New Model Army: Die Hymnen des Geisterbeschwörers

Immer wieder diese hypnotisierenden, treibenden, pulsierenden Schamanen-Toms. Massig im Klang, drängend, beschwörend, bindend. Der neue Herzschlag von New Model Army dröhnt beim traditionellen Kölner Weihnachtskonzert durch das Palladium, zieht das Publikum in seinen Bann, lässt die Jünger in den wilderen Momenten ekstatisch auf und ab springen und bringt sie dann wieder zur Ruhe, um den kryptisch-poetischen Worten ihres Independent-Propheten zu lauschen. Lohnt sich: Justin Sullivan, Gründer, Frontmann und Seele der Army, hat nichts von seinem Charisma eingebüßt, ist das stimmliche Äquivalent zu den Trommeln.

Mit rauem, aber intensivem Gesang verbreitet er seine oft gesellschaftskritischen Botschaften, verpackt in Metaphern, Bilder und Geschichten zwischen Natur- und Stadtleben. Das Publikum singt mit, vor allem die Hardcore-Fans kennen ohnehin jede einzelnen Zeile auswendig, selbst die der eher unbekannteren Lieder aus den Anfangsjahren.

Davon hat die NMA in diesem Jahr einige im Gepäck. „Christian Militia“ vom „Vengeance“-Album ist wieder im Programm, ebenso wie „A Liberal Education“ oder „1984“, während Hits wie „Here comes the war“, „White Light“ und selbst das wohl berühmteste Lied der Band, „51st State“, außen vor blieben. Gut so – ein Best-of-Konzert hat die Band schließlich nicht nötig. Zumal die Mischung hervorragend ist: Mal knüppeln sich Drummer Michael Dean, der neue Bassist Ceri Monger und Gitarrist Marshall Gill zusammen mit Sullivan durch harte Tracks wie etwa „Angry Planet“, bei denen sich in den vorderen Reihen automatisch eine Mosh-Pit bildet; dann wieder beschwört der urbane Schamane im Alleingang die Geister vergangener Zeiten, gedenkt einer zerrissenen, zerstörten Familie („Family Life“) oder einem unsteten Leben („Knievel“) und zeigt in diesen Momenten, warum er sich seit 34 Jahren einer derart treuen Anhängerschaft sicher sein kann. Was für eine Ausstrahlung!

Allerdings zeigen sich auch erste Spuren des Alters. Nach der ersten Stunde braucht die Band erst einmal eine Pause, allerdings nicht nur zur Erholung, sondern auch, um Geige und Cello auf die Bühne zu bringen, die im zweiten Teil erheblich zum fantastischen New-Model-Army-Sound beitragen. Auch Drummer Michael Dean, der zuletzt an Komplikationen im Anschluss an eine Knie-OP litt, scheint noch nicht hundertprozentig wieder hergestellt zu sein: Zwar gibt er in den schnellen Stücken ordentlich Gas, lässt aber in den Balladen den nötigen Drive vermissen, spielt etwas zu zäh, zu träge, zu müde. Ausgerechnet bei „Green and Grey“, einem der schönsten und beliebtesten NMA-Songs, wird dies besonders deutlich, doch auch „March in September“ klingt eher nach wunden Füßen. Bitter.

Von diesen Schwächen einmal abgesehen bietet New Model Army ein Konzert der Extraklasse, abwechslungsreich, energiegeladen, lustvoll. Die Einbeziehung der Toms und der erneute Einsatz von Streichern tun der Band gut, setzen wunderbare Akzente, ohne fehl am Platz zu wirken. Erfreulich auch, dass die Band mit dem Kinks-Cover „Till the end of the day“, bei dem der bereits im Vorprogramm aufgetretene Ex-Stranglers-Gitarrist Hugh Cornwell noch einmal auf die Bühne kommt, wieder eine neue Klangfarbe einbringt, anstatt in gewohnter Manier weiterzumachen. Andererseits besteht diese Gefahr ohnehin nicht, gehört es doch zum Stil der Army, sich etwa alle fünf Jahre neu zu erfinden und dabei immer authentisch zu bleiben. Die einzigen Konstanten sind Justin Sullivan – und das Weihnachtskonzert in Köln. Nächstes Jahr zur selben Zeit das gleiche Spiel. Hoffentlich mit einem etwas fitteren Drummer. Dann kann der exzellente Abend dieses Jahres noch einmal getoppt werden.

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