Rund 600 Lieder hat Franz Schubert in seinem Leben geschrieben, 600 Titel, die zum Standard-Repertoire vieler klassischer Lied-Interpreten gehören – und neuerdings auch zu dem von Gisbert zu Knyphausen. Der Singer-Songwriter, der gerne in einem Atemzug mit Sven Regener genannt wird und der sich wie dieser auch ganz der Melancholie verschrieben hat, ist für das Projekt „Lass irre Hunde heulen“ von dem Pianisten Kai Schumacher angefragt worden, der Schubert neu entdecken und dessen Œuvre von dem artifiziellen Charakter des Kunstliedes befreien wollte. Was im Grunde auch gelang, wie jetzt ein Auftritt im Rahmen des Beethovenfests zeigt: So hat Schubert sicherlich noch nie geklungen, so ungezwungen und authentisch im Gesang – und so ungewöhnlich, so wuchtig und schwer in den modernen Arrangements, die bei aller Experimentierfreudigkeit die besagte Künstlichkeit nur zum Teil negieren. Und sie in anderen Fällen lediglich verschieben.
Die Übertragung Schuberts in die Gegenwart wird dadurch allerdings nicht ad absurdum geführt, ganz im Gegenteil. Es ist bemerkenswert, wie leicht sich die Lieder des Frühromantikers in das Werk
Knyphausens einfügen, der diesen ganz bewusst seine eigenen Stücke gegenüberstellt. Mühelos machen er und seine Band sich etwa „Gute Nacht“ zu eigen, jenem ersten Titel aus der „Winterreise“ mit
dem berühmten „Fremd bin ich eingezogen“, der hier beinahe zerbrechlich aus einer kalten, dissonanten Geräuschkulisse aus Streichersounds und Noise-Gitarren hervorbricht. Kurz darauf geht es dann
auch anders: Die „Nähe des Geliebten“ verwandelt sich dank eines Salsa-Rhythmus in einen lebendigen und erfreulichen Sommerhit; neben der Knyphausenschen Upbeat-Ballade „Unter dem hellblauen
Himmel“ entsteht so das fröhlichste Arrangement des gesamten Projekts.
Insgesamt zehn Musikerinnen und Musiker stehen an diesem Abend im Pantheon auf der Bühne und offerieren eine breite Klangpalette, aus der sich Schumacher und Knyphausen nur allzu gern bedienen.
Vor allem letzterer hat ohnehin schon ein Faible für eine ausufernde Dynamik, was etwa bei „Der Wegweiser“ oder „Der Doppelgänger“ in einer Art Rock-Opera-Gewandung mündet. Hier bäumt sich die
Musik geradezu auf, explodiert aus dem Nichts kommend in einer Kakophonie aus Noten, bevor sie wieder in sich zusammensinkt und sich der Melancholie überlässt. Manchmal führt dies allerdings
etwas zu weit und zwängt der Musik eine Instrumentierung auf, die nicht weniger aufgepfropft ist als die Manierismen des Kunstlieds. Beim Publikum stößt der Ansatz dennoch auf offene Ohren, nicht
zuletzt da Knyphausen die Schwermut Schuberts in den Tiefen seiner Seele zu spüren scheint und singt, als laste das ganze Gewicht der Welt auf seinen Schultern. Genau das braucht aber auch eine
derart mutige Interpretation, die im Großen und Ganzen ihr Ziel erreicht und den zahlreichen Bemühungen um die Lieder Schuberts eine neue, aufregende Facette hinzufügt. Die Menge bedenkt die
Künstlerinnen und Künstler denn auch mit stehenden Ovationen und fordert noch ein paar Zugaben ein.
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