Vielseitigkeit ist bekanntlich eher eine Tugend als ein Laster. Es sei denn, sie mutiert zur Beliebigkeit. So wie bei Love Ghost. Die junge Band aus Los Angeles, die den letzten Tag des Crossroads-Festivals in der Harmonie eröffnet, beruft sich zumindest auf eine schier endlose Zahl an Vorbildern, auf Amy Winehouse ebenso wie auf Machine Gun Kelly und Tupac, auf Rage Against The Machine, Nirvana und Limp Bizkit, und so wechselt das Quintett denn auch zwischen Pop-Ballade, Grunge, Emo-Rock, Hip Hop und Hardcore. Doch eine eigene Stimme? Gibt es nicht. Alles ist möglich, und deshalb ist auch letztlich alles egal.
Kein Wunder also, dass das Publikum irritiert ist, zumal die Stücke von Love Ghost ebenfalls mit dieser Unvorhersehbarkeit spielen – was nicht immer so eine gute Idee ist. Bereits der Opener „Heist“ endet derart abrupt, dass alle für einen Moment gefangen sind, die einen auf den Applaus wartend und die anderen auf die Fortsetzung. Eine unangenehme Situation, die dem Quintett nicht zum Vorteil gereicht. Schade, zumal die technischen Qualitäten ebenso massiven Schwankungen unterworfen ist wie die stilistischen. Vor allem Frontmann Finnegan Bell übernimmt sich mitunter, etwa bei dem Killers-Cover „Mister Brightside“, während Bassist Ryan Stevens weitgehend farblos bleibt, außer wenn er sich mal wieder die Seele aus dem schmächtigen Leib schreit. Andererseits erweist sich Danielle Gallardo nicht nur als druckvoller und präziser Drummer, sondern zudem als veritabler Sänger, und auch Leadgitarrist Daniel Alcala verfügt über eine Menge Potenzial.
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Scarlet Rebels erweisen sich dann aber glücklicherweise als kompletter Gegenentwurf: Die Waliser, deren aktuelle Platte „See Through Blue“ im Februar Platz sieben der britischen Albumcharts erreichte, begeistern mit schnörkellosem, gradlinigem Rock der härteren Art, über den man sich zu keinem Zeitpunkt Illusionen machen muss. Bei der Band stimmt einfach alles: Sänger Wayne Doyle gibt den gesellschaftskritischen Botschaften der Rebels die nötige Wucht (unter anderem beim Titelsong des neuen Albums) und gibt das Rampenlicht doch immer wieder gerne für Gitarrist Chris Jones frei, der das gesamte Repertoire großer Rock-Gesten verinnerlicht hat, diese aber auch mit herausragendem Gitarrenspiel zu untermauern versteht. Und im Hintergrund sorgt der stoische Wayne Esmonde für den richtigen Puls, während Gary Doyle, ein echtes Tier an den Drums, die Musik von hinten in Richtung Saal hämmert, wo sie euphorisch gefeiert wird. Das ist Rock in Reinform, differenziert und komplex, mit festen Wurzeln und einem klaren Stand. Keine Frage, Scarlet Rebel haben ihren Sound gefunden, und er klingt verdammt gut. Davon könnten andere Bands noch einiges lernen.
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