Konstantin Wecker: Wahnsinn ohne Ende

Aufhören? Das kann Konstantin Wecker nicht. Da muss man ihn schon zwingen. In der Beethovenhalle, wo er jetzt anlässlich seiner Jubiläumstour „40 Jahre Wahnsinn“ spielte, wollte das niemand. Einen der ganz großen Liedermacher unterbricht man nicht. Man lässt ihn lieber machen. Das Ergebnis: Ein Konzert bis kurz vor Mitternacht, in dem der 67-Jährige genüsslich aus dem Vollen schöpfte. Bissige, witzige, romantische und philosophische Texte in Liedform gegossen, vertonte Poesie der Extraklasse, dazwischen Geschichten voll Reue und Stolz, Melancholie und Rebellentum. Wecker zieht Bilanz, bekennt sich zu vielen Fehlern – und findet dennoch genug Gründe, um weiter zu machen. Irgendjemand muss ja die Stimme erheben gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung, gegen Ausbeutung und Intoleranz. Und das beherrscht Wecker eben wie kein zweiter.

Die sozialkritischen Töne stehen von der ersten Sekunde an im Vordergrund. Die Ballade „Willy“, für Wecker Segen und Fluch zugleich („sie machte mich bekannt, aber lange wurde ich nur auf sie reduziert“, sagt er), eröffnet das Konzert. „Eine wahre Geschichte“, bekennt Wecker, „bis auf einen Punkt: Willy lebt. Er ist bis heute mein bester Freund und verkauft draußen die CDs.“ Das erste von vielen Geständnissen des Abends. Gnadenlos ehrlich gibt Wecker sich, erzählt von seinen ersten pianistischen Gehversuchen in einer Schwulenbar, aus denen die „Sado-poetischen Gesänge“ entstanden, von seinem Hang zur Prahlerei, von stolzierenden Gängen durch die Stadt, den Nerzmantel um die Schultern, Gefallen am Zuhälter-Image findend. „Du verhältst dich wie ein Millionär – aber du bist keiner“, habe ihm sein Vater damals gesagt. Heute sieht Wecker das ein, ist nicht stolz auf sein damaliges Wesen. Sehr wohl aber auf seine politische Wirkung, auf seinen bis heute andauernden Protest. „Sage Nein“, wettert er, oder „Empört euch“, oft mehr sprechend denn singend, aber immer eindrucksvoll.

So folgt Wecker seinen eigenen Spuren, nicht immer ganz chronologisch, aber doch weitgehend nachvollziehbar. Er besingt den Alten Kaiser, versucht sich mit den Feministinnen zu versöhnen, verdammt die feine Gesellschaft am Rande des Abgrunds und all jene, die immer einen zum Treten brauchen, erinnert aufwühlend an die Geschwister Scholl und peitscht das Publikum für die Revolte auf. Seine Band tut das ihrige, um die Stücke in Perfektion zu präsentieren: Cellistin Fany Kammerlander sowie die Multiinstrumentalisten Wolfgang Gleixner und Jo Barnikel weben fantastische Klangteppiche, halten sich wenn nötig dezent zurück, nur um im nächsten Stück so richtig loszurocken. Wahnsinn, in 40 Jahren gereift. Dabei wirkt er in frischer Form fast noch überzeugender: Die Bonner Musikerin Cynthia Nickschas, die auf Weckers eigenem Label unter Vertrag steht, präsentiert mitten im Konzert zwei exzellente Songs aus eigener Feder, die mit beinahe punkiger Attitüde und starken Texten begeistern. Als sie dann bei der vierten Zugabe, nach einigen Wecker-Reminiszenzen an seine Kinder und – ganz besonders rührend – an die letzten Stunden mit seinem Vater, zum Duett erneut auf die Bühne kommt („Liebeslied im alten Stil“) und den Meister perfekt ergänzt, steht das Publikum Kopf. Eigentlich ein guter Schlusspunkt. Doch Wecker fängt jetzt gerade erst an. Immer weiter macht er, holt ein Lied nach dem anderen aus seinem Fundus, verzaubert am Klavier, changiert wie schon seit seinen ersten aufbäumenden Texten zwischen Wut und Zärtlichkeit. Wie gut, dass so jemand nicht einfach aufhört, nur weil es opportun scheint, sondern unermüdlich weitermacht. Bis Mitternacht. Und auch darüber hinaus.

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