Schifferklavier, Schweineorgel, Zerrwanst, Quetschkommode, Heimatluftkompressor: Diese und andere eigenwillige, oft augenzwinkernde Bezeichnungen für das Akkordeon sind ebenso bunt wie die Musik, für die das Instrument steht. Von Tango bis Walzer, von Musette bis Volksmusik reicht das Repertoire; nichts scheint unmöglich. Das hat zuletzt auch die Akkordeonale bewiesen, die nach drei Jahren Zwangspause nun endlich wieder in der Harmonie stattfinden konnte. Organisator Servais Haanen hat einmal mehr herausragende Kolleginnen und Kollegen vereint, die ihre Instrumente nicht nur virtuos beherrschen, sondern sie auch mit eigenen Ansätzen in der Gegenwart verankern. Oder tief in der Vergangenheit. Was auch zukunftsträchtig sein kann.
Während die Akkordeonale früher gerne mal auf Kontrasten aufbaute, ist sie in diesem Jahr überaus harmonisch – dabei ist sie zugleich so vielseitig wie noch nie. Stepptanz trifft auf Barockmusik, ein Fußbass auf einen Dudelsack, slowenische Träumerei auf französische Reflexion. Aus dieser Melange entsteht ein fast schon organisches Produkt, eines, in dem zusammenfindet, was schon längst hätte zusammengehören sollen. Nichts wirkt bemüht, nichts aufgesetzt, alles klingt natürlich, ehrlich, selbstverständlich. Und schön. Ja, schön ist dieser Abend auf jeden Fall, egal ob man gerade mit Jure Tori durch die Wälder Sloweniens wandert oder mit Zabou Guérin durch die Straßen von Paris, ob man mit Aïcha Touré singt und tanzt oder mit Servais Haanen auf einem Hollandrad ohne Gangschaltung bei Windstärke sieben gegen den Sturm anfährt.
Artikel wird unten fortgesetzt
Für ungewöhnliche Klänge sorgen auch Benjamin Macke und seine Frau Birgit Bornauw, er mit seinem Akkordeon und einem Basse aux Pieds – einem von Belgiern erfundenen Instrument aus dem späten 19.
Jahrhundert, das wie ein großer Blasebalg aussieht und den Macke mit regenbogenbestrumpften Füßen tritt – und sie mit einer barocken Sackpfeife namens Musette de Cour. Die beiden spielen ganz
bewusst keine Eigenkompositionen, sondern Werke des Meister-Gambisten Marin Marais und des Komponisten Michel Corrette, die sie kurzerhand für ihr Duo adaptiert haben. Wenn dann noch Aïcha Touré
Mikrofon und Akkordeon zur Seite legt und ihre Schuhe über das Parkett klacken lässt, als hätte Steppen schon immer zur höfischen Aufführungspraxis des Barock gehört, wird aus Verwunderung
Begeisterung. Herrlich, wie natürlich derartige Verbindungen klingen. Gleiches gilt für „Tripping“, mit dem die Akkordeonale in die zweite Hälfte startet und bei dem Zabou Guérin in ein
Call-and-Response-Spiel mit Cellistin Johanna Stein einsteigt, das sich schließlich zu einem musikalischen Pas de deux entwickelt.
Im Rahmen der Akkordeonale darf natürlich jeder glänzen und mit eigenen Werken solieren, was vor allem Jure Tori mit seinen ungeheuer anspruchsvollen und doch so leicht wirkenden Stücken
ausnutzt. Doch stets geht es auch um das gemeinsame Moment, um das Zusammenführen von Musikern, die sich erst zwei Tage vor Beginn der Tour kennenlernen und sich innerhalb kürzester Zeit zu einem
beeindruckenden Ensemble entwickeln, das einige der schönsten Momente auf der Bühne gemeinsam entstehen lässt, so wie Aïcha Tourés „Wo Nuwali“, mit dem die Sängerin und Akkordeonistin ihrer
Heimat Gabun Tribut zollt, oder das fantastische „Duo des Sauvages en rondeau“ des barocken Cembalovirtuosen Jean-Philippe Rameau, mit dem eine überaus starke Ausgabe der Akkordeonale zu Ende
geht.
Kommentar schreiben