„Die Pest“: Hoffnungsschimmer im Rattenregen

Die Ratten zu Beginn sind unsichtbar. Die braune Leichenflut, die dem Schwarzen Tod vorangeht, die ersten Anzeichen der die algerische Stadt Oran heimsuchenden Epidemie, sieht das in einem Stuhlkreis sitzende Publikum im Theater im Ballsaal lediglich durch die Augen des Erzählers und Darstellers Andreas Meidinger, der alle Protagonisten verkörpert, das personifizierte Opfer und zugleich ein Überlebender. Er ist es, der von den toten Nagern erzählt, ihm als Chronisten der nun folgenden kriegsähnlichen Zustände gilt es zu glauben. Selbst wahrnehmen kann man zunächst ohnehin nichts, das Licht ist aus, erst nach und nach erhellen zahlreiche alte Hängelampen notdürftig den Raum. Im Laufe des Stücks werden sie sich senken, werden fallen so wie die Hoffnung der Betroffenen. Eine interessante Idee. Wenn auch leider, wie so einige andere Aspekte, nicht konsequent zu Ende gedacht.

Regisseur Frank Heuel setzt in seiner Inszenierung neben dem hervorragend sprechenden, dafür aber nur selten agierenden Meidinger vor allem auf die Wirkung des Raums. Die fallenden Lampen, wegen denen die Drehstühle, auf denen das Publikum Platz nimmt, nicht verschoben werden dürfen, kreieren eine eindringliche Atmosphäre, ebenso wie ein paar Videosequenzen und vier Lautsprecher, die der um und durch das Publikum laufende Meidinger zeitweilig pendeln lässt und aus denen Straßengeräusche klingen. Reizvoll. Doch bleiben Fragen: Warum verstummen die Boxen irgendwann? Warum dämmern die Lichter zunächst nur vor sich hin, zu einem Zeitpunkt, als noch jeder Einwohner Orans hofft, die Pest ohne Probleme überstehen zu können? Warum regnet es irgendwann Blätter mit aufgedruckten Ratten? Und warum bleibt Meidinger auch in den wenigen tatsächlich gespielten Szenen immer noch Erzähler, nimmt Worte und Aktionen vorweg, die er im Anschluss ausführt und damit eine eigentlich unnötige Dopplung erreicht? Immerhin hätte die Zeit in dem 85-Minuten-Stück besser genutzt werden können.

So kommt der philosophische Ansatz, den Camus in „Die Pest“ erstmals anklingen lässt, ein wenig zu kurz, Solidarität und Liebe als essentielle Werte bleiben im Dunkeln, obwohl sie gerade für den Arzt Rieux, auf den die Inszenierung sich konzentriert, maßgeblich sind. Da Heuel auch auf eine Ausarbeitung der Nazi-Anspielungen verzichtet, die in dem Text angelegt sind, hat das Stück in vielen Momenten den Charakter einer szenischen Lesung. Einer guten, keine Frage. Aber eben einer, die eine interpretatorische Ebene vermissen lässt. Wenn sich nach einer dramatischen Szene, in der detailliert die Schmerzen eines mit einem neuen Serum behandelten Jungen beschrieben werden, die Lichter und die Hoffnung am Boden liegen, ist das Publikum emotional am Tiefpunkt und atmet auf, als die Lampen sich wieder Richtung Decke bewegen. Insofern hat das Stück seine Wirkung nicht verfehlt. Einen Blick hinter den Text gewährt es aber nicht. Obwohl es das mit Blick auf die schauspielerische Leistung und das Bühnenbild sicherlich gekonnt hätte.

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