Die Stimme ist ruhig. Entspannt. Ehrlich. Weder zornig noch beschämt, sondern nüchtern und weitgehend emotionslos berichtet sie detailliert vom Unfassbaren: Der grausamen Massenvernichtung der Juden im Konzentrationslager Auschwitz. Diese Stimme gehört Rudolf Höß, der als Kommandant des KZ für die unsäglichen Verbrechen verantwortlich war und den der Schauspieler Andreas Schneiders im Theater Die Pathologie wieder auferstehen lässt. Eine erschreckende Inszenierung, gerade weil sie keine Bestie in Menschengestalt zeigt. Sondern einen Mann, der „nur seine Pflicht“ erfüllt. Und dadurch unendliches Leid verursacht hat.
Grundlage des Monologs „Der Kommandant“ von Jürg Amann, den Regisseur und Theaterleiter Johannes Prill überaus vorsichtig inszeniert hat, sind die Autobiographie von Höß sowie dessen Aussagen
während der Vernehmungen in britischer Gefangenschaft und im Rahmen der Nürnberger Prozesse. In allen drei Quellen erweist sich Höß im Gegensatz zu anderen führenden Nazis nicht als Sadist oder
gnadenloser Schlächter, sondern als Offizier, der sein Pflichtbewusstsein über alles stellte. Diese Seite gestaltet auch Schneiders geschickt aus, ohne dabei sonderlich viel zu spielen –
stattdessen lässt er die Worte von Höß als solche wirken, wobei er auch immer wieder Original-Tonaufnahmen über ein Diktiergerät abspielt. Eine kritische Einordnung der Aussagen erfolgt dabei
nicht, dafür gilt Höß als zu verlässliche Quelle, zumindest sofern es um die Lagerverwaltung und die Gaskammern geht; bei den eigenen biographischen Angaben insbesondere zu seiner Soldatenzeit in
jungen Jahren muss er hingegen Historikern zufolge wiederholt geschwindelt haben.
Es ist gerade diese Menschlichkeit, die „Der Kommandant“ so schwer zu ertragen macht. Höß könnte jeder sein, der Nachbar vielleicht oder eine Stammtischbekanntschaft; einzig sein Gehorsam
gegenüber Vorgesetzten zeichnet ihn im negativen Sinne aus. „Die Befehle des Führers waren heilig“, sagt er im Stück, und selbst wenn er selbst eigenen Angaben zufolge mitunter skeptisch war, so
tat er doch stets, was von ihm erwartet wurde. Gerade als Kommandant habe er ein Vorbild sein müssen, habe bei Erschießungen und Vergasungen zugegen sein müssen, um allen zu zeigen, dass er die
eigenen Anordnungen als erster ausführen würde. Und so berichtet Höß denn auch ohne Regung von Müttern, die ihre Säuglinge in ihren Kleidern versteckten, bis sie von Mitgliedern der anwesenden
Sonderkommandos dazu überredet wurden, sie doch mit in die Gaskammern zu nehmen. Sätze, die in ihrer Nüchternheit Übelkeit erregen und die von Schneiders sachlich und verbindlich geäußert werden,
bar jedes Schuldbewusstseins und jeder Reue. Zum Glück haben Prill und Schneiders den Text von Amann so weit heruntergekürzt, dass „Der Kommandant“ bei ihnen nur eine Stunde dauert. Länger würde
man diesen Stoff wohl auch nicht aushalten. So lange sollte man ihn sich aber antun, um sich selbst bewusst zu machen, wie leicht manche Menschen sich willig zum Henker von Millionen machen. Weil
Befehl nun einmal Befehl ist. Eine schreckliche Ausrede. Und eine brandgefährliche. Also hinschauen. Und hingehen.
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