Martin Tingvall: Lichtbringer an den Tasten

Wenn Martin Tingvall seine Finger über die Tasten tanzen lässt, ist alles andere egal. Corona, Ukrainekrieg, Alltagssorgen, all das kann man bei dem virtuosen Spiel des Schweden für eine kurze Zeit ausblenden und sich einfach fallen lassen in diese wunderschönen Melodien. An diesem Abend ist Tingvall alleine in die Harmonie gekommen, ohne sein fantastisches Trio, ohne Bassist Omar Rodriguez Calvo und Drummer Jürgen Spiegel, die den lyrischen Melodien normalerweise eine ganz besondere Spannung verleihen. Schließlich will der 48-Jährige sein nunmehr viertes Solo-Album „When Light Returns“ vorstellen – und seine ganz eigene Art von Magie wirken, um das Licht in die Welt zurückzubringen. Zumindest für die Dauer eines Konzerts.

Streng genommen ist hiermit alles gesagt. Schon die ersten Töne strahlen Hoffnung aus und versprechen, das alles wieder gut wird, vielleicht sogar besser. „Ich glaube, dieses Gefühl brauchen wir heutzutage dringender als jemals zuvor“, sagt Tingvall über sein Album, mit dem er die Corona-Pandemie bewältigt hat und das angesichts eines Kriegs an den Grenzen Europas inzwischen eine zusätzliche Bedeutung hat. Seit mehr als 20 Jahren malt Tingvall mit Klängen, hat schon Trolltänze, Geisterscharen und Raketenflüge skizziert. Jetzt widmet er sich eben dem Licht, dieser flüchtigen und doch so essentiellen Kraft. Mal groovt Tingvall auf der Fahrt zu einem Leuchtturm („At the Lighthouse“), dann wieder taucht er in die Schatten ein („Hide and Seek“). Geradezu astral wird er bei einer Komposition, die einst als Variation des englischen Kinderlieds „Twinkle, Twinkle, Little Star“ begann und mit der der Schwede keinem geringeren als Wolfgang Amadeus Mozart nachfolgt (dieser schrieb allerdings zwölf Variationen und bezog sich auf das französische Original).

Ohnehin ist Tingvall auf seinen Solo-Pfaden vom Jazz im herkömmlichen Sinne weit entfernt und pflegt eher einen  fast schon minimalistischen Neoklassizismus, der allerdings um brillante Improvisationspassagen ergänzt wird. Ebenfalls spürbar ist die Nähe zu skandinavischer Volksmusik – und natürlich die Liebe zur Natur. „Auch wenn es scheint, dass es nicht mehr weitergehen wird, selbst nach dem dunkelsten Winter, kehrt das Licht im Frühling zurück“, hat Tingvall mal über „When Light Returns“ geschrieben. Und auch wenn von Osten derzeit eine bedrohliche Sturmfront aufzieht, bleibt doch die Hoffnung, dass der Wind irgendwann wieder in die andere Richtung weht und die Dunkelheit schwindet.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0