An diesem Abend sind alle eine Familie. 16.000 Menschen in der ausverkauften Lanxess Arena lassen sich von Pur in den Arm nehmen, lassen sich streicheln von den Wohlfühl-Pop-Schlagern, umgarnen von den gesungenen Liebeserklärungen und trösten von dem Traum universeller Brüderlichkeit, den die Band in inbrünstige Worte kleidet. Klingt kitschig, ist es mitunter auch – aber in den besten Momenten gehen Pur weit darüber hinaus. Denn berühren und bewegen kann die Band aus Baden-Württemberg durchaus, zumindest sobald sie Betriebstemperatur erreicht hat. Und ihre Fans einmal mehr ins Abenteuerland entführt.
Dabei ist das Peter-Pan-Image von Frontmann Hartmut Engler und seinen Kollegen längst nicht mehr zutreffend, so gerne Pur auch nach mehr als 40 Jahren auf der Bühne immer noch als dienstälteste
Schülerband Deutschlands bezeichnet wird. Ja, so manche der glattgebügelten Verse könnten glatt aus einem Poesiebüchlein stammen oder aus dem neuen Gesangsbuch des CVJM („Ich will voll sein /
Richtig voll sein / Voller Freude, voller Liebe / Voll bis obenhin, bis obenhin mit Herz“), und warum gerade die Songs des neuen Albums besonders „persönlich“ sein sollen, erschließt sich nicht.
Aber immerhin beziehen Pur an anderer Stelle überhaupt Position gegen Corona-Leugner und Kriegstreiber, Verschwörungsgläubige und Lügenbarone, was leider in der Musikbranche nicht
selbstverständlich ist. Und wenn sie ein bisschen aufdrehen, dann rockt es sogar.
Letzteres ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. Während Hartmut Engler alles gibt und nach ein paar Startschwierigkeiten spätestens beim „Seiltänzertraum“ aufgewärmt ist, gilt das für einige
andere Pur-Mitglieder nur bedingt. So geht Gitarrist Rudi Buttas bei dem genannten Stück großspurig nach vorne, stellt sich in Pose – und liefert dann ein derart pathetisches, belangloses Solo
ab, dass es an Lächerlichkeit kaum zu überbieten ist. Insofern ist es sicherlich eine gute Idee, dass Pur sich eine Frischzellenkur verordnet und mit dem jungen Severin von Sydow im vergangenen
Jahr immerhin einen zweiten Gitarristen in die Band geholt hat, der zusammen mit Drummer Frank Dapper so manche Schwäche ausbügeln kann.
Auch musikalisch versuchen Pur, andere Wege zu gehen, was längst nicht immer gelingt. Das schmalzige „Funkelperlenaugen“ bekommt zwar dank der Hilfe der a-capella-Formation Naturally 7 einen
locker-leichten Groove, der der Nummer gut zu Gesicht steht, doch die angeblich „neue“ Fassung von „Prinzessin“ erweist sich letztlich als Mogelpackung. Andererseits muss auch nicht alles
grundlegend renoviert werden. Es reicht, wenn die Lieder ehrlich wirken. Hartmut Engler gelingt dies eindrucksvoll bei „Wenn sie diesen Tango hört“, einem Klassiker, den er einst für seine Mutter
geschrieben hat und der in ganz reduzierter Besetzung so unglaublich berührt, dass sich keiner in der Arena diesem Stück entziehen kann. Am Ende hat nicht nur Engler Tränen der Rührung in den
Augen. „Es ist ein Geschenk, diese Emotionen mit so vielen Menschen teilen zu dürfen“, sagt er nur.
Danach dreht sich die klinisch reine Schlager-Pop-Maschine weiter. Und weiter. Und weiter. In einem Medley spielen Pur all jene Hits an, die aus welchen Gründen auch immer ansonsten aus dem
Programm geflogen wären, inklusive des „Lieds für all die Vergessenen“ und das von einer Diskussion über kulturelle Aneignung bislang verschont gebliebenen „Indianer“. Natürlich geht es später
noch ins „Abenteuerland“, das für ein Pur-Musical gleichen Namens Pate steht, natürlich dürfen wieder Drachen fliegen, und natürlich muss man irgendwann „zu Ende träumen“. Das Publikum ist selig,
singt lautstark mit und betrinkt sich an einer Band, die sich letztlich stets treu geblieben ist. Was man nicht mögen muss. Aber respektieren sollte.
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