Mathias Tretter: Abrechnung mit den Jammerlappen

Der deutlichste Beleg dafür, dass das Reich der freien Meinung offenbar schrumpft, ist die Tatsache, dass man mit nahezu jedem Satz irgendwem auf die Füße tritt. Alles kann als Verletzung betrachtet werden, ist entweder politisch inkorrekt oder genderfeindlich, rassistisch oder Zeichen von kultureller Aneignung. Das geht Mathias Tretter gehörig auf die E...., ähm, auf die Nerven. „Warum sind immer mehr Leute wehleidiger als ein Glasknochenkranker beim Pogo?“, fragt der fränkische Kabarettist in seinem aktuellen Programm „Sittenstrolch“. Ist doch anstrengend. Nichts gegen sexuelle, ethnische oder ideelle Gleichberechtigung, aber dieses ständige Jammern über Befindlichkeiten irritiert ihn als mittelalten, weißen Mann doch zunehmend, insbesondere dann, wenn dadurch der Blick von den eigentlichen Problemen abgelenkt wird. Diess will der gerade erst mit dem Salzburger Stier ausgezeichnete Tretter korrigieren – und überzeugt im Haus der Springmaus mit scharfer, teils bitterböser Satire.

Um es klarzustellen: Tretter wendet sich in seinem Solo weder gegen die Bekämpfung von Missständen und Ungerechtigkeiten noch gegen die Sensibilisierung für die Belange von Ausgegrenzten aller Arten. Aber er stört sich an dem entrüsteten Mob der Sittenpolizisten, die im Zwielicht der sozialen Medien zur Treibjagd aufrufen. Und so wird er eben zum Strolch, der die digitale Horde vorführt und mit so manchen Vorurteilen spielt. Insbesondere die Chinesen haben es ihm angetan, jenes Volk aus dem Reich der Mitte, das vor rund 40 Jahren noch 50 Jahre hinter dem Westen hinterherhinkte und diesem inzwischen um 20 Jahre voraus ist, wenn auch mit fragwürdigen Methoden. Nur das Corona-Virus bekommen sie irgendwie nicht in den Griff, wie die aktuelle Infektionswelle zeigt. Kein Wunder bei einem Land, in dem die Technologie der Zukunft auf die Hygiene des Mittelalters trifft – und in dem die Prioritäten offenbar andere sind. „Eigentlich verstehen die Chinesen sich ja auf Säuberungen, aber Viren sind halt keine Uiguren“, kommentiert Tretter nur. Böse. Aber das ideale Terrain für einen Sittenstrolch, der der Diskussion um das dritte Geschlecht die weibliche Genitalverstümmelung im westlichen und nordöstlichen Afrika entgegensetzt und die vermeintliche Zeitenwende, die mit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine ausgerufen wurde, mit dem Verweis auf die weltweiten Zahlen kontert. 28 Kriege und bewaffnete Konflikte hat die Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Kriegsursachenforschung für 2021 gezählt. An vier davon war Putin beteiligt.

Doch fährt Mathias Tretter nicht ausschließlich die schweren Geschütze auf. Gerne erinnert er sich auch immer wieder an seine Kindheit und Jugend in Franken zurück, als es noch keine Helmpflicht gab, sowohl in den Kneipen als auch in den Talkrunden bis zur Sichtverneblung gequalmt wurde und das Fernsehen nachts Sendepause hatte. Gerne unterhält er sich auch mit seinem besten Freund Ansgar, einem Langzeit-Philosophen, der dank einer chinesischen Freundin sowie einem Doktortitel in Schwurbelei die verschiedenen Aspekte von Tretters Programm zusammenhält und mit diesem auch mal in einen Diskurs über die Philosophie des Katers einsteigt, die sich von Sokrates über Kant bis Heidegger erstreckt. Was dann doch wieder ein schweres Geschütz ist, vielleicht nicht moralisch, aber dafür intellektuell. Ja, so manchen Satz von Mathias Tretter – zu diesem und zu anderen Themen – muss man vielleicht mehrfach hören, um ihn vollends zu durchdringen. Das aber lohnt sich.


Mathias Tretter ist mit seinem Programm „Sittenstrolch“ am 31. März in der Galerie am Schloss in Brühl sowie am 21. April in der Comedia in Köln zu sehen. Karten erhalten Sie bei den örtlichen Vorverkaufsstellen.

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