühne rücken die Sorgen um ihre Verwandten und Freunde kurzfristig in den Hintergrund, während sich die Artistinnen und Artisten ganz auf ihre Darbietung konzentrieren. Genau deshalb wollen sie den Krieg auch nicht in der Show thematisieren. Wir als GOP stehen derweil vor, auf und hinter der Bühne an der Seite der Künstlerinnen und Künstler und tun alles, um ihnen Halt zu geben.“

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Bei der Premiere lässt sich das Publikum denn auch nur zu gerne von den atemberaubenden „Undressed“-Nummern fesseln, von den sinnlichen Tänzen, den halbnackten Körpern und der fetzigen Musik. Schlangenfrau Anastasiia Shymanska verbiegt sich im hautengen Kostüm in schier unmögliche Positionen, Oleksii Filippov erklettert mühelos einen chinesischen Mast, und das Trio Sunrise begeistert mit umwerfenden Hebe- und Wurffiguren, um die sie sämtliche Cheerleader und Funkenmariechen beneiden dürften. Auch Oleksii Kolomiiets an den Strapaten, der Equilibrist Andrii Nikolaienko sowie Valeria Holub am Trapez erweisen sich als Meister ihrer Kunst, ebenso wie die beiden Tänzer Oleksandr Sadlivskyi und Tetiana Nikolaienko sowie die beiden Musikerinnen Ganna Kolpakova (Saxofon) und Yuliia Korolova (Gitarre).

Und dann wäre da noch Herr Riesling alias Klaus Loch, der einzige Deutsche unter 13 Ukrainern. Dieser liebenswerte Trottel, der mit seinem zerzausten Haar einen wunderbaren Kontrast zur Hochglanz-Ästhetik des Circus-Theaters Bingo bildet, erweist sich als begnadeter Pantomime mit überragender Körperbeherrschung, der mit dieser Kunst für einige der besten Minuten des Abends sorgt – und doch haben die beiden Regisseure Igor Protsenko und Irina German aus einem unerfindlichen Grund beschlossen, ihm gleich zwei übermäßig lange verbale Moderationen aufzubürden, die „Undressed“ jegliche Spannung entziehen. Vor allem die zweite reißt zehn Minuten nach der Pause ein völlig unnötiges Loch in die Dramaturgie. Das ist unbegreiflich, zumal Herr Riesling seine absurde Zollstock-Nummer auch mit deutlich reduziertem Wortschatz hätte präsentieren können. In der jetzigen Form sind diese beiden Passagen aller Bemühungen des Clowns zum Trotz leider eher störend als amüsant. Allerdings spricht es auch für die Energie des restlichen Ensembles, dass es die Spannung im Anschluss nahezu mühelos wieder aufzubauen vermag und am Ende mit einem furiosen Finale voller Lebensfreude die Menge im Saal von den Stühlen reißt. Zu Recht.

Termine
„Undressed“ läuft noch bis zum 8. Mai 2022 im GOP Bonn. Vorstellungen finden jeweils Mittwochs und Donnerstags um 20 Uhr, Freitags und Samstags um 18 Uhr und um 21 Uhr sowie Sonntags um 14 und 18 Uhr statt. Karten sind ab 39 Euro an allen Vorverkaufsstellen erhältlich. Weitere Informationen unter www.variete.de/bonn.

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