Ein bisschen Ordnung muss sein. Das schafft Struktur und bildet Muster, die man vorhersagen kann. So wird die Zukunft planbar. Klingt gut – trifft auf Anna Mateur aber definitiv nicht zu. Unerwartbar, das ist sie, ein Gestalt gewordener Funken Chaos mit einem ebenso brachialen wie genialen Witz und einer Stimme, die das beste von Tom Waits, Joy Flemming und Trude Herr in sich vereint. Wenn Anna Mateur auf einer Bühne steht, kann alles passieren, von einer kafkaesken Traumsequenz mit einer trojanischen Giraffe bis hin zu einem Exkurs über jene „politisch motivierte Kunst“, der die sächsische AfD in Dresden den Hahn abdrehen will. „Was ist denn unpolitische Kunst?“, fragt Anna Mateur in ihrem neuen Programm „Kaoshüter“ und liefert die Antwort gleich mit: Ein T-Shirt. Mit Katzenbaby-Aufdruck. Süß, kitschig, beides? Ist das überhaupt Kunst? Und wenn ja, kann es dann weg? So viele Fragen, auf die auch Anna Mateur keine Antwort geben kann oder will. Klar ist nur eins: Was diese Frau daraus macht, das ist ohne Zweifel Kunst! Und zwar ganz große.
Spießbürgertum und Rechtsradikalismus, diese beiden Themen haben es Anna Mateur besonders angetan. Genüsslich überzeichnet sie „detailliertes Theater“, einen banalen Schwank ins Groteske
steigernd (auch das ist unpolitische Kunst, bis die 44-Jährige sie dazu macht), konterkariert eine Nazi-Wutrede mit den dadaistischen Mitteln von Kurt Schwitters und verbindet die rhetorische
Unbedarftheit eines Lokalpolitikers mit der Eröffnung eines Swingerclubs. So hält sie den Geifernden und den Gähnenden gleichsam den Zerrspiegel vor und ist auf ihrem Kreuzzug für das Absurde zu
allem bereit – selbst wenn sie sich dafür das T-Shirt vom Leib reißen und ihren Kopf in eine übergroße Catwoman-Maske zwängen muss, natürlich alles im Dienste der Kunst.
Die wahre Brillanz von Anna Mateur tritt jedoch erst dann zu Tage, wenn sie singt. Diese Wahnsinns-Stimme, warm und voll und ungeheuer vielseitig, die auch mal Frank Zappa oder Joachim Witt
zitiert und natürlich Tom Waits. Begleitet wird sie dabei von ihren „Beuys“ Samuel Halscheidt und Kim Efert, zwei exzellenten Gitarristen, die ihre Virtuosität bei einem Instrumental-Duett zeigen
dürfen, aber eigentlich schon dadurch überzeugen, dass sie problemlos Bass, Schlagzeug und Klavier ersetzen, ohne dass man das Gefühl hat, es würde etwas fehlen. Außerdem dürfte es schon
Schwerstarbeit sein, auf der Bühne keinen Lachanfall zu bekommen, wenn Anna Mateur einen Pflegeroboter Pornos vorlesen lässt, ihre Pläne für ein Rhönrad-Makramee vorstellt oder sich wollüstig an
ihren Musikern reibt. Letzteres gehört schon seit Jahren zur Bühnenfigur der Anna Mateur. So viel Ordnung muss dann eben doch sein.
Kommentar schreiben