„Sailors“: Matrosen auf Landgang

Endlich Landgang. Festen Boden unter den Füßen. Für eine Nacht bleiben die Seeleute an einem Fleck, vernehmen die Verlockungen der Beständigkeit, sehnen sich nach den Armen und dem Mund einer Frau und widerstehen zumindest für ein paar Stunden dem Ruf des Meeres. Doch auf Dauer können sie der See nicht entkommen, zu stark ist der Sog in ihren Herzen. Diese Ambivalenz zwischen dem Wunsch nach einer Familie und der Liebe zum Beruf eint Teerjacken und Artisten und ist der Grundgedanke hinter der neuen GOP-Show „Sailors“, die nun in der Bonner Dependance der Varietétheater-Kette eine umjubelte Premiere feiern konnte. Zu Recht, begeistert sie doch mit beeindruckenden Bildern und schrägen Szenen – insbesondere in der zweiten Hälfte.

Hinter „Sailors“ stecken die beiden kanadischen Artisten Gabriel Drouin und Francois Gadbois, die in Bonn nicht ganz unbekannt sind: Letzterer hat schon als Kunstradfahrer in „Camping“ überzeugt, ersterer mit seinem Cyr unter anderem bei „Freaks“, „Karussell“ und „Handmade“. In einer Münchener Kneipe haben die Freunde irgendwann das Konzept für die Show entwickelt, mit der sie ihrem eigenen Lebensstil Tribut zollen wollen. „Wir sind oft an Weihnachten nicht bei der Familie, an Geburtstagen oder bei Trauerfällen“, erzählen Drouin und Gadbois im Vorfeld der Premiere bei einem Pressegespräch, „und diese Distanz ist manchmal schwer zu ertragen. Andererseits machen wir das, was wir lieben.“ Beiden geht dieses Thema nahe, sehr nahe – Drouin muss sogar ein paar Tränen verdrücken. Umso seltsamer ist es da, dass „Sailors“ zumindest zu Beginn ein wenig zäh und bemüht wirkt. Die drei leichten Mädels, die sich in der Spelunke auf der Bühne an die harten Seebären ranschmeißen und versuchen, ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen, kichern gerne mal affektiert statt kokett, einzelne Nummern laufen nicht ganz rund, und Moderator Nagelritz, der leidenschaftlich gerne Ahoi-Brause verteilt (Vorsicht, Schleichwerbung), versucht gleich zweimal hintereinander, mit dem Publikum zu singen. Leider keine Shantys. Sondern Schlager. Damit nimmt der Bremer Charakter, Tempo und Spannung aus dem Geschehen, das ohnehin schon eine vergleichsweise lange (wenn auch durchaus unterhaltsame) Clownsnummer rund um ein Date der besonderen Art ausbalancieren muss. Schade, zumal Andy Giroux als Strongman genau die richtige Nummer parat hat, diese aber zwischen den beiden Musiknummern versinkt.

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Nach der Pause agiert das Ensemble dagegen wie ausgewechselt. Nagelritz fasst sich kurz, die Artisten erhalten Raum – schon läuft alles wie am Schnürchen. Atemberaubend, wie Guillaume Fontaine auf einer Slackline mit Ball und Leiter jongliert und balanciert oder wie gleich vier Akrobaten am Chinese Pole starke maritime Bilder kreieren. Dazu gesellt sich eine waschechte Kneipenschlägerei, bei der auch die Frauen ordentlich zulangen, während ein Seemann nach dem anderen durch einen Stuhl und einen Rettungsring springt. Das ist kanadisches Varieté in Perfektion, temporeich, lustig, poetisch, ohne viele Worte und mit jeder Menge Spaß. Dann ist es auch kein Problem, eine Strapaten- und eine Kontorsionsnummer parallel zu zeigen oder perfekt in die Szenerie eingefügte Balance-Akte zu präsentieren, bei denen das gesamte Ensemble eingebunden ist. Klasse auch Gadbois' Jonglage mit mehreren Boxen sowie eine berührende Cyr-Darbietung von Gabriel Drouin, dem die Liebe zu seiner Kunst aus jeder Pore strömt. Das spürt das Publikum auch und bedankt sich mit stehenden Ovationen.


Termine: „Sailors“ ist bis zum 30. April jeweils Mittwochs bis Sonntags im Bonner GOP zu sehen. Tickets erhalten Sie bei allen bekannten Vorverkaufsstellen oder unter www.variete.de.

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