Manchmal ist die Verbindung zwischen Star und Menge von der ersten Sekunde an da. Der erste Ton, die erste Geste, schon springt der Funke über. In anderen Fällen bedarf es einer kleinen Starthilfe, ein bisschen Mühe und Leidenschaft, damit dieser wünschenswerte Zustand erreicht wird. Doch derartige Anstrengungen hat Andreas Bourani nicht nötig. Meint er zumindest. „Wir sind füreinander gemacht“, singt er auf dem KunstRasen, und die Menge reagiert genau so wie erwartet. Euphorisch bejubeln gut 8000 Fans den 33-Jährigen, der zu den derzeit populärsten deutschsprachigen Künstlern der Pop-Landschaft zählt – sofern das nicht ein Besucherrekord der Konzertreihe in der Gronau ist, hat Bourani diesen nur ganz knapp verpasst.
Geplant ist nichts. Möglich aber alles. Wenn Christian Padberg alias Dad's Phonkey auf die Bühne tritt, gibt es für ihn keine Vorgaben, keine Noten, keine Vorstellungen. Vielleicht, nur vielleicht, so etwas wie den Hauch einer Idee, mehr aber auch nicht. Die eigentliche Musik passiert einfach. Sie entsteht im Unterbewusstsein, eine Melodielinie nach der anderen, vom Gehirn in Form gebracht und sich schließlich aus dem Mund des 57-Jährigen in dessen Loop-Station ergießend, wo sie sich mit den anderen Fragmenten zu etwas Einzigartigem verbindet. Eine a-cappella-Chimäre, die ständig im Wandel begriffen ist und dabei faszinierende Formen annimmt. Im Pantheon hat Dad's Phonkey nun ein großes Konzert gegeben – und das Publikum mit seiner Experimentierfreudigkeit, seiner Kreativität und seiner Spontaneität begeistert.
Ein zusammengebasteltes Knochenmonster erschreckt einen betrügerischen und von allen gehassten Geschäftsmann zu Tode, ein Häcksler beseitigt die Überreste eines korrupten Polizisten mit zahllosen Liebschaften, ein fanatischer Buchhändler bringt die Leichen von Chaos in seinen Regalen anrichtenden Kunden durcheinander und ein Chinese verarbeitet einen Koch wegen eines geheimen Suppenrezepts zu Frühlingsröllchen: Bitterschwarz sind die Kurzkrimis von Kai Magnus Sting durchaus. Absurd auch. Und leider ziemlich handlungsarm. Während einer Lesung im Haus der Springmaus, bei der neben dem Hobbyautor und Berufskabarettisten auch Altmeister Henning Venske und als Sondergast Lokalmatador Andreas Etienne mitwirkten, kamen die Stärken und Schwächen dieser in der Sammlung „Tod unter Gurken“ zusammengefassten Texte zum Tragen – und sorgten für einen kurzweiligen, aber nur bedingt nachhaltigen Abend.
Das gesamte Pantheon singt. Und klingt. Alle sind Teil jenes Klangbezirks, den das gleichnamige a-cappella-Quartett an diesem Abend initiiert hat, das Publikum ebenso wie der Bonner Jazzchor auf der Bühne. Letzterer hatte die Berliner zu einem Doppelkonzert eingeladen, wollte einen gemeinsamen Auftritt in Köln wiederholen und wird nun eben integriert, wird zur Band von vier Sängern, deren Vielseitigkeit schlichtweg bemerkenswert ist. Von ihnen kann der Jazzchor, immerhin eines der besten großen Vokalensembles der Bundesstadt und auch deutschlandweit ganz weit vorne, noch einiges lernen. Unter anderem über die Definition von Jazz.
Eigentlich lässt sich dieser Abend nur als vollkommen verrückt bezeichnen. Und als absolut brillant. Genie und Wahnsinn sind ja dem Sprichwort nach zwei Seiten der selben Medaille – im Pantheon haben Sebastian Rüger und Frank Smilgies alias Ulan & Bator nun bewiesen, wie sehr dies zumindest auf sie selbst zutrifft. Denn was die beiden Mützenträger mit ihren zwischen Dadaismus und feinsinnigem Kabarett changierenden „Irreparabeln“ auf die Bühne bringen, ist ein Meisterwerk der Doppeldeutigkeit, in dem permanent überaus ernste Themen unter brachialem Blödsinn durchschimmern, eine perfekte Mischung aus Gaga- und Aha-Momenten und vor allem eine Marathon-Strapaze für sämtliche Lachmuskeln.
„Das ist mit Sicherheit einer der heißesten Tage, die ich bislang erlebt habe, und ich bin eine Zeitlang durch Australien getourt“, ruft Passenger und lacht. Wer will ihm da widersprechen? Gut, während der britische Singer-Songwriter mit einem umjubelten Konzert die KunstRasen-Saison 2017 eröffnet, hat es sich dank leichten Windes schon etwas abgekühlt, aber noch wenige Stunden zuvor rann der Schweiß im wahrsten Sinne des Wortes in Strömen. Nicht umsonst hatte der Deutsche Wetterdienst vor den hohen Temperaturen gewarnt, ebenso vor drohenden Gewittern – doch zumindest letztere blieben an diesem Abend aus. Zum Glück. Denn sonst hätten die mehr als 2000 Besucher einen fantastischen, charmanten Auftritt verpasst, der wahrscheinlich noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Provokation mit allen Mitteln: Diesen Ansatz hat Kay Ray in der Vergangenheit nur allzu gerne verfolgt. Ob er über Minderheiten herzog oder älteren Besuchern seines Programms eine Hitler-Frisur verlieh, ob er auf der Bühne einen Wodka nach dem nächsten herunterkippte oder mit seinem Penis Tierfiguren formte, ständig flirtete der exzentrische Komiker mit dem nahen Abgrund. Doch diese Zeit soll nun vorbei sein. Zumindest teilweise. „Ich wurde immer nur als schwuler Paradiesvogel gesehen, der auf der Bühne Schweinereien macht, die alle verurteilten und gleichzeitig sehen wollten“, gesteht er nun im Pantheon. „Das ging mir zuletzt richtig auf die Nerven. Es musste sich was ändern – also habe ich angefangen zu denken.“ Und tatsächlich ernst zu werden. Was ihm überaus gut zu Gesicht steht.
Ach ja, damals. In den guten alten Zeiten, als sich die Musik noch ausschließlich auf dem Plattenteller drehte, die großen Hits grundsätzlich die A-Seite besetzten und Herbert Knebel (Uwe Lycko) und seine Freunde so heiß waren, dass sie ihre vulkanisch-eruptiven Triebe in einer Eisdiele auf ein für alle Beteiligten erträgliches Maß herunterkühlen mussten, war die Welt noch in Ordnung. Dank guter Rockmusik und dem ein oder anderen Pinocchio-Becher. In der Bonner Oper, in der der Ruhrpott-Nörgler mit seinen gealterten Kumpanen sein Affentheater aufführt, fehlt dagegen beides. Kein Eis und keine Energie, stattdessen Altherrenwitze im Schlafrock und dröge Umdichtungen großer Hits – das mag zwar für manche als Ausbruch aus dem „Korsett des Alltäglichen“ gelten, wie Knebel die Eskapaden seiner „Männer ohne Nerven“ bezeichnet, ist aber letztlich vor allem jede Menge heiße Luft.
Der Pate lässt sich natürlich einfliegen. Stilecht, mit Boden-Lotsinnen im Silber-Look. Von der Hallendecke schwebt Udo Lindenberg herab in Richtung Bühne. So eigenwillig wie eh und je. Der Don des Deutsch-Rock kann gar nicht anders. Will es auch nicht anders. Und warum sollte er auch? Diese Art der Inszenierung gehört einfach dazu, ist längst Teil der Legende um einen Künstler, der immer wieder aufersteht und mit jeder Reinkarnation noch besser zu werden scheint. Insofern Punktlandung für den UFO-Mann im Nadelstreifenanzug, der sich so gerne völlig losgelöst von der Erde gibt und doch die Gegenwart fest im Blick hat. Auf seiner aktuellen „Stärker als die Zeit“-Tour, die in der restlos ausverkauften Lanxess-Arena ein umjubeltes Ende findet, präsentiert sich Lindenberg so stark wie schon lange nicht mehr. Gereift und geräuchert, in Topform über das Parkett tänzelnd und die Musik in vollen Zügen genießend bietet der Meister ein Spektakel der Extraklasse, irgendwo zwischen Varieté und Größenwahn, angereichert mit zahlreichen Freunden und vor allem mit jeder Menge Spaß.
Jetzt ist die Stimme voll da. Ein wenig hauchig und rauchig, in den Höhen und Tiefen gleichermaßen sicher, die Töne prächtig auskleidend und umspielend. Immer wieder werden die Einsätze verschleppt, kommen sie ein paar Sekundenbruchteile später als gewohnt, doch gerade „In A Sentimental Mood“ kann das vertragen, braucht diesen Bruch mit dem Erwartbaren und das Gefühl der verklärten Lethargie fast schon. Was Fay Claassen in diesem Moment in der Harmonie zaubert, ist schon eine Klasse für sich. Nur wegen ihr hat der Konzertsaal in Endenich seine Sommerpause unterbrochen und seine Pforten geöffnet, wegen ihr und wegen dem Bonner Schumannfest, das in seiner 20. Auflage die Jazzsängerin erstmals in der Bundesstadt präsentieren wollte. Eine gute Entscheidung, wie sich in diesem Stück zeigt, zumal auch die Musiker im Hintergrund einen exzellenten Job machen. Geht doch. Warum nicht gleich so?
Ausgerechnet Gottfried Keller. „Kleider machen Leute“. Warum nur diese Novelle? Hätte Sonja (Caroline Sieger) nicht etwas Spannenderes in den einzigen Koffer packen können, den sie und ihr Mann nach einem Schiffbruch in der Karibik auf eine einsame Insel retteten? Irgendetwas mit weniger Beschreibung und mehr Handlung? Nun ja, man muss eben mit dem arbeiten, was man hat. So wird der Text über einen Schneider und Hochstapler wider Willen also zum Ausgangspunkt einer unterhaltsamen, mitunter allerdings in die Banalität abgleitenden Revue über die Welt der Mode, ohne allzu viel Tiefgang – aber dafür eben mit Keller.
Ein Trio, dass mit Gummipuppen Gummitwist tanzt, sowie eine Österreicherin, die zynischer als Georg Kreissler und bissiger als Hannibal Lecter daherkommt: Bei der diesjährigen Ausgabe des legendären Prix Pantheon haben Künstler gesiegt, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Grandioser Slapstick ohne Worte auf der einen Seite, gnadenlose Satire auf der anderen. Doch sowohl Starbucks Comedy (Publikumspreis) als auch Lisa Eckhart (Jurypreis) haben das Potenzial, um ganz nach oben zu kommen – ein Weg, bei denen der Kleinkunstpreis des Bonner Pantheons, der zum ersten Mal im neuen Domizil auf der Beueler Seite verliehen wurde, durchaus helfen könnte.
Jeder darf, keiner muss: Die Tür für Soli steht den Mitgliedern des Jugend Jazz Orchesters Bonn (JJOB) jederzeit offen. Immerhin steht die Förderung von Talenten im Fokus des seit vier Jahren bestehenden Klangkörpers, der schon in der Vergangenheit wiederholt gezeigt hat, welches Potenzial in ihm steckt. Auch beim Sommerkonzert im LVR Landesmuseum nutzten einige Nachwuchsmusiker die Gelegenheit, um sich auszuprobieren und freizuspielen, um mutig zu improvisieren und sich ganz dem Jazz zu ergeben. Irgendwann muss man damit ja mal anfangen. Und immerhin werden die Bedingungen dafür immer besser – denn auch das JJOB als Ganzes ist erneut über sich hinausgewachsen.
Einfach mal ankommen. Ruhe und Frieden finden nach all den Gefahren der Reise, nach der ständigen Ungewissheit und der permanenten Bedrohung. Das Ziel nennt sich Heimat. Doch die ist nicht immer so leicht zu erreichen. Millionen Menschen befinden sich derzeit auf einer Odyssee, über Gebirge und tosende See in Richtung des gelobten Landes, das viele nie erreichen werden. Mit diesen Schicksalen im Hinterkopf hat Regisseurin Christina Schelhas jetzt Homers Epos über die Irrfahrten des Odysseus in eine bildgewaltige Performance übersetzt, die das Publikum atemlos zurücklässt. Sofern denn die Dechiffrierung der Szenen gelingt.
Ein Autor? Wird überbewertet. Zumindest wenn es nach den Figuren geht, die auf der Probebühne 1 des Bonner Opernhauses ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, aus ihren Rollenvorgaben ausbrechen und sich kurzerhand selbst fertigschreiben. Keine fremde Hand bestimmt mehr ihr Handeln, kein fremder Kopf ihr Sein. Nur noch sie zählen. Ihre Wünsche, ihre Bedürfnisse, ihre Ziele. Diesen Abnabelungsprozess hat Theaterpädagogin Inga Waizenegger zusammen mit der einen Hälfte des Jugendclubs des Theaters Bonn unter dem Titel „Ein Stück von mir“ nun auf die Bühne gebracht – und damit eine kompakte, vielschichtige Inszenierung geschaffen, die künstlerischen Schöpfungsprozess und jugendliche Emanzipation gleichermaßen reflektiert.
Wie gut, dass die Bestie vom Dodlbach nicht den gesamten Abend gestaltet hat. Nur den Anfang, bevor die ganzen Aufregerthemen das Blut in Wallung bringen, und das Ende, als sich alles wieder beruhigt hat. Ein Glück. Sonst hätte es im Pantheon wohl Tote gegeben. In den Augen des bayrischen Massenmörders wäre das nur konsequent gewesen. Immerhin hat er schon seine nervende Frau erschossen, den immer zu spät kommenden Postboten, einige Nörgler und auch den Wirt der Eckkneipe, auch wenn letzterer nur ein Kollateralschaden war. Was würde wohl passieren, wenn dieses ehrliche Monster mit den echten Problemen Deutschlands und der Welt konfrontiert werden würde? Wenn Namen wie Donald Trump und Jean-Claude Juncker fallen würden, wenn er sich über verlogene Banken, den Wert der Alten als Patienten und das traurige post-Straußsche Bayern in Rage reden könnte? Da ist es doch besser, wenn Helmut Schleich das übernimmt. Dessen bissige Argumente und messescharfe Analysen sind schon schmerzhaft genug – aber wenigstens nicht tödlich.
Ein Scherbenhaufen. Mehr ist von den Haussmans nicht übrig. Ein Scherbenhaufen und ein Haus, das ebenso verfallen zu sein scheint wie die Familie selbst. Liebenswert, ja, mit Charme, aber auch voller ungelöster Probleme. Jetzt jedoch kommt alles ans Licht – dank der neu gegründeten Theatergruppe moving targets, die Stephen Beresfords Stück „The Last of the Haussmans“ erstmals auf eine deutsche Bühne bringen und mit ihrem Debüt zugleich ein ebenso unterhaltsames wie bewegendes Porträt zeichnen. In der Brotfabrik sorgt die englischsprachige Inszenierung von Esther Takats und Janine Lockwood-Brusa, die beide auch in zentralen Rollen zu sehen sind, dank überaus starker Charakterzeichnungen auf jeden Fall für Begeisterung.
Ach ja, die üblichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Da die Männer mit ihrem einfach gestrickten Gehirn, die sich immer nur auf eine Sache konzentrieren können und mit Geschenken aus dem Baumarkt recht einfach zufriedenzustellen sind; und dann die Frauen mit ihrem Multi-Tasking-Kabelknäuel im Gehirn, voller Verknüpfungen und vor allem voller Emotionalität. Beliebte Klischees, die man eigentlich längst überwunden zu haben glaubte und die dennoch auf der Bühne immer wieder von Kabarettisten hervorgekramt werden. Auch Horst Schroth, der immerhin in den 90ern gleich zweimal den Deutschen Kleinkunstpreis erhalten hat und an den legendären „Reichspolterabenden“ beteiligt war, greift nur allzu gerne in diese Schublade. In seinem neuen Fortsetzungsprogramm „Wenn Frauen immer weiter fragen“ beantwortet er nur allzu gerne ihn angeblich erreichende Mails – und lässt angesichts seines kultivierten Auftretens schnell vergessen, dass die Pointen eigentlich ziemlich antiquiert sind. Auch wenn sie beim Publikum immer noch zünden.
Mehr Jazz geht wirklich nicht mehr: Nach 21 Konzerten (zehn Doppel- und einem Solo-Konzert) und mehr als 6000 seligen Besuchern ist das Bonner Jazzfest 2017 am vergangenen Samstag zu einem umjubelten Abschluss gekommen. In der Bundeskunsthalle entfesselte das Team um Intendant Peter Materna einen norwegischen Abend der Extraklasse, der keine Wünsche offen ließ, ebenso lyrisch wie komplex war und zwei junge aufregende Künstler präsentierte, die die Zukunft des Jazz maßgeblich mitbestimmen dürften. Auf der einen Seite der intelligente Singer-Songwriter-Jazz der 28-jährigen Bassistin Ellen Andrea Wang, auf der anderen das einzigartige, facettenreiche Saxofonspiel des 1985 geborenen Marius Neset, das modernde Klänge ebenso mit einbezog wie charmante Melodielinien.
Es ist ein Abend zwischen Traum und Rausch. Ein Abend, in dem man versinkt, die Zeit vergisst und sich den Gefühlen ergibt, die einen unweigerlich zu überwältigen drohen: Erst Zärtlichkeit und Melancholie, hinterher verdichtete Ekstase. Keine Frage, das Jazzfest-Doppelkonzert im LVR Landesmuseum mit Rita Marcotulli und Luciano Biontini auf der einen und dem Neil Cowley Trio auf der anderen Seite des energetisch-emotionalen Spektrums lässt die Wellen hoch schlagen, und gerade in der zweiten Hälfte kann nicht jeder der wilden Fahrt durch die pulsierende Nacht etwas abgewinnen. Dabei sind beide Auftritte auf ihre jeweils eigene Weise aufregend – und eröffnen letztlich dem Publikum neue Welten.
Mit dem Ergebnis können eigentlich alle zufrieden sein: Gut 3000 Besucher sind bei der nunmehr elften Theaternacht am vergangenen Mittwoch – der ersten unter der Leitung der Theatergemeinde – durch die großen und kleinen Bühnen der Stadt gezogen, haben Auszüge aus aktuellen und kommenden Programmen sowie einige ganz exklusive Darbietungen gesehen und einfach das vielfältige Bonner Kulturleben in vollen Zügen genossen. Mehr als 150 Vorstellungen an 33 Spielorten sorgten für jede Menge Abwechslung: Lesungen und Musik, Kabarett und Monodramen, Winterreisen und Hurenabende, Hut-Revues und Tanz-Einblicke ließen kaum Wünsche offen.
„Das geht doch besser!“, ruft Johann König gerne mal. Vor allem in Richtung seiner Frau. Ob es nun das Einräumen der Spülmaschine ist oder der Transport von Schmutzwäsche, immer sieht der 44-Jährige Optimierungsbedarf. Nur nicht bei sich selbst. Dabei läuft bei dem selbsternannten Sinnbild der Geschmeidigkeit längst nicht alles rund, wie sein Auftritt in der gut gefüllten Bonner Oper zeigt. Denn das ständige Schwanken zwischen brillant-anarchischem Nonsens und platten Zoten über allerlei Belanglosigkeiten, dass König zu seinem Konzept erklärt hat, sorgt zwar kurzfristig für wieherndes Gelächter, aber nur selten für nachhaltige Unterhaltung. Permanente penetrante Wiederholungen und überflüssige Leerstellen im Pointen-Teppich lassen das Programm mit der „Milchbrötchenrechnung“ vielmehr allzu oft in der Luft hängen – und das würde nun wirklich besser gehen.
Ein Wasserfall aus Tönen prasselt auf die restlos ausverkaufte Bonner Oper, ein beständiger Strom aus Melodien und Klängen, perlend, sprudelnd, fließend, vom Verstand kaum in Gänze erfassbar und doch irgendwie an- und aufregend. Keine Frage, Brad Mehldau ist eine Klasse für sich. Der 46-Jährige gilt als einer der besten Jazz-Pianisten der Welt, als Ausnahmetalent mit einem Hang zu hochkomplexen Narrationen, der immer wieder ein Dutzend potenzielle Wege öffnet, jeden einzelnen farbenfroh ausschmückt und schließlich doch den dreizehnten wählt. Nicht umsonst hat die Elbphilharmonie ihn auserkoren, das neue Hamburger Konzerthaus dem Jazz zu weihen, nicht umsonst liegen ihm weltweit die Künstler zu Füßen – und nicht umsonst hat das Jazzfest Bonn an diesem besonderen Abend mit der Tradition der Doppelkonzerte gebrochen und Mehldau einfach alle Zeit der Welt gewährt. Was dieser dann auch ausnutzt.
Die Szenerie könnte glatt aus einem Jason-Borne-Thriller stammen: Auf den ägyptisch-stämmigen Grünen-Politiker Lutfi Latif wird während einer Fernsehsendung ein brutaler Sprengstoffanschlag verübt, das kurze Zeit später die Terrororganisation Al-Quaida für sich in Anspruch nimmt. Prompt beginnen im Land die üblichen Ressentiments wieder hochzukochen, werden Muslime unter Generalverdacht gestellt. Doch hat das Attentat wirklich einen islamistischen Hintergrund? Oder stecken vielleicht doch perfide Pläne einer rechtsradikalen Gruppierung dahinter? Diese Fragen wirft der deutsche Autor und Journalist Yassin Musharabash in seinem Roman „Radikal“ auf, den Regisseurin Mirja Biel jetzt auf der Werkstattbühne des Theater Bonn inszeniert hat – und sich den Antworten lieber diskursiv nähert.
Man könnte die Brotfabrik fast schon als das Klanglabor des Bonner Jazzfests bezeichnen: Immer wieder gehen Künstler in dem Beueler Kulturzentrum an die Grenzen des Hörbaren oder sogar – wie im vergangenen Jahr Sidsel Endresen – über selbige hinaus. Aus irgendeinem Grund scheint der Saal die Dekonstruktion von Melodien und Rhythmen besser zu akzeptieren als andere Veranstaltungsorte, fördert und fordert die Freiheit, neue Wege zu gehen und Experimente zu wagen. In diesem Jahr hat sich der Trend mit dem Auftritt von Christopher Dells Trio-Projekt DRA fortgesetzt, das mit scheinbarem Chaos dem Publikum einiges abverlangt. Doch der Wahnsinn hat Methode. Und Erfolg.
Erst rockender Jazz, später die gefällige Entspannung: Einmal mehr setzt das Jazzfest Bonn auf geschickte Kontraste. Beim Doppelkonzert im Post-Tower stehen dabei mit John Patitucci und Viktoria Tolstoy zwei Topstars auf der Bühne, die durchaus unterschiedliche Stile bedienen. Auf der einen Seite der Ausnahmebassist, der schon Chick Corea, Wayne Shorter, Herbie Hancock und Dizzy Gillespie unterstützt hat und auf den schweren Saiten mitunter schneller ist als so mancher Tastenzauberer; und auf der anderen Seite die blonde Schwedin mit dem klaren Sopran, die schon Esbjörn Svensson und Nils Landgren bezaubert hat. Ein Konzept, das aufgeht – auch wenn Patitucci ohne Zweifel für die größeren Aha-Momente sorgt.
Einmal Weltraum und zurück. Die Triebwerke wummern in ohrenbetäubenden Rhythmus, die Computer piepen und fiepsen wie einst bei der Raumpatrouille Orion, und aus dem UFO-Radio dringen
Synthi-Melodien. Niels Klein und seine Tubes and Wires sind gestartet, um in den unendlichen Weiten des Klangs neue Formen zu finden – und tauchen dabei an allen nur denkbaren Orten auf. Jetzt
hat es das Quartett in die Aula der Universität Bonn verschlagen, wo sie im Rahmen des Jazzfests ihrer Passion nachgehen und das Publikum kurzerhand mitnehmen. Ob dieses will oder nicht.
Typisch Nachwuchs! Kaum hat man den Bengel liebevoll aufgezogen, ihn mit Trennkost aus dem Duden gefüttert und sämtliche Schreibhals-Phasen durchgestanden, zieht er von dannen und lässt die Eltern allein und stumm zurück. Jonas Anderhub und Christof Wolfisberg sind im Pantheon ausnahmsweise einmal sprachlos und jetzt nicht nur dem Namen nach Ohne Rolf: Das Schweizer Kabarett-Duo, das ausschließlich schriftlich mit dem Publikum verkehrt und auf seinen großen Plakaten alle Feinheiten der deutschen Satzkunst meisterhaft beherrscht, muss sich völlig neu orientieren. Es gilt, wieder ohne das Puppenkind zurechtzukommen, dem die zwei in der ersten Hälfte ihres inzwischen neun Jahre alten „Schreibhals“-Programms seine Zeit gewidmet haben.
Es war ein Auftakt für die breite Masse: Auftritte von Jasmin Tabatabai und der Jazzkantine haben am vergangenen Freitag die diesjährige Ausgabe des Jazzfests Bonn eingeläutet und damit gezeigt, wie weit verzweigt der Jazz ist. Überall ist er zu finden, jedes Lied (na gut, fast jedes) kann ihm überantwortet werden, jeden Stil kann er erweitern. Ob Liedermachertum, Chanson oder Hip-Hop, die Offenheit des Jazz kann mit allem umgehen. Wenn man ihn nur lässt. Im ausverkauften Telekom Forum war nun zu erleben, dass auch solche Mischungen durchaus reizvoll sein können – und jede Menge Spaß machen.
In einer verrückten Welt braucht es mitunter einen Wahnsinnigen, um die Ordnung wieder herzustellen. Oder es zumindest zu versuchen. Einen wie den ebenso genialen wie verrückten Namenlosen, der in Dario Fos Farce „Accidental Death of an Anarchist“ ein komplettes Polizeipräsidium narrt und langsam aber sicher um den Verstand bringt, während er die Hintergründe des titelgebenden Unglücks aufzudecken versucht und seinen Spaß daran hat, eine Geschichte nach der anderen zu konstruieren, bis selbst die Beamten Wahrheit und Fiktion nicht mehr auseinanderhalten können. Nun haben sich die Bonn Players einer englischsprachigen Adaption des Stückes angenommen – und dank eines überragenden Hauptdarstellers in der Brotfabrik die Lachmuskeln einem amtlichen Stresstest unterzogen.
Es ist ein Traum aus Schmetterlingen und Seifenblasen, Elektrohunden und Luftakrobaten, Schlangenfrauen und natürlich vielen Clowns: Anlässlich seines 40-jähigen Bestehens hat der Circus Roncalli eine Show der Superlative aufgestellt, atemberaubend und bezaubernd, herrlich skurril und ebenso poetisch wie die legendären Programme des Circque du Soleil. Im wahrsten Sinne des Wortes eine Reise zum Regenbogen und darüber hinaus. Derzeit residiert die Truppe um Bernhard Paul im Bonner Stadtgarten – und reiht in perfekt choreographierten Nummern auf höchstem Niveau einen Höhepunkt an den anderen. Ein Erlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte.
Überschriften über Überschriften. Ein scheinbar endloser Schwall an Headlines aus den vergangenen Jahren, jede einzelne kurz kommentiert und dann ad acta gelegt. Wie am Fließband arbeitet sich Arnulf Rating durch die Zeitungen, die er stapelweise aus seinem Aktenkoffer zieht, kritisiert manches, karikiert einiges, übertreibt vieles. Ein Konzept, das zum Markenzeichen des 65-Jährigen geworden ist – und mitunter leider einige Längen aufweist, die dem starken restlichen Programm nicht immer gerecht werden.
Manchmal, so räsoniert Jürgen Becker, wäre der Mensch ohne Sex besser dran. Ja, wenn man so wäre wie eine Blattlaus, die sich zur Fortpflanzung selbst genügt, dann würde man viel entspannter leben. Keine permanente Suche mehr nach dem richtigen Partner, kein Bunga-Bunga, kein Stress. Schluss mit dem ganzen Aufwand. Sokrates habe schließlich nur deshalb die abendländische Philosophie entwickelt, weil es zu Hause mit seiner Xanthippe nicht so recht lief, und Pythagoras habe den Geschlechtsakt bewusst dem Winter vorbehalten, um mehr Zeit zum Denken zu haben. Andererseits, so ganz ohne? Wirklich? Quatsch, sagt Becker. Das will doch keiner, selbst nicht der Klerus. Und so stürzt sich der Kölner Kabarettist in seinem neuen Programm „Volksbegehren“, das er jetzt im ausverkauften Pantheon präsentiert hat, mit Verve und jeder Menge Beispiele aus der Kunstgeschichte in die Erforschung der Geschichte von Sex, Lust und Fortpflanzung.
Das postfaktische Zeitalter lässt grüßen: Passend zu den neuen „Wahrheiten“ der Trump-, Le Pen- und Erdogan-Ära nimmt sich die Schauspielsparte des Theater Bonn unter dem Motto „Wir brauchen dringend neue Lügen“ in der kommenden Spielzeit literarischen Irrungen und Wirrungen an, erzählt von den notorischen Vettern und Cousins Pinocchios und Münchhausens . Insgesamt 15 Premieren hat Schauspieldirektorin Nicola Bramkamp am vergangenen Freitag bei der Spielplan-Konferenz im Opernhaus vorgestellt – eine mutige Stückauswahl, die nicht nur thematisch, sondern auch historisch überaus modern ist. Abgesehen vom Ur-Roman „Don Quijote“, dem sich Hajo Tuschy nach seinem Erfolg mit Fjodor Dostojewskis „Der Spieler“ nun schon am 10. September in der Werkstatt des Theaters annehmen wird, ist keiner der Texte älter als 100 Jahre. Auf viele Klassiker kann sich das Publikum also nicht freuen, wohl aber auf ein reizvolles und zeitgenössisches Programm, das die selbst auferlegte Funktion des Theaters, gesellschaftsrelevante Fragestellungen zu behandeln, nachdrücklich widerspiegelt.
Eins muss man dem GOP lassen: Es hat ein Talent dafür, herausragende Akrobaten zu verpflichten. Künstler, die alles so leicht aussehen lassen und doch an die Grenzen des Möglichen gehen, die zu scheitern scheinen und dabei doch so präzise sind, die auch mal ganz gewöhnliche Rollschuhe und Hula-Hoop-Reifen nutzen und damit etwas Unglaubliches schaffen. Die Show „Rockabilly“, die nach neun Jahren im Repertoire der Varietétheater-Kette jetzt erstmals in Bonn zu sehen ist, könnte sich ebenfalls auf derartige Artisten verlassen – tut es aber nicht. Denn anstatt das Programm gleichmäßig auf den Schultern des gesamten Ensembles zu verteilen, dominieren zwei seltsame Vögel mit einem Faible für Blödelei und Altherrenwitze das Geschehen. Was diesem leider nicht immer gut bekommt.
Vieles wird schon weitaus länger gedacht, als die meisten glauben. Einiges davon sogar richtig. Smartphones zum Beispiel: Schon 1910 hat der Autor Robert Sloss sie erstaunlich akkurat vorhergesagt, hat von der immerwährenden Erreichbarkeit fantasiert und von den gesellschaftlichen Umwälzungen, die damit einhergehen. Für den Kabarettisten Ludger K (alias Ludger Kusenberg) ist dieser Text ein wahrer Schatz, einer von vielen, die er in der Bibliothek seines Vaters gefunden hat. Mit diesen Rückblicken in die Zukunft bestreitet er nun sein aktuelles Programm „Was Nietsche über Merkel wusste“, das er jetzt im Haus der Springmaus präsentiert hat. Geschickt verknüpft er Vergangenheit und Gegenwart, stellt ebenso amüsante wie lehrreiche Parallelen und Gegensätze her und verpackt dies mit sichtlicher Leidenschaft. Nur eben ohne große Pointen.
Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Und die Wahrheit von den Geheimdiensten. Zumindest meistens. Und selbst darauf kann man sich nicht verlassen. Diese Erkenntnis steht am Ende eines eindringlichen, aufwühlenden und intensiven Abends rund um den BND, den Regisseur Simon Solberg im Auftrag des Theater Bonn inszeniert hat und der zwischen Wissen und Wahnsinn nicht viel Platz lässt. In einer Mischung aus Agenten-Thriller, Psychodrama und Lehrstunde entpuppt sich der Zweifel als einzig zulässige Größe, der Zweifel an Recht und Ordnung ebenso wie an der eigenen Unabhängigkeit und Sicherheit. „BND – Big Data is watching you“ zeigt den zügellosen Überwachungsstaat von seiner schmutzigsten Seite – und besteht dabei längst nicht aus so viel Fiktion, wie wir es uns wünschen würden.
Ach ja, die Jugend von heute. Allesamt Smartphone-süchtig und mit etwas eigenwilliger Sprache, aber ansonsten eigentlich ganz OK. So wie immer. Rebellisch gegenüber den Eltern, klar, aber das kennt man ja. Was Neues? Gibt's nicht. Unter dieser selbst aufgestellten Prämisse hätte Matthias Jung sein Programm „Generation Teenietus“ im Haus der Springmaus auch nach zehn Minuten beenden können. Was vielleicht gar keine so schlechte Idee gewesen wäre. Denn obwohl der 38-Jährige durchaus ein Händchen für einzelne Pointen hat, mangelt es doch an einer inhaltlichen und rhythmischen Struktur – und an Substanz.
Da ist sie ja, die Kraft des Blues. Endlich. Die Töne drücken aufs Gemüt, während der sumpfige Sound der Slide-Gitarre, im Morast verankert durch Bass und Schlagzeug, wimmernd und jaulend den Weg zur Katharsis weist. Herrlich. So wird The Blues Band ihrem Namen gerecht. So und nicht anders. Dave Kelly singt gerade Muddy Waters „Still A Fool“ mit bemerkenswerter Intensität und zaubert zugleich feine Miniaturen auf den Saiten, ohne es mit den Umspielungen zu übertreiben und in die selbe Falle zu tappen wie viele andere Künstler seines Schlags. Weniger ist manchmal mehr: Kelly hat das verstanden. Ebenso wie die Tatsache, dass man in anderen Situationen aufmachen und Gas geben muss. Was zugegebenermaßen nicht immer einfach ist, schon gar nicht jenseits der 70. The Blues Band bemüht sich zwar, Kellys Beispiel zu folgen – und kann doch eine gewisse Trägheit nicht verleugnen.
Ein bisschen ratlos ist die HörBänd schon. Wie nur anfangen? Der erste Eindruck zählt schließlich, da muss gleich die erste Nummer ein Kracher sein, ein Festival für die Sinne mit Explosionen, Witz und Energie. Doch was könnte beim Publikum am besten ankommen? HipHop? Pop? Ein Volkslied? Oder einfach alles zusammen? Das a-cappella-Quintett aus Hannover entscheidet sich nach inem offenbar von John Cage inspirierten Intro der Stille für letzteres, zieht alles Register – und weckt mit seinem ersten Auftritt im Haus der Springmaus tatsächlich viele Erwartungen. Die im weiteren Verlauf des Abends zumindest zum Teil erfüllt werden.
Nangijala. Ein Name, der für Krümel alles verändert. Er ist ein Versprechen auf ein Leben nach dem Tod, ein Versprechen auf eine Zeit ohne Schmerzen und Sorgen, in der jede Menge Abenteuer warten und in der nicht mehr bei jedem Schritt die Angst vor einem Schwächeanfall droht. Nangijala. Ein Land jenseits der Sterne, von dem Jonathan Löwe seinem kleinen Bruder immer wieder erzählt, um diesen von seiner schweren Krankheit abzulenken und ihm Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu machen. Und tatsächlich wird der Traum Wirklichkeit – und ist zugleich durch den Tyrannen Tengil und seine Drachendame Katla bedroht. Nun setzt das Junge Theater Bonn dieses ebenso traurige wie wunderschöne Märchen Astrid Lindgrens in Szene und erweckt die Brüder Löwenherz zu neuem Leben.
Sticks werden überbewertet. Schlagzeuger auch. Und eine Band erst recht. Eine Gitarre reicht doch völlig aus. Rhythmisch senkt sich ihr Kopf auf die Drum-Machine und erinnert dabei ein wenig an einen Ölförderturm, während die Saiten dank weiterer Technik auch mal eine Synthi-Färbung annehmen und mit dem eigentlichen Instrument nicht mehr viel Ähnlichkeit haben. Dazu Einspieler aus der Loop-Station (böse Zungen könnten jetzt von Halbplayback sprechen), und schon klingt Mark Gillespie wie ein halbes Dutzend. In der Harmonie hat das wandelnde Ein-Mann-Orchester nun zweieinhalb Stunden lang alle Register gezogen, für viel Spaß gesorgt – und es manchmal doch übertrieben.
Duduk und Saz in trauter Harmonie: Das ist ungewöhnlicher, als es zunächst klingen mag. Und vor allem politischer. Immerhin ist es erst ein knappes Jahr her, dass der Deutsche Bundestag mit einer Resolution die Massaker an den Armeniern durch das osmanische Reich von 1915 als Völkermord bezeichnete und damit die türkische Regierung gegen sich aufbrachte. Eine einfache historische Wahrheit sorgte für zunehmende Spannungen – doch während das Erdogan-Regime bis heute Gift und Galle spuckt, hat die Musik längst eine andere Lösung gefunden. Eine bessere. Harmonischere.
Irgendetwas stimmt hier nicht. Sollte an diesem Abend nicht eigentlich Kabarett zu sehen sein? Oder zumindest eine Chaosgala mit frechen Sprüchen und zündenden Pointen? Mit einem Prix-Pantheon-Teilnehmer, der im vergangenen Jahr zu den Favoriten des Wettbewerbs zählte, sowie einem scharfzüngigen Satiriker, der bereits zusammen mit dem Dauerpessimisten Nico Semmsrott überaus leidenschaftliche Exkursionen in die Tiefen der Gesellschaftskritik unternommen hat? Was für eine Kooperation dies hätte werden können. Doch Till Reiners und Moritz Neumeier, sonst die Tausendsassas der jungen deutschen Kabarett-Szene, werden diesen Erwartungen in ihrem Programm „Schund und Asche“ noch nicht einmal ansatzweise gerecht. Vielmehr mutieren die beiden Hoffnungsträger im Pantheon zu billigen Kopien von Joko und Claas – und bewerfen sich in ihrem Circus Ballaballa lustlos mit verbalen Luftballons.
Wenn die Musik über den Getränkekonsum entscheiden würde, müsste an diesem Donnerstag in der Harmonie jeder im Publikum ein Glas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit in der Hand halten und in Richtung Bühne prosten. Immer wieder schallen Whiskeylieder von dort in den Saal, selbst Billy Joels „Piano Man“ hat sich dank der Mithilfe von Paddy goes to Holyhead längst mit dem irischen Lebenswasser angefreundet. Doch so sehr sich das Folk-Trio auch bemüht, das Publikum bleibt eher dem Bier zugetan. Vom Whiskey wird lediglich gesungen. Das aber mit Nachdruck. Und jeder Menge Leidenschaft.
„Wir entscheiden selbst, wann es weh tut“, lautet der Ratschlag von Tronds Vater. Damals, in jenem Sommer 1948 in den Wäldern Norwegens, als die beiden gemeinsam in einer Hütte im Wald wohnten, Bäume fällten, Stämme flößten, Pferde ritten und im Regen tanzten. Als alles so perfekt schien und als doch eine Tragödie auf die nächste folgte, als der Bruder von Tronds bestem Freund seinen Zwilling erschoss und nach und nach alle Menschen, die der damals 15-jährige Junge ins Herz geschlossen hatte, ihn verließen. Per Pettersons Roman „Pferde stehlen“, der genau diese Geschichte erzählt, ist „ein Buch über Enttäuschung, das sich liest wie ein Buch über Glück“, wie Antje Ravic-Strubel 2006 in einer Rezension für den Deutschlandfunk treffend konstatierte. Nun hat sich der holländische Schauspieler Jaap Achterberg des Textes angenommen und Auszüge im Euro Theater Central vorgetragen. Ein bemerkenswertes Erlebnis.
Das Logo sagt eigentlich schon alles. Eine Krone im Lorbeerkranz. Bruno Mars macht bei seinem ersten Deutschland-Konzert der aktuellen 24K-Tour schon vor dem ersten Ton deutlich, wo er sich im modernen Musik-Universum verordnet. Nämlich ganz oben. Ein selbstbewusstes Statement. Aber eines, das durchaus seine Berechtigung hat. Denn die Show des energiegeladenen R&B-Sängers unterstreicht diesen Anspruch nachdrücklich. Exzellent choreographiert und optisch opulent, mit herausragendem Licht-Design und zalhreichen kreativen Ideen, einem Pop-König angemessen. Dazu knallige Funk-Nummern mit einer ordentlichen Dosis Hip-Hop und noch mehr guter Laune, dargeboten von bestens gelaunten Musikern. Wenn jetzt nur noch der Sound stimmen würde, der, wie so oft in der Lanxess Arena, vom Tontechniker viel zu laut durch die Boxen gepresst wird, viel zu grell ist und viel zu blechern, wäre es ein perfektes Konzert. Doch auch so ist das Publikum völlig aus dem Häuschen, tanzt und springt wie wild – und ergattert schließlich einen ganz besonderen Beweis der Zuneigung.
Schön reduziert soll alles sein. Akustisch statt elektrisch. Samt und Seide statt Lack und Leder. Julia Neigel, die in der Vergangenheit gerne mal als „die beste deutsche Sängerin“ oder einfach nur als „The Voice“ tituliert worden ist, will auf ihrer aktuellen Unplugged-Tour ruhiger wirken, sensibler, sanfter, will mit dem Publikum ganz intime Momente erleben und die Rockröhre zu Hause lassen. So auch in der Harmonie, wo das Konzept allerdings nur zum Teil aufgeht. Denn obwohl ihre Stimme nichts von ihrer Klasse verloren und sogar noch einen rauen Ton gewonnen hat, ist die 50-Jährige für Schlager nicht die Richtige. Und für Chansons erst recht nicht.
Die Welt ist verrückt geworden. Und faul. Der Gestank der Hysterie liegt in der Luft, völlig übertriebene Ängste werden permanent geschürt, die Spekulation wird zur neuen Tatsache und die Lüge zur neuen Wahrheit. Da kann man sich doch eigentlich als einigermaßen aufgeklärter und rational denkender Mensch nur erschießen. Oder summen. Philip Simon hat sich für letzteres entschieden. Der Kabarettist und Prix-Pantheon-Preisträger von 2011, der in seinem Stil (und zum Glück nicht in der Länge) immer mehr an Hagen Rether erinnert, verzweifelt zwar an all den Menschen, die lieber um Aufmerksamkeit buhlen als aufmerksam zu sein – aber aufgeben kann und will er nicht. Denn zwischen all den traurigen Spinnern, den Demagogen und Populisten, den Sesselpupsern und den Fanatikern muss es doch auch noch Hoffnung geben. Jene, die über den Tellerrand schauen, um die Ecke und außerhalb der sprichwörtlichen Box denken können. Die guten Spinner. Die, vor denen man keine Angst (also Anarchophobie) haben muss. Wenn man sie denn findet.
Wenn die Bäume sich in ihrem neuen Blätterkleid wiegen, die Vögel zwitschern und der Flieder verführerisch zum Verweilen einlädt, regen sich auch bei Georgette Dee Frühlingsgefühle. Die sonore Diseuse, die im Haus der Springmaus den Lenz besingt, glüht förmlich vor Leidenschaft, erinnert sich an durchzechte Nächte samt erotischer Abenteuer und geht dabei auf eine wilde Fahrt durch die große Gefühlswelt, von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt, sich in einen Rausch singend, aus dem es kein Entrinnen gibt. Aber wozu auch? Ist doch schön, so eine musikalische Bacchanale mit einer Diva, die als grandiose Erzählerin ein Bild ans andere reiht und sich dabei am liebsten von Vögeln leiten lässt. Im übertragenen und im realen Sinne des Wortes.
Eskalation sieht anders aus. Wilder. Ungehemmter. Ohne Detox-Partys und Smoothie-Rezepte, dafür mit der Quadratur von Sex, Drugs und Rock 'n' Roll. Ekstase bis zum Exzess – nicht weniger hatte man vom zweiten Programm des Musikkabarett-Duos Suchtpotenzial erwartet. Immerhin haben Pianistin Ariane Müller und Sängerin Julia Gámez Martin sowohl beim Prix Pantheon 2015 als auch mit ihrem „Alkopop“-Debüt die Messlatte extrem hoch angesetzt und mit ihrem bissigen, pointierten, frischen und vor allem vielseitigen Stil für euphorische Reaktionen gesorgt. Doch bei ihrem jetzigen Auftritt im Pantheon wirkt die tonale Droge längst nicht mehr so gut wie beim ersten Schuss. Statt dem direkten Trip in die Sphären der feinsinnigen Komik bietet „Eskalatiooon“ nur gelegentliche Glücksmomente. Und dafür so einiges Kater-Potenzial.
Bestimmt hat er es uns schon mal erzählt, irgendwann, vor einigen Jahren. Aber manche Geschichten werden einfach nicht schlecht. Oder besser, je nach Perspektive. Denn dass die von Rassismus, Sexismus und Unkenntnis durchtränkten Stammtisch-Parolen, mit denen Heinz Becker so gerne um sich schmeißt, heutzutage noch mindestens genau so brisant und aktuell sind wie vor 30 Jahren, sollte nachdenklich machen. Viel gelernt hat da wohl keiner. Schon gar nicht der Becker-Heinz, dieser saarländische Dauernörgler und Besserwisser, der mit seinem Scheuklappen-Blick die Welt zu begreifen versteht und dabei, ohne es selbst zu merken, vom Zeitgeist überrollt wird. Jetzt hat sein Schöpfer Gerd Dudenhöffer im Pantheon die vergangenen 30 Jahre Revue mit der Kunstfigur passieren lassen – und dabei ein Deja Vu ans nächste gereiht.
Gefühlvoll schwebt eine bemerkenswerte Altstimme durch den Saal der Bonner Oper, hauchig, luftig, eindringlich, von nichts weiter getragen als von leichten Flügelschlägen und der Leidenschaft für Chanson, Jazz und Pop. Ihre Lieblingssongs hat Pe Werner sich für dieses Konzert ausgesucht, in dem sie so reduziert ist wie selten zuvor. Nur Frank Chastenier ist an ihrer Seite, ein Gentleman an den Tasten und seines Zeichens virtuoser Pianist der WDR Bigband. Das reicht völlig – zumindest meistens.
Zum Finale also der viel zitierte Strauß bunter Melodien: Beim Konzert der Local Ambassadors in der Harmonie, mit dem das „Over the Border“-Weltmusikfestival nach fast zwei Wochen voller Höhepunkte einen soliden Schlusspunkt setzt, sollen noch einmal alle Grenzen überschritten und alle Stile verbunden werden. Italo-Schlager und Rock, Soul und Pop, Latin und Reggae treffen aufeinander, dargeboten von einem Zusammenschluss regionaler Künstler um den Fanta4-Percussionisten Roland Peil und den Saxofonisten Waldemar Leczkowski. Abwechslung ist also garantiert. Immerhin etwas. Denn angesichts der extrem hoch liegenden Messlatte müssen sich die Botschafter ganz schön strecken, um auch qualitativ mithalten zu können. Was nicht jedem gelingt.
Eins muss man dem „Over the Border“-Festival lassen: Wahrscheinlich noch nie zuvor haben in Bonn so viele internationale Künstler in so kurzer Zeit derart überragende Musik mit aufrüttelnden gesellschaftspolitischen Botschaften verknüpft, haben mit tiefer Betroffenheit auf Missstände aufmerksam gemacht und doch die Hoffnung auf eine bessere Welt nicht aufgegeben. So auch im Pantheon, in dem mit Awa-Ly und Inna Modja zwei stilistisch völlig verschiedene Sängerinnen für einen bemerkenswerten Abend sorgten. Hier eine senegalesische Pop-Schamanin mit phänomenaler Soul-Stimme, die am Schicksal der Flüchtlingsopfer Anteil nimmt, dort eine malische Techno-Queen mit afrikanischen Blues-Anleihen, die die weibliche Genitalverstümmelung am eigenen Leib erfahren hat und diese brutale Verstümmlung auch in einem Song thematisiert. Ein starker Abend, an dem man nur auf eines hätte verzichten sollen: Stühle.