Rund 350 Wunderkerzen erleuchten den Saal der Harmonie. Jede einzelne funkelt für Phil Bates, den einstigen Frontmann von „ELO Part II“, der an diesem Abend einen 70. Geburtstag feiert und von dem kurzen Intermezzo überrascht wird. Während seine Band „Birthday“ von den Beatles spielt, steht der Sänger und Gitarrist gerührt daneben – und gibt im Anschluss noch einmal mehr Gas, um den Songs des Electric Light Orchestras gerecht zu werden. Was gar nicht so einfach ist.
Klangeffekte heulen durch den Saal der Harmonie, ein sich aufbäumender Wind voller Geräusche und Töne, fast schon bedrohlich wirkend. Und mittendrin tanzt und schreit sich Stella Tonon die italienische Seele aus dem Leib, während sie einen „Canzone d'autore“ durch den Fleischwolf dreht und ihn dabei mit Elementen aus New Wave, Psychedelic und Alternative Rock anreichert. Ein gewagtes Experiment, vor allem für eine Sängerin, die mit dieser rauen Interpretation von Titeln, die unter Liebhabern der italienischen Liedermacherszene als sakrosankt gelten, ihr Debütalbum präsentiert. Doch das Konzept geht tatsächlich auf. Zumindest wenn man die Originale nicht kennt.
Es war eine Weltpremiere im Pantheon: Am vergangenen Dienstag hat die Sängerin Adrienne Haan ihr neues Programm „New York, New York“ vorgestellt, eine Hommage an ihre Wahlheimat, an das Great American Songbook und an die legendären amerikanischen Komponisten der 30er bis 60er Jahre, an Irving Berlin, Cole Porter, Bert Kaempfert sowie George und Ira Gershwin. Eine sichere Bank, schließlich kann man mit den Evergreens und Gassenhauern kaum etwas verkehrt machen. Das wusste schon Frank Sinatra, der sich – wie unzählige andere Künstlerinnen und Künstler vor und nach ihm – diesen Standards gewidmet und viele Songs unsterblich gemacht hat. Jetzt interpretiert Haan die Stücke auf ihre Art – und bleibt nicht nur bei der Song-Auswahl weitgehend traditionell.
Bei diesen Grooves kann keiner stillsitzen. Will auch keiner. Der pulsierende, fast schon karibische Rhythmus der ghanaischen Band Santrofi geht unweigerlich in die Beine, fordert zum Tanzen auf, will gefeiert werden. Highlife nennt sich diese Spielart und ist eigentlich schon längst überholt – ihre goldenen Jahre waren die 60er, damals erklang sie in Ghanas Hauptstadt Accra an jeder Straßenecke. Santrofi nehmen diese Sounds nun auf und aktualisieren ihn, indem sie ihn mit Funk, Calypso und Afrobeats verschmelzen, mit scharfen Bläser-Einwürfen und einem nach vorne drängenden Schlagzeug.
Eine verletzte Seele kann heilen, aber nur langsam. Sehr langsam, wie die drei Schwestern Lenny und Meg Magrath sowie Babe Botrelle aus eigener Erfahrung wissen. Seit dem Selbstmord ihrer Mutter, die sich zusammen mit ihrer Katze erhängte, trägt jede von ihnen ein schweres Bündel mit sich herum. Doch als Babe ihren Ehemann Zackery anschießt, müssen sie zusammenhalten, auch wenn alle möglichen Wunden wieder aufplatzen. Nun hat die Laientheatergruppe „Moving Targets“ dieses Stück der Dramatikerin Beth Henley, die dafür 1981 den Pulitzer-Preis erhielt, in englischer Sprache in der Brotfabrik zur Aufführung gebracht.
Auf der Bühne macht Timo Wopp es sich wahrlich nicht leicht. Satire und Meta-Kabarett treffen bei dem 47-Jährigen auf Kalauer und mitunter mehrdeutigen Zoten, mit denen er sich in der Regel selbst ein Bein zu stellen versucht, und das in einem Tempo, dass das Publikum, das an diesem Abend ins Pantheon gekommen ist, kaum zum Luftholen kommt, geschweige denn zum Nachdenken. Oder zum Lachen. Ist das jetzt lustig oder peinlich, böse oder wahr oder vielleicht sogar beides? Darf ich darüber lachen, und wenn ja wie lange? Und wie laut? Und warum überhaupt?
Nach dem ersten Feuerzeug-Moment ist Schluss mit lustig. Zumindest vorübergehend. Florian Paul und seine Kapelle der letzten Hoffnung stürzen sich in ihre Nachtstücke, in denen die Melancholie vorherrscht und die Enttäuschung von Mensch und Welt, und das Publikum im Pantheon muss diesen Weg mitgehen – was es auch bereitwillig tut. Immerhin gehören diese mitternachtschwarzen Lieder, in denen die Münchener um den 28-jährigen Sänger mit der eindringlichen Stimme das Leiden der Generation Z reflektiert, zu den intensivsten Stücken der Band.
Jazz trifft auf Flamenco, anatolische auf gälische Musik, afrikanischer Groove auf italienischen Schlager: Das „Over the Border“-Festival 2023 verspricht einmal mehr, überaus spannend und erfreulich bunt zu werden. Und weiblich. Für die diesjährige Ausgabe des Weltmusikfestivals hat Organisator Manha wieder einige starke Frauen eingeladen, was sich auch am Eröffnungsabend mit den Local Ambassadors in der Harmonie zeigt. Das Musiker-Kollektiv, das Perkussionist Roland Peil und Pianist Marcus Schinkel exklusiv für den Festival-Auftakt zusammenstellen, wartet mit erfreulich vielen Künstlerinnen auf, die alle auf ihre Art besonders sind und gerade deswegen das Publikum von der ersten Sekunde an verzaubern. Ebenso wie ein junger – ein sehr junger – Trompeter.
Der Auftakt der aktuellen Staffel des Crossroads-Festivals in der Harmonie hätte kaum besser gelingen können, dafür haben schon allein die Auftritte von Leap und Todd Sharpville gesorgt. Umso größer waren die Hoffnungen und Erwartungen hinsichtlich der letzten beiden Tage. Sie sollten sich bestätigen. Und zugleich enttäuscht werden. Denn während zwei Bands das extrem hohe Niveau zu halten verstanden, erwies sich eine andere leider als Totalausfall.
Hippie-Botschaften und Blues-Melancholie prägen den zweiten Abend des Crossroads-Festivals, den der WDR Rockpalast derzeit in der Harmonie aufzeichnet. Nach einem fulminanten Auftakt sind die Erwartungen an High South und an Todd Sharpville hoch, doch sowohl die Band aus Kalifornien als auch der blaublütige Gitarrist aus England können mithalten und das Format zugleich um zusätzliche Farben bereichern. Erstere bringen eine Mischung aus Southern Rock und Country mit nach Endenich, letzterer atemberaubende Zwölftakter – und beide jede Menge Spielfreude.
Besser hätte die aktuelle Ausgabe des Crossroads-Festivals nicht starten können: Mit der britischen Band Leap hat der WDR Rockpalast eine Formation in die Harmonie geholt, die am vergangenen Donnerstag selbst langjährige Stammgäste euphorisierte. Der eigenwillige Indie-Grunge-Rock des Quartetts um den charismatischen Sänger Jack Balfour Scott zog ausnahmslos jeden in seinen Bann und legte die Messlatte für die noch kommenden Acts hoch. Sehr hoch. Dabei existiert die Band erst seit etwa zwei Jahren, nachdem sich Scotts vorheriges Projekt The Mispers aufgelöst hat.
Manche Musik ist zeitlos. Und manche trägt den Mantel der Nostalgie mit einer derartigen Selbstverständlichkeit, dass sie in den richtigen Händen immer noch mühelos zu strahlen beginnt. Auf die Lieder aus den 20er und 30er Jahren, die Max Raabe für seine Programme auswählt, trifft letzteres zweifelsfrei zu. Auf Max Raabe auch. 60 ist er Ende vergangenen Jahres geworden, aber das merkt man ihm kaum an, wenn er so wie immer auf der Bühne steht, kerzengerade, natürlich im Frack, die Haare nach hinten pomadiert. So jetzt auch in der restlos ausverkauften Philharmonie Köln, wo Raabe zusammen mit seinem Palastorchester Liebeslieder und Humoresken zum Besten gibt und dabei so abwechslungsreich, entspannt und brillant ist wie lange nicht mehr.
Drei Jahre. Eine ganz schön lange Auszeit für die beliebte Reihe „Jazz in Concert“. Drei Jahre, die geprägt waren von einem Virus, von Einschränkungen und von Opfern. Jetzt aber will Veranstalter Thomas Kimmerle wieder durchstarten und regelmäßig junge Jazz-Formationen ins Pantheon holen. Den Auftakt haben die Lokalmatadore der Marion & Sobo Band übernommen, und das aus gutem Grund: Auf den Tag genau drei Jahre zuvor, am 11. März 2020, hat das Bonner Quintett das letzte Konzert vor dem ersten Lockdown gespielt, und so ist es nur passend, dass es jetzt die Wiederauferstehung von „Jazz in Concert“ musikalisch gestaltet.
War früher wirklich alles besser? Oder ist dieses Zurücksehnen in vergangene Jahrzehnte nur nostalgische Geschichtsverklärung? Was hatte die Zeit denn damals zu bieten? In den 70er Jahren war Homosexualität in Deutschland noch strafbar, in den 50ern bestimmte der Mann über die Arbeitszeit seiner Frau, und in den 20ern hatte man das Dritte Reich noch vor sich. Vielleicht ist doch eher das Heute besser, mit einer noch ungeschriebenen Zukunft und der Möglichkeit, auf diese Einfluss auszuüben. Oder vielleicht geht es gar nicht um besser oder schlechter. Das zumindest ist die Position von Comedian Bernhard Hoëcker, dem grinsenden Schlaufuchs der Fernseh-Rateshows. Der war jetzt im Haus der Springmaus zu Gast, sichtlich gut gelaunt, neugierig, aufgeweckt und vor allem spontan. Eine gute Kombination.
Auf was für einem hohen Niveau sich der Bonner Jazzchor inzwischen bewegt, verdeutlicht eine Anfrage: Niemand geringerer als der ehemalige Real-Group-Bariton Morten Vinther (und damit ein einstiges Mitglied einer der besten a-cappella-Formationen der Welt) hat das Ensemble gebeten, drei von ihm vertonte Gedichte von Theodor Storm einzusingen. Ein Angebot, dass man nicht ablehnen kann. Wie das klingt, hat der Jazzchor jetzt in gleich zwei ausverkauften Konzerten im Pantheon demonstriert und dabei bewiesen, dass Vinthers Anfrage durchaus bei dem richtigen Vokal-Klangkörper landete – und es doch auch andere Optionen gegeben hätte.
Endlich Landgang. Festen Boden unter den Füßen. Für eine Nacht bleiben die Seeleute an einem Fleck, vernehmen die Verlockungen der Beständigkeit, sehnen sich nach den Armen und dem Mund einer Frau und widerstehen zumindest für ein paar Stunden dem Ruf des Meeres. Doch auf Dauer können sie der See nicht entkommen, zu stark ist der Sog in ihren Herzen. Diese Ambivalenz zwischen dem Wunsch nach einer Familie und der Liebe zum Beruf eint Teerjacken und Artisten und ist der Grundgedanke hinter der neuen GOP-Show „Sailors“, die nun in der Bonner Dependance der Varietétheater-Kette eine umjubelte Premiere feiern konnte. Zu Recht, begeistert sie doch mit beeindruckenden Bildern und schrägen Szenen – insbesondere in der zweiten Hälfte.
Die Finger tanzen auf den Tasten, entlocken dem Klavier im Universal-Saal des Kameha Hotel eine Kaskade perlender Töne, romantisch anmutende Melodien erweckend. Wenn Omer Klein spielt, kann sich jeder Jazz-Fan fallen lassen und einfach nur genießen. So auch an diesem Abend, trotz einer schockierenden, traurigen Nachricht, die Klein dem Publikum überbrachte: Wayne Shorter ist tot. Der legendäre Saxofonist von Miles Davis und Mitbegründer von Weather Report hat so ziemlich jeden Jazz-Musiker beeinflusst, auch den 40-jährigen Israeli, der diesem daher auch das komplette Konzert widmete – die erste von mehreren Verbeugungen Kleins vor Menschen, die ihn prägten.
Zauberkünstler? Da winkt Marcel Kösling ab. So ein Beruf dient lediglich als Tarnidentität für einen an die Öffentlichkeit drängenden Geheimagenten, und sein Auftritt im Bonner Pantheon als Workshop für andere Vertreter seines Fachs. Alles andere wäre schließlich absurd. Als ob man vom Zaubern leben könnte, oder von der Comedy, die Kösling wie ein Profi mühelos in seine Präsentation integriert. Alles nur Täuschung. Die aber funktioniert hervorragend, nicht zuletzt dank Köslings Charmes, regelmäßiger positiver Bestärkungen und eines enthusiastischen Publikums, das selbst den erfahrenen Moderator überrascht.
In diesem angeblichen Wrack ist ein Schatz verborgen, ein großer, klingender, rockender Schatz, behütet von einem bärtigen Triton und seinem Gefolge: In den USA gelten Robert Jon & the Wreck mit ihrem druckvollen, feurigen Spiel bereits als eine der aufregendsten neuen Formationen des Southern Rock, jetzt erobert das Quintett auch Europa. In der Harmonie hat die Band den Abschluss ihrer Tour durch die Alte Welt gefeiert, noch einmal ordentlich nachgelegt – und bewiesen, dass sie kantige Sounds a la Rival Sons und Blackberry Smoke ebenso beherrschen wie radiotauglichen Mainstream-Rock im Stil von Bon Jovi. Wobei ihnen ersteres definitiv besser steht.
Nach einer langen Durststrecke sind sie wieder da, und das mit einem Doppel-Wumms: Das Musikkabarett-Duo Die Feisten bieten im Pantheon an gleich zwei ausverkauften Abenden gehobenen
musikalischen Nonsens der besonderen Art dar, minimalistisch instrumentiert, eigenwillig pointiert und augenzwinkernd präsentiert, so als ob sie die Bühne nie verlassen hätten. Dabei ist Rainer
Schacht und Matthias „C“ Zeh jede Art von Spielpause ein Graus, ob nun wegen eines Virus oder wegen Weihnachten. Um so glücklicher sind die Beiden, jetzt zu einer ihrer frühesten Wirkungsstätten
zurückkehren zu können – mit Klassikern, aber auch mit neuem Material.
So also klingt die Weltspitze des Blues: Erdig, vielseitig, direkt, brillant und voller Leidenschaft spielen The Cinelli Brothers in der Harmonie einen Zwölftakter nach dem anderen, und das Publikum ist vom ersten Ton an sprachlos. Weil das Quartett einfach so unglaublich gut ist. Und außerhalb der Szene trotzdem kaum jemand von ihm weiß. Doch das dürfte sich bald ändern. Immerhin haben die Cinellis im Januar als einzige europäische Band bei der legendären International Blues Challenge in Memphis teilgenommen und gleich mal den zweiten Platz belegt. Das hört man. Kein Wunder, dass den Zuschauern die Begeisterung ins Gesicht geschrieben ist und sich für einige sogar eine längere Anfahrt gelohnt haben dürfte; laut den Harmonie-Betreibern ist eine Dame sogar extra aus Lübeck gekommen, um The Cinelli Brothers live zu erleben. Eine gute Entscheidung.
Peer Gynt (Timo Kählert) ist ein Versager. Sagen zumindest seine Mutter (Birte Schrein), der Schmied (Wilhelm Eilers) und alle anderen in dem norwegischen Dorf, in dem die Titelfigur von Ibsens epochalem Versdrama lebt. Nichts will ihm so recht gelingen, immer wieder scheitert er und rettet sich mit und in Märchengeschichten, um sich selbst und den Menschen um ihn herum glauben zu machen, dass er zu mehr bestimmt ist. Kaiser könne er werden – und Kaiser wird er, wenn auch nicht so, wie er sich das einst erträumte. Denn der Weg von der Selbsttäuschung zur Selbsterkenntnis ist für Peer Gynt alles andere als gradlinig. Nun hat sich Simon Solberg, Hausregisseur des Theater Bonn, dieses Stoffes angenommen. Und ihn mit Effekten überhäuft, bis der Text kaum noch atmen kann.
Jetzt mal ehrlich: Lachen ist die beste Medizin. Und gerade in eher unruhigen Zeiten sollen die Menschen durchaus mal für zwei Stunden den Kopf auf Durchzug stellen und sich von Atze Schröder beschallen lassen können. Der verspricht nämlich eine Rundum-Sorglos-Behandlung für Mundwinkel und Zwerchfell, mit ganz vielen echten Gefühlen und gewohnt markigen Sprüchen. In der Bonner Oper erweist sich der Vorzeige-Proll mit der blau getönten Sonnenbrille und der Lockenmähne allerdings zum Teil erstaunlich nachdenklich – was der Kunstfigur mehr Tiefe verleiht, sie allerdings auch aus der Wohlfühlzone und dem über Jahre gepflegten Gleichgewicht bringt.
Fast ist es so, als ob sie nie weg gewesen wären, der Trainer hinter der Schießbude, der Ernst mit seiner Leidenschaft für Bassisten-Posen, der Ozzy mit seinen wilden Gitarren-Soli und natürlich der Herbert, der Hip-Hop- und Rock-Veteran mit der Kappe und dem ewig altmodischen Oppa-Outfit. Ja, Herbert Knebel ist wieder da, um mit seinem Affentheater das Publikum von den Stühlen zu jagen und seine Weltsicht unters Volk zu bringen. Ob das will oder nicht. Und so rockt der verschrobene Ruhrpott-Pensionär eben ab, so wie jetzt im Bonner Pantheon. Kann man mal machen. Und dabei für gute Stimmung sorgen.
Jede Generation hat ihre eigenen Probleme. Aber auch immer die gleichen: Unverstanden von Eltern und Lehrern suchen Jugendliche nach ihrem Platz in der Welt, nach Verständnis und zugleich nach Abgrenzung. So auch in „Angry Baby, one more time“, der neuen Produktion des Teen Ensemble Marabu (TEM). In einer Mischung aus Theater, Performance und Tanzchoreographie setzen sich die 13- bis 17-Jährigen darin mit ihrer eigenen Generation Z auseinander, aber auch mit den Baby Boomern und den Millenials abrechnet, nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten sucht – und nach der eigenen Identität.
Eine unbeantwortete Frage in Dauerschleife, allerlei historische und fiktive Fragmente und eine Inszenierung, die alle Erwartungen erfüllen möchte und letztlich keine bedient: Je nachdem, welchen Besucher man an diesem Freitagabend im Schauspielhaus Bad Godesberg fragt, ist Rainald Grebes theatrale Collage „Hotel Godesberg“ wahlweise ein Debakel oder ein Geniestreich, eine Meisterleistung oder ein Armutszeugnis. Rund zwei Stunden lang hat der gefeierte Kabarettist, der in seinen Solo-Programmen konsequent auf der Grenze zwischen feiner Satire und brachialem Blödsinn balanciert (und immer wieder in letztere zu taumeln droht), Prominenz auflaufen und Einheimische erzählen lassen, hat mit Banalitäten und Absurditäten gespielt und allerlei szenische Schnipsel zusammengefügt, die durchaus für die Stadt stehen und die doch in ihrer Gesamtheit für nicht mehr reichen als für eine rudimentäre Skizze eines Außenstehenden. Was so manchem Zuschauer reicht. Und anderen nicht einmal ansatzweise.
Der Mensch als Krone der Schöpfung? Ist diese Vorstellung einem unglaublich überheblichen Egozentrismus geschuldet – oder einfach einer extrem pessimistischen Weltsicht? Thomas Freitag ist sich nicht ganz sicher. Immerhin, vielleicht lässt sich die Welt noch retten, irgendwie, irgendwo, irgendwann. Doch für den Menschen, da sieht der Altmeister der Satire, der jetzt im Haus der Springmaus sein aktuelles Programm „Hinter uns die Zukunft“ vorstellt, leider ziemlich schwarz. „Die meisten seiner Erfindungen hat der Mensch wegen seiner Faulheit gemacht“, sagt er. „Oder wegen seiner Grausamkeit.“ Am besten wegen beidem. Wenn das Töten so bequem wird, dass es nur noch einen Knopfdruck auf dem Computermonitor ausmacht, wenn Leid sich nur noch in Zahlen und Statistiken ausdrückt und der Krieg zu einem Spiel, ziehen nun einmal dunkle Wolken auf. Und leider gibt es weder für die Welt noch für den Menschen einen Reset-Knopf. Ach, hätte man doch nur vorher mal die Gebrauchsanweisung gelesen...
Ein bisschen norddeutscher Soul, ein Schuss Rock 'n' Roll, eine ordentliche Dosis Boogie Woogie und ganz viel Wahnsinn: Das Konzert der Söhne Hamburgs im Rahmen der Reihe „Quatsch keine Oper“ wies am vergangenen Donnerstag all das und mehr auf. Joja Wendt, Stefan Gwildis und Rolf Claussen, Freunde und Kollegen seit etlichen Jahren, wollten an diesem Abend einfach nur spielen, einfach nur Quatsch und Musik machen und eine schöne Zeit haben, nachdem der Auftritt immerhin durch die Corona-Pandemie mehrfach verschoben werden musste – und das Publikum genoss diese Attitüde, die nahezu alles erlaubte. Selbst einen rockenden Beethoven. Und ein Mikrofon, das seinem Sänger eine Szene macht.
Manchmal ist ein berühmter Name eher Fluch denn Segen. Immer wieder werden Vergleiche gezogen zwischen dem Filius und dem Senior, jeder eigene Song am Repertoire von Vater oder Mutter gemessen. Bernard Allison kennt dieses Vorgehen: Obwohl sein Erzeuger Luther seit nunmehr 25 Jahren tot ist, steht der Gitarren-Virtuose kontinuierlich in dessen Schatten. Dabei hat Bernard diesen ehrenvoll gemeinten Vergleich eigentlich überhaupt nicht nötig; seine Musik kann problemlos alleine stehen und besteht – so der Titel des aktuellen Albums – aus vielen Höhe- und keinen Tiefpunkten. Was für sich spricht.
Vor einem Jahr war ein Abend wie dieser für Estrela Gomes noch undenkbar: Ein eigenes Konzert mit ihr im Mittelpunkt, mit ihrem Namen auf dem Plakat und auf den Tickets, mit Menschen, die nur wegen ihr und ihrer mal kindlichen, mal souligen Stimme in die Harmonie gekommen sind. Als Straßenmusikerin ist sie all das nicht gewohnt, doch seitdem Manuel Banha sie 2022 zu seinem Weltmusik-Festival „Over the Border“ eingeladen hat und sie dort das Publikum mit ihrer entspannten Art begeisterte, scheint ein neues Kapitel im Leben der jungen Portugiesin aufgeschlagen worden zu sein. Im Herbst durfte sie sogar im Vorprogramm von Zaz auftreten, deren Vokal-Trompete und deren Gute-Laune-Nouveau-Chanson-Stil sie adaptiert hat und in deren Fußstapfen sie durchaus treten könnte. Denn das Talent dafür, das hat sie.
Hömma: Wenn ein Satz schon so beginnt, sind die Ohren zu spitzen, und zwar ohne wenn und aber. Dieses stärkste aller kommunikativen Signalworte des Ruhrpott-Idioms kann und darf man nicht ignorieren; wenn „Hömma“ kommt, folgt automatisch eine Weisheit, und mit denen kennen sich nur wenige besser aus als Kai Magnus Sting. Der 45-jährige Kabarettist ist schließlich ein leidenschaftlicher Sammler von Dialekt und Dialektik seiner Heimat, nicht zuletzt um dieses Wissen auf der Bühne zu vermitteln. Schon seit mehr als einer Dekade klärt er darüber auf, was Menschen zu sagen haben, die bereits bei der Geburt in den Kittel gepresst werden und diesen nie wieder loswerden – Jochen Malmsheimer lässt grüßen. Nun ist Sting mit neuen Geschichten über seine Omma und die Unterschiede zum modernen Leben auf Tour und hat auch im Haus der Springmaus Station gemacht.
Die Stimme ist ruhig. Entspannt. Ehrlich. Weder zornig noch beschämt, sondern nüchtern und weitgehend emotionslos berichtet sie detailliert vom Unfassbaren: Der grausamen Massenvernichtung der Juden im Konzentrationslager Auschwitz. Diese Stimme gehört Rudolf Höß, der als Kommandant des KZ für die unsäglichen Verbrechen verantwortlich war und den der Schauspieler Andreas Schneiders im Theater Die Pathologie wieder auferstehen lässt. Eine erschreckende Inszenierung, gerade weil sie keine Bestie in Menschengestalt zeigt. Sondern einen Mann, der „nur seine Pflicht“ erfüllt. Und dadurch unendliches Leid verursacht hat.
Ein bisschen verrückt ist Bruce Dickinson ja schon. Zumindest laut der irren Anekdoten aus seinem Leben, die der Frontmann der legendären Metal-Band Iron Maiden am vergangenen Dienstag im Tanzbrunnen zum Besten gab und die das Publikum immer wieder in schallendes Gelächter ausbrechen ließen. Zum Beispiel die mit der Ente. Na gut, mit der Gans. Eine kanadische Wildgans, lebensgroß, aus Kunststoff. Sie fiel Dickinson sofort ins Auge, als er mit seiner damaligen Band Samson auf dem Weg nach Schottland einen Boxenstopp einlegte, und weil er ohnehin gerade dem Sinn den Stinkefinger zeigte – kurz zuvor hatten Samson ihrem Management gekündigt –, kaufte er das Tier mit dem vermeintlich bösen Blick kurzerhand und klebte es mit Gaffertape auf das Dach ihres gestohlenen Bandautos. Wenn man schon in die Highlands reist, dann wenigstens mit ein bisschen Extravaganz. Und einer ordentlichen Dosis Wahnsinn.
Die Welt ist kaputt. Zumindest aus Sicht des Westens. Auf einmal herrscht Krieg, und zwar vor der Haustür statt um die Ecke, so dass man auf einmal nicht mehr wegsehen kann; das Klima spielt verrückt, auch das urplötzlich; und dann ist auch noch die Mitte der Gesellschaft verschwunden, die in der Vergangenheit stets als identitätsstiftende Positionierung einer utopischen Solidargemeinschaft diente. Fairness, Ausgewogenheit, eine Balance aller Interessen: Was es einst zumindest theoretisch hätte geben können, ist jetzt nur noch ein feuchter Traum. Während sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet, zerschneidet sie unbarmherzig dieses Konstrukt, mit dem die Bevölkerung sich bislang so schön rausreden konnte, und deckt einen Widerspruch auf, der sich selbst nicht erträgt. So zumindest formuliert es der Kabarettist Philipp Simon, als er im ausverkauften Pantheon sein aktuelles Programm „Zwischenstand“ präsentiert – und dabei zwischen den üblichen Polemiken hervorragende Analysen abliefert.
Bescheidenheit steht der Echse nicht. Wozu auch? Wer seit dem Urknall auf der Welt ist, eigenhändig die erste Zellteilung vollzogen und die Sintflut auf einem eigenen Schiff überlebt hat, der kann schließlich genug Lebenserfahrung aufweisen, um über derartigen Eigenschaften zu stehen. Die Gäste im Haus der Springmaus sollten vielmehr dankbar sein, dass die Echse von ihrem hohen Berg hinuntergestiegen ist, um den unwissenden Massen die Erleuchtung zu bringen und sich als Guru zur Verfügung zu stellen, als Lotse durch die Untiefen des Seins und als Prophet großer Weisheit. Zusammen mit ihrem Träger Michael Hatzius hat das alte Reptil mit den Helmut-Schmidt-Manierismen nun im Rahmen ihrer „Echsoterik“-Tour in Endenich versucht, bei den großen Problemen der Welt zu helfen (Krieg, Klimakrise und Troisdorf) und den Geist mit Hilfe von Humor auf eine neue Ebene zu bringen. Was ihr mühelos gelingt.
Dieses Schnäppchen will sich niemand entgehen lassen: Eine 80-Quadratmeterwohnung in der Bonner Altstadt, Top-Lage, großzügig geschnitten, für 850 Euro warm. Ein Traum in einer Stadt, in der – wie in allen relevanten Metropolen Deutschlands – bezahlbarer Wohnraum ebenso selten ist wie ein Sechser im Lotto. Und so kommen sie alle an, der arrogante App-Millionär ebenso wie die verzweifelten Pflegerinnen, die für ihre schwangere Tochter eine Bleibe suchende Mutter ebenso wie das Pärchen, das sich schon längst getrennt hat und nur aus Mangel an Alternativen noch zusammenlebt. Doch schnell merken die Interessenten, dass irgendetwas nicht stimmt. Und das hat mit dem Eigentümer der Wohnung zu tun, der ein Stockwerk höher lebt.
Die Diagnose ist eindeutig: Deutschland geht es schlecht. Nur warum? Die Vielzahl der Symptome – Wahnvorstellungen, Preisschocks, Flughafen-Verstopfung und Politiker-Demenz bilden da nur die
Spitze des Eisbergs – kann alles mögliche bedeuten. Und so bleibt dem Notarzt-Team der Schlachtplatte erst einmal nur der Versuch einer Breitband-Therapie, bei der alles Überflüssige und Eiternde
herausgeschnitten wird. Dazu noch ein bisschen Blödsinn zur Stärkung der Seele, schon ist der Patient zumindest wieder stabil, wenn auch noch nicht über den Berg. Jetzt hat die Gruppe um Chefarzt
Robert Griess diesen Eingriff im Haus der Springmaus durchgeführt.
Swing geht immer. Vor allem die frühen Werke jener Ära sind gewissermaßen unsterblich, die Unterhaltungsmusik von Cole Porter und Irving Berlin, von Glenn Miller und von Tommy Dorsey. „Anything Goes“, „Puttin' on the Ritz“, „In the Mood“. Diesen Evergreens ist auch Ulrich Tukur verfallen, und das schon lange. Der Schauspieler und „Tatort“-Kommissar ist schließlich eigenen Angaben zufolge älter, als er aussieht. Deutlich älter.
Schöne Melodien zu blutigen Geschichten: Das ist eines der Markenzeichen jener irischen Folk-Songs, die Bands wie Cara besonders gerne im Repertoire haben, Lieder von Liebe und Leid, die in der ein oder anderen Form schon vor Hunderten von Jahren gesungen wurden. Diese Art der musikalischen Unsterblichkeit ist natürlich verführerisch, insbesondere für eine deutsch-irische Formation, die derzeit immerhin ihr 20-jähriges Bestehen feiert. Und so nehmen Cara ihr Publikum auch in der Harmonie mit auf eine Reise ins Mittelalter – und wieder zurück.
Eigentlich hätten sie zusammen auf dem Präsidium sitzen müssen, gerade jetzt, nach zwei Jahren Corona-Pause und pünktlich zum 40. Jubiläum ihres FKK Rhenania: Die neueste Ausgabe des Pink Punk Pantheon hätte für Fritz Litzmann (Rainer Pause) und Helmut Schwaderlappen (Norbert Alich) eine triumphale Rückkehr auf die Bühne bedeuten sollen, wo sie unverwüstlich wie die beiden Grantler Waldorf und Stattler aus der Muppet Show über dem närrischen Trieben thronen. Doch ach, der Konjunktiv lässt Schlimmes schon erahnen. Nach einem kurzfristigen Außentermin zur Vermarktung einer neuen, flüssigen Reliquie steht Schwaderlappen – so deutet es zumindest ein Telefonanruf an – an einer von Bonns zahlreichen tückischen Bahnschranken fest (in Wirklichkeit ist Alich erkrankt, weswegen auch die Premiere des PPP um eine Woche verschoben werden musste). So obliegt es nun seinem gerne mal etwas wirren Freund und Kollegen Litzmann, die Sitzung alleine zu leiten. Was diesem mühelos gelingt.
Der deutlichste Beleg dafür, dass das Reich der freien Meinung offenbar schrumpft, ist die Tatsache, dass man mit nahezu jedem Satz irgendwem auf die Füße tritt. Alles kann als Verletzung betrachtet werden, ist entweder politisch inkorrekt oder genderfeindlich, rassistisch oder Zeichen von kultureller Aneignung. Das geht Mathias Tretter gehörig auf die E...., ähm, auf die Nerven. „Warum sind immer mehr Leute wehleidiger als ein Glasknochenkranker beim Pogo?“, fragt der fränkische Kabarettist in seinem aktuellen Programm „Sittenstrolch“. Ist doch anstrengend. Nichts gegen sexuelle, ethnische oder ideelle Gleichberechtigung, aber dieses ständige Jammern über Befindlichkeiten irritiert ihn als mittelalten, weißen Mann doch zunehmend, insbesondere dann, wenn dadurch der Blick von den eigentlichen Problemen abgelenkt wird. Diess will der gerade erst mit dem Salzburger Stier ausgezeichnete Tretter korrigieren – und überzeugt im Haus der Springmaus mit scharfer, teils bitterböser Satire.
Wenn ein leidenschaftlicher Beatbox-Jongleur und einer der nach eigenen Angaben ältesten Breakdancer gemeinsam eine Show konzipieren, kann nur so etwas wie „Funky Town“ herauskommen. Dementsprechend groovend startet jetzt das GOP Bonn ins neue Jahr, setzt auf Samples und Synthesizer, auf urbanes Lebensgefühl und Hip-Hop-Attitüden – und polarisiert damit das Publikum. Denn nicht jeder kann sich mit dieser eigenwilligen Mischung anfreunden, mit dem Slapstick-Humor, der live produzierten Elektro-Musik und der bemühten Coolness, die vor allem die beiden Regisseure und Hauptdarsteller Robert Wicke und Kai Eikermann an den Tag legen. Andererseits kommt die körperbetonte Komik durchaus an. Und mündet letztlich nach der ein oder anderen Überraschung in stehenden Ovationen.