Georgette Dee: „Die Amsel ist mein Totemvogel“

Wenn die Bäume sich in ihrem neuen Blätterkleid wiegen, die Vögel zwitschern und der Flieder verführerisch zum Verweilen einlädt, regen sich auch bei Georgette Dee Frühlingsgefühle. Die sonore Diseuse, die im Haus der Springmaus den Lenz besingt, glüht förmlich vor Leidenschaft, erinnert sich an durchzechte Nächte samt erotischer Abenteuer und geht dabei auf eine wilde Fahrt durch die große Gefühlswelt, von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt, sich in einen Rausch singend, aus dem es kein Entrinnen gibt. Aber wozu auch? Ist doch schön, so eine musikalische Bacchanale mit einer Diva, die als grandiose Erzählerin ein Bild ans andere reiht und sich dabei am liebsten von Vögeln leiten lässt. Im übertragenen und im realen Sinne des Wortes.

Seit mehr als 35 Jahren steht Georgette Dee inzwischen auf der Bühne. Der Mann hinter der Kunstfigur hat dort nichts zu sagen, schon gar nicht in diesem Programm, in dem so sehr der Spargel sticht. Gut, zu Beginn herrscht noch die Melancholie vor, etwa bei Friedrich Hollaenders tieftrauriger „Kindertragödie“ über den Suizid eines von einem eifersüchtigen Mädchen unfreiwillig geouteten homosexuellen Jungen. Doch kaum macht die Amsel ihre Aufwartung, jener unverwüstliche Singvogel, den Georgette Dee zu ihrem Totemtier erwählt hat, ändert sich die Stimmung. Jetzt kommen die Sex-Eskapaden durch, die Wünsche, Träume und Sehnsüchte, die vielleicht nur zur Rolle gehören mögen und doch in ihrer Direktheit so überzeugend vermittelt werden. „Frühling ist ja auch eine innere Einstellung“, sagt Georgette – und macht es sogleich vor. „Lasst mich Jimi Hendrix mit Honig bestreichen und ablecken.“

Immer tiefer geht es in den Rausch hinein, immer tiefer rutschen auch die Schultern des schwarzen Divenkleides. Georgette De spielt mit der Wirkung von Alkohol, mimt die Betrunkene, knüpft Assoziationsketten und schlüpfrige Reime, besingt Zungenküsse und Venushügel, Zaubernüsse und lose Zügel, Fräulein Schnips und den Schnaps. Bei letzterem muss auch Pianist Terry Truck, der so ganz nebenbei immer wieder die zweite Stimme beisteuert, so richtig in die Tasten hauen. Die Dee ist derweil schon wieder ganz woanders, in einer abstrusen Märchenwelt, in der sich auch nur alles um das eine dreht und die dank eines lakonischen Vortrags schreiend komisch ist. Das Publikum bedankt sich denn auch mit tosendem Applaus.

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