Viktoria Tolstoy & John Patitucci: Im Bann der Tiefe

Erst rockender Jazz, später die gefällige Entspannung: Einmal mehr setzt das Jazzfest Bonn auf geschickte Kontraste. Beim Doppelkonzert im Post-Tower stehen dabei mit John Patitucci und Viktoria Tolstoy zwei Topstars auf der Bühne, die durchaus unterschiedliche Stile bedienen. Auf der einen Seite der Ausnahmebassist, der schon Chick Corea, Wayne Shorter, Herbie Hancock und Dizzy Gillespie unterstützt hat und auf den schweren Saiten mitunter schneller ist als so mancher Tastenzauberer; und auf der anderen Seite die blonde Schwedin mit dem klaren Sopran, die schon Esbjörn Svensson und Nils Landgren bezaubert hat. Ein Konzept, das aufgeht – auch wenn Patitucci ohne Zweifel für die größeren Aha-Momente sorgt.

Der 57-Jährige scheint allerdings auch nicht von dieser Welt zu sein. Die unglaubliche Leichtigkeit, mit der er hochkomplexe Melodielinien in die Welt entlässt, lässt das Publikum immer wieder nach Luft schnappen. Zumal Patitucci neben Eigenkompositionen auch zwei Stücke des Jazzpianisten Thelonius Monk adaptiert hat, der ihn und seinen Bruder in frühen Jahren geprägt hat. Die Begründung ist ja nachvollziehbar – aber Monk? Mit zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug? Ja, das geht. „Meine Gitarristen sind einfach so gut“, sagt Patitucci mit Blick auf Adam Rogers und Steve Cardenas voller Stolz. Stimmt. Er aber auch. Das rhythmisch vertrackte „Four In One“, bei dem auch der grandiose Drummer Nate Smith sein Können zeigt, setzt Maßstäbe, ebenso wie das exquisite „Ugly Beauty“ – bei letzterem beginnt Patitucci sogar ganz alleine, vertieft sich ganz in die Melodie, beeindruckt mit phänomenalen Läufen und beweist, dass die später hinzustoßenden Gitarren nur das Sahnehäubchen sind. Aber eben nicht der Kuchen.

Während Patitucci und sein Electric Guitar Quartet anspruchsvollen Jazzrock samt eines kleinen Umwegs in Richtung Blues zelebrieren, lässt Viktoria Tolstoy es weitaus poppiger angehen. Filmsongs stehen bei ihr auf dem Programm, und zwar erfreulicherweise auch eher jene, die nicht schon von so ziemlich jedem Stimmkünstler interpretiert worden sind. Allerdings bleibt die charmante Sängerin mitunter ein wenig zu seicht, zu oberflächlich, zu glatt. Vor allem die aus den Tiefen der Pop-Schlager-Archive hervorgekramten Titel wie „The Book Of Love“ oder Sarah McLachlans schmachtendes „Angel“ bestechen eher durch eine gut gemeinte Dosis Kitsch und Melodramatik als durch innovative, jazzige Ansätze. Dann wieder irritieren die gut gemeinten Soli von Gitarrist Krister Jonsson, die mit weitaus mehr Hirn als Herz gespielt werden und dadurch zu technisch starken, emotional aber hinterherhinkenden Exzessen mutieren. Dazwischen finden sich jedoch zum Glück einige Lichtblicke, allen voran die völlig auf Pathos verzichtende Version von Anni Lennox's „Lovesong For A Vampire“ oder das mutige „New World“, das Björk für Lars von Triers „Dancer in the Dark“ geschrieben hat und das Tolstoy mit viel Dynamik und Emotion darbietet. Bassist Mattias Svensson und Drummer Rasmus Kilberg bauen Tolstoy das entsprechende Fundament, auch Jonsson hält sich zurück, und auf einmal atmen die Stücke. Klasse. Das Publikum ist ohnehin fasziniert, genießt das abwechslungsreiche Programm eines Quartetts, das sichtlich Spaß auf der Bühne hat, und bedankt sich am Ende wie schon bei John Patitucci mit tosendem Applaus.

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