„Fabian“: Immer wieder rein ins Loch

Berlin in den 20er Jahren. Glitter, Gold und Glamour dominieren in den Bordellen und Clubs der Hauptstadt, verborgene Orte, von denen doch jeder weiß und an denen alles erlaubt ist. Hier tummelt sich auch der junge Germanist Jakob Fabian, ein sarkastischer Melancholiker, der an der Realität verzweifelt und letztlich zerbricht, als mehrere Schicksalsschläge ihn noch weiter nach unten ziehen. Nun hat sich Regisseur Martin Laberenz des Stoffes angenommen und ihn auf die Schauspielhaus-Bühne des Theater Bonn gebracht – in Form einer fast dreistündigen Inszenierung mit zahlreichen anämischen Längen, philosophischen Diskursen und wenig Dramatik.

Vor allem die erste Hälfte der Produktion erweist sich mitunter als Tortur. Immer wieder dehnt sich die Zeit wie ein Kaugummi, während der Werbetexter Fabian (Christian Czeremnych) mit seinem verstorbenen Freund Labude (dessen Suizid Laberenz vom Ende an den Anfang gezogen hat, um seinem Protagonisten eine Reibungsfläche zu geben) durch das Berliner Nachtleben tingelt, das alles auf einen Punkt im Raum komprimiert wird. Ein nachvollziehbarer dramaturgischer Ansatz, der allerdings keine Entwicklung befeuert, sondern nur Redundanzen schafft, insbesondere da die Handlungsstringenz der Romanvorlage zugunsten von Plattitüden und Wiederholungen aufgelöst worden ist. Da wird der Selbstmord Labudes (Sören Wunderlich) wiederholt oder einem Kollegen Fabians bei der Suche nach einer Narbe in den Hintern gekrochen (die laut Buch übrigens dort nicht zu finden sein dürfte), während sich eine hemmungslose, rollige Irene Moll (Sophie Basse) im wahrsten Sinne des Wortes zum Affen – und zu einigen anderen Tieren – macht. Derartige absurd-groteske Szenen sorgen zwar für den ein oder anderen Lacher, dem Stück selbst sind sie aber nicht förderlich, zumal sie schlichtweg zu viel Raum einnehmen und den durchaus packenden Monologen über die Arbeitswelt oder über die Liebe jegliche Nachhaltigkeit rauben.

Erst als Fabian die junge Cornelia Battenberg (Lena Geyer) trifft und sich in sie verliebt, bekommt die Inszenierung Konturen. „Vielleicht ist es eine Sünde, das Leben zu lieben und kein seriöses Verhältnis dazu zu haben“, sagt er irgendwann. Das ändert sich nun. Auf einmal kann Fabian nicht länger auf Distanz zum Leben gehen, sondern befindet sich ganz unerwartet mittendrin – und das bricht ihm letztlich das Genick. Er verliert seinen Job, verzweifelt am System und wird dann auch noch von Cornelia verlassen, die sich auf der Suche nach einer Karriere beim Film an einen Filmproduzenten verkauft und seine Geliebte wird. „Ich brauche Geld, ich brauche einen Beruf“, schreit er, völlig desillusioniert und rutscht ab, hinab in das riesige Loch, das sich wie ein Trichter auf der schrägen Bühne auftut und in dem schon zuvor all jene landeten, die mehr oder weniger freiwillig ihren Werten entsagen. Oder ihrem Leben.

Trotz diverser starker Textfragmente über den Wert von Arbeit und den Preis von Liebe und Lust bleibt die Laberenzsche Inszenierung ein Enigma: Was will sie eigentlich zeigen, was erklären, was bewirken? Mitleid mit der Titelfigur kann nicht das Ziel sein, dafür bleibt Fabian trotz einer stärkeren Intensität gegen Ende des Stückes zu distanziert. Außerdem sind sowohl die sonst so wichtige Mutterfigur als auch die Rettung des ertrinkenden Jungen, bei der Fabian letztlich sein Leben verliert, dem Rotstift zum Opfer gefallen. Andererseits hängen die erwähnten Monologe zu sehr im luftleeren Raum, um sich im zunehmend ermüdenden Publikum festzusetzen, sind eher Versatzstücke denn Teil einer Argumentationsstruktur. Das reicht nicht. Und wenn am ehesten noch Czeremnychs minutenlanger Auftritt im Adamskostüm im Gedächtnis bleibt, während er sich Cornelias Ausführungen über die Lust als käufliche Ware und die Liebe als kostbare aber gleichzeitig kostenlose Emotion anhört, bleibt das Stück weit hinter seinen Möglichkeiten zurück; dafür sind sowohl der Text als auch die beteiligten Schauspielerinnen und Schauspieler zu stark. Das ist aber möglicherweise auch Ansichtssache: Bei der Premiere gab es auf jeden Fall kräftigen Applaus und vereinzelte Bravo-Rufe.

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