Mathias Tretter: Schneller als Böhmermann

Leicht reizbar, machtversessen und völlig unvorhersehbar: Recep Tayyip Erdoğan und Donald Trump haben einiges gemeinsam. Doch ein Schmähgedicht ist nur einem von beiden gewidmet worden. Bis jetzt. Denn diese Chance kann sich Mathias Tretter in seinem Jahresrückblick im Haus der Springmaus nicht entgehen lassen. Einmal schneller sein als Jan Böhmermann und mit etwas Glück die gleiche Aufmerksamkeit genießen wie dieser. Immerhin haben nur wenige Themen Deutschland in den vergangenen zwölf Monaten mehr bewegt als diese dahingerotzten Zeilen, die zwar gut gemeint, aber eben nicht gut gemacht waren. Auf dieses Niveau kann auch Tretter sinken. Und hoffen.

Vielleicht ist ja sogar eine Anzeige drin, wenn der Adressat von dem Gedicht Wind bekommt und es in den richtigen falschen Hals kriegt. Ein Platz in den Geschichtsbüchern wäre Tretter sicher. Und bis es soweit ist, nimmt der selbst ernannte „Gossen-Brecht des postfaktischen Zeitalters“ mit der ihm eigenen Mischung aus feinsinniger Wortspielerei und groben Verbalattacken eben auch noch die restlichen Licht- und Schattengestalten von 2016 aufs Korn. Nigel Farage, Boris Johnson, Martin Schulz, Angela Merkel, Mario Barth, Bob Dylan, David Bowie... All die Guten, die gegangen sind, und all die Scheinheiligen, die bleiben.

Tretters aktive Traumabewältigung spart dabei einiges aus, verzichtet auf eine Aufarbeitung der Tragödie in Syrien und streift ohnehin die gesamte Flüchtlingsproblematik nur am Rande – doch immerhin kann Satire hier nun wirklich gar nichts bewirken. Stattdessen fokussiert der 44-Jährige sich auf jene Themen, bei deren Betrachtung nur noch Humor vor der Verzweiflung schützt. Angesichts des Brexits, laut Tretter offenbar eine Spätfolge des Rinderwahnsinns, fordert er einen Sympathie- anstelle eines Stabilitätspakts, um zumindest die Schotten in der EU halten zu können; und angesichts der Lügenpresse-Vorwürfe gegen die angeblich „von denen da oben“ gesteuerten und gleichgeschalteten Medien an allen Enden des politischen Spektrums (ja, ein Gegensatz in sich, aber das spielt in der postfaktischen Welt doch ohnehin keine Rolle) hofft er auf ein wenig mehr Sensibilität und Diskursbereitschaft. Utopisches Gedankengut, aber irgendetwas muss man doch dem „klandestinen Dilettantismus“ der Populisten entgegensetzen, diesen Wutbürgern und völkischen Böhmermännern, bei denen sich viel zu oft Dummheit mit Hass paart, geschürt von Demagogen und Brandstiftern, die mit gefährlichen Parolen jene Tendenzen wieder entfachen, die wir eigentlich längst überwunden zu haben glauben. Wenn Erdoğan einen Bluttest für türkischstämmige Bundestagsabgeordnete fordert, bläst er letztlich ins selbe Horn wie einst die Nazis mit ihrem Arier-Nachweis. Und was Trump immer wieder vom Stapel lässt, ist nicht weniger bedrohlich. „Vielleicht wird auch alles gar nicht so schlimm“, sagt Tretter dann. „Entschuldigung, das war jetzt zynisch.“ Und as wiederum bitter.

Zwischenzeitlich entfernt sich Tretter auch mal von zeitgeschichtlichen Aspekten, räsoniert über neue Sprachregelungen für das Internet, in dem man angesichts der zunehmenden Verfettung und Bequemlichkeit der Deutschen eher schwabbelt als surft, betrachtet den potenziellen Gasausstoß durch den Verzehr von Soja im Vergleich zu Fleischkonsumenten und fordert dazu auf, mehr unsinnige Dinge zu tun. Vor allem in diesen Momenten wendet der Wahl-Leipziger sich gerne mal der Fäkalsprache zu, die er zwar immer wieder in Kontrast zu einer geschickten Verbalakrobatik setzt, mitunter aber ausgeprägter als nötig pflegt. Andererseits sitzen die meisten Pointen perfekt – und so viel hält Satire dann auch aus. Zumal Tretter sein Werkzeug zweifelsfrei tausendmal besser beherrscht als Jan Böhmermann. Und wer weiß – vielleicht klappt es 2017 ja dann doch endlich mit der herbeigesehnten Aufmerksamkeit. Mit oder ohne Schmähgedicht.

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