Sarah McCoy erinnert sich noch gut an ihren letzten Auftritt im Jaki. Damals, so erzählt die US-amerikanische Sängerin, sei sie ziemlich krank gewesen, fiebrig und heiser. Trotzdem hat sie sich auf die Bühne gequält und das Konzert durchgezogen – eine andere Möglichkeit kam für sie, die ehemalige Straßenmusikerin und Kneipenkünstlerin des French Quarter in New Orleans, schlichtweg nicht in Frage. Augen zu und durch. „Das war der schlimmste Auftritt meiner Karriere“, sagt sie rückblickend, während sie in genau diesem Club wieder am Klavier Platz nimmt. „Ich habe also etwas gutzumachen.“ Was ihr mühelos gelingt.
Schon mit den ersten Tönen beherrscht McCoy den Raum. An ihr kommt man nicht vorbei, sie kann man weder übersehen noch überhören. Die 38-Jährige ist eine grell geschminkte Titanin mit dunklen
Liedern, eine Musikerin, die durch das Tal der Tränen gegangen ist und trotzdem noch lachen kann, eine vom Leben traumatisierte Frau, deren Therapie die Musik ist und die all ihren Schmerz und
ihre Zweifel in den Blues legt, um gestärkt zurückzukehren und den Aufstieg zu wagen. Immerhin hat sie viel durchlitten: Als Teenagerin musste sie den Tod ihres Vaters und ihrer Großmutter
verkraften, die innerhalb weniger Tage gestorben waren; einige Jahre später suchte sie ihr Leben auf der Straße, schlief in verlassenen Gebäuden, übernahm Gelegenheitsjobs und machte Musik, wann
immer es ihr möglich war. In New Orleans spielte sie in jeder Kneipe, die sie reinließ. Existenzängste mischten sich mit Inspiration – bis heute, so sagt sie, hat sie mit Depressionen zu kämpfen,
obwohl sie seit fast zehn Jahren auf der Erfolgsspur ist. 2014 nominierte das Magazin OffBeat sie als beste Nachwuchskünstlerin, neben den Top-Musikern Cyril Neville, Jon Batiste, Jason Marsalis
und Tab Benoit; 2017 entdeckte der Pianist Chilly Gonzales sie, förderte sie und verschaffte ihr einen Plattenvertrag bei Blue Note; und mit ihrem aktuellen Album „High Priestress“ sorgt sie in
ganz Europa für Aufsehen. Trotzdem bleibt die Unsicherheit, so sehr sie diese auch wegzulachen versucht. „Bin ich schon zerbrochen geboren worden?“, fragt sie unter anderem, während ihre Finger
über die Tasten tanzen, sich mal beim Jazz und mal bei der Klassik bedienend. Ob sie darauf eine Antwort gefunden hat?
Auf jeden Fall ist sie inzwischen stark genug, darüber zu singen. Ihre Geschichten untermalt sie dabei gerne mit großen Gesten, mit exaltiertem Pathos und mit lauter Stimme – aber sie kann auch
anders, leise, gefühlvoll, reflektierend. Als Hohepriesterin des Noir-Pop, wie sie ihre Cabaret-Blues-Gothic-Jazz-Melange im Stil von Tom Waits bezeichnet, muss sie das auch. Und wer weiß,
vielleicht fällt ihr gerade deswegen die Musik so leicht. „Du kannst auf Chaos und Dissonanz etwas aufbauen“, sagt sie an einer Stelle. Man muss nur wissen wie. Und was. Denn noch ist Sarah McCoy
mit ihrer Wahnsinns-Stimme etwas zu monoton in ihren Kompositionen und zu monochrom in ihren Stimmungen. Dabei blüht sie im Jaki zunehmend auf, je mehr sich das Publikum einmischt und mit ihr
kommuniziert. Wenn sich das auch in der Musik widerspiegelt – ja, dann hat sie den Aufstieg vollendet.
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