„BND“: Im Wirrwarr der Geheimnisse

Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Und die Wahrheit von den Geheimdiensten. Zumindest meistens. Und selbst darauf kann man sich nicht verlassen. Diese Erkenntnis steht am Ende eines eindringlichen, aufwühlenden und intensiven Abends rund um den BND, den Regisseur Simon Solberg im Auftrag des Theater Bonn inszeniert hat und der zwischen Wissen und Wahnsinn nicht viel Platz lässt. In einer Mischung aus Agenten-Thriller, Psychodrama und Lehrstunde entpuppt sich der Zweifel als einzig zulässige Größe, der Zweifel an Recht und Ordnung ebenso wie an der eigenen Unabhängigkeit und Sicherheit. „BND – Big Data is watching you“ zeigt den zügellosen Überwachungsstaat von seiner schmutzigsten Seite – und besteht dabei längst nicht aus so viel Fiktion, wie wir es uns wünschen würden.

Im Mittelpunkt der Handlung steht der junge Student Tim Franke (Benjamin Berger), der seine Masterarbeit über die Berechenbarkeit von Verhaltensmustern schreiben möchte und in der Bonner Außenstelle kurzerhand dazu requiriert wird, mit seinen Theorien einen Fluchthelfer von Anis Amri zu finden, der in Berlin einen LKW in einen Weihnachtsmarkt gelenkt hat. Unter den Opfern befindet sich auch ein Freund Frankes, der sich daher verpflichtet fühlt, den Verdächtigen aufzuspüren: Einen ehemaligen BND-Mitarbeiter namens Gruber, ein Phantom, ein Geist und dennoch letztlich Nemesis und Lebenszweck Frankes. Selbst seine schwangere Freundin Nadine (Lara Waldow) muss hinter der Besessenheit zurückstehen. Mit Hilfe seiner neuen Kollegen Hammer (Glenn Goltz) und Streicher (Manuel Zschunke) sowie seines Chefs Schmidt (Wilhelm Eilers) dringt Franke immer tiefer in das Gespinst aus scheinbar realen Daten und Hintergründen ein. Doch je mehr er weiß, um so mehr weiß er, dass die Wahrheit nur ein Konstrukt ist. Und er selbst eine Puppe in einem unüberschaubaren Spiel.

Regisseur Solberg hat mit „BND“ eines der stärksten Stücke der aktuellen Spielzeit in die Kammerspiele gebracht. Informativ und zugleich bedrohlich, spannend und lehrreich verknüpft er öffentlich zugängliche Fakten mit geschickt konstruierter Fiktion, immer die Balance wahrend und den Zuschauer zu keinem Zeitpunkt aus der Handlung entlassend. Vor allem die dunkle Vergangenheit des Nachrichtendiensts thematisiert er, die Wurzeln in der von ehemaligen SS-Offizieren gebildeten und von den Alliierten geduldeten Organisation Gehlen, die Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrecher Klaus Barbie oder die BND-Befragung des irakischen Ingenieurs Rafid Ahmed Alwan, dessen Lügen die USA zur Legitimation ihres zweiten Irakkriegs nutzten. Angesichts dieser Historie schwindet das Vertrauen in ausgerechnet jene Institution, die Deutschland schützen soll – im Publikum ebenso wie auf der Bühne. Franke wird zunehmend desillusioniert, später gar paranoid. Verständlich, auch wenn Benjamin Berger es mit seinen Ausbrüchen a la „Fight Club“ mitunter ein wenig übertreibt. Dennoch ist sein Spiel wunderbar intensiv und überzeugend, ebenso wie das der anderen Schauspieler. Glenn Goltz mimt den harten Hammer zwar etwas eindimensional, Manuel Zschunke ist als IT-Spezialist Streicher und Frankes Journalistenfreund Caspar aber herrlich wandlungsfähig. Lara Waldow schafft es derweil, feine Emotionen selbst über eine Videoleinwand zu vermitteln – und das vielseitige Spiel von Wilhelm Eilers ist ohnehin ein Genuss. Das Stück bietet dem Ensemble dafür eine wunderbare Plattform, fordert mal eine Action-geladene Atmosphäre und konterkariert diese kurz darauf wieder mit absurden Tanzeinlagen, Sand- und Staub- und Münz-Bombardements sowie anderen grotesken Elementen, die jedoch in der Regel der Handlung dienen. Diese lässt das Publikum trotz diverser Verschwörungstheorien nachdenklich zurück – denn was ist angesichts dessen, was an diesem Abend verhandelt wird, noch die Wahrheit? Diese Frage kann und will „BND“ nicht beantworten. Sondern lediglich stellen. Das aber überaus erfolgreich.

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