„Ein Pfund Fleisch“: Liebe unter Geldmaschinen

Alles, was zählt, ist Geld. Gold. Kohle. Asche. Money makes the world go around, heißt es doch. Oder: „Gewinn ist nicht alles, aber ohne Gewinn ist alles Nichts.“ So zumindest sehen es die Figuren in Albert Ostermeiers „Ein Pfund Fleisch“, das jetzt im Euro Theater Central eine umjubelte Premiere feierte. Das Stück basiert auf William Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“, ist eine Umsetzung in der Welt der Banken und der digitalen Märkte, in denen Geld alles ist und alles zu Geld gemacht werden kann. Selbst die Liebe. Ein käufliches Gut, ein Mittel zum Zweck. Wer hier mit dem Herzen denkt, hat schon verloren.

So sind es denn auch die im Original Liebenden, die in Ostermaiers radikaler Umgestaltung der Vorlage am Berechnendsten und zu Geldmaschinen geworden sind: Bassanio (Frank Musekamp), der auf Rollschuhen durchs Leben gleitet und eine Finanzseifenblase nach der anderen genüsslich aufbläst, macht Geschäfte, die er selbst nicht mal mehr ansatzweise versteht, die er aber auch nicht verstehen will; und die Jüdin Jessica (wunderbar vielseitig, gereizt und eiskalt: Jana Reiß), die alle gegeneinander ausspielt, für Bassanio zur Christin Portia wird und für Antonio zum Investmentpunk Gratiano, die behauptet zu lieben und sich letztlich doch nur in ihrer Rache am System suhlt. Sie sind die Erben der beiden alten Wucherer und Marktbeherrscher Antonio (Nikolaus Büchel) und Shylock (Mark Zak), zwei Rivalen in Religion und Wirtschaft, die sich aus ihren jeweiligen Pools heraus gegenseitig an die Gurgel gehen, weil der eine im anderen das vermeintliche Feindbild und letztlich doch sich selber sieht. Als Antonio, der sein gesamtes Vermögen in Fleischkontrakte gesteckt hat, bei Shylock um einen Kredit bittet, mit dem sich sein Geliebter Bassanio in den Wettstreit um die Gunst Portias einkaufen kann, sieht der Jude seine Chance und offeriert den berühmten Handel: Keine Zinsen, aber bei Nichtrückerstattung ein Pfund Fleisch aus dem Körper seines Gläubigers.

Das Ensemble hat unter der Regie von Konstanze Kappenstein und mit Hilfe einer regelmäßig eingesetzten Handkamera eine ungeheuer intensive Inszenierung geschaffen, die so manche Schwäche des Texts in den Hintergrund treten lässt. Das Duell zwischen Büchel und Zak übertüncht die unlogische Fokussierung auf die zu Anfang noch verschacherte Religion, auf jenen Gegensatz zwischen Judentum und Christentum, der auf einmal nicht mehr irrelevant sein soll und der die Grundkonzeption des Stücks zumindest zum Teil ad absurdum führt. Auch der theoretische Geldfluss über soziale Netze, mit dem Gratiano Antonio und Bassanio in seinen Bann und damit in den Ruin treibt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als Schnapsidee und zugleich schwächste Passage des Stücks. Auf der anderen Seite verstehen die Schauspieler zu brillieren: Vor allem Büchel und Zak ziehen alle Register, verleihen ihren Figuren Konturen, sind nicht nur wandelnde Klischees, sondern zunehmend verzweifelte, verletzte Menschen unter einer bröckelnden Bänker-Schale, hilflos angesichts des Zusammenbruchs all dessen, was ihnen lieb und teuer war. Sie, die mit dem Leid anderer ein Vermögen verdient haben, finden sich auf einmal selbst am Boden wieder, durch ihre eigenen Herzen verraten. Ihre Welt brennt, die Börse steht in Flammen, angezündet von jenen, die wie Jessica/Portia/Gratiano keine Kontrolle mehr über ihre eigenen Geschäfte haben. Und diese auch gar nicht haben wollen. Was zählt, ist das schnelle Geld. Nach uns der Crash. Ist doch schließlich alles nur ein Spiel. 

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