Mystery : Hymnen von epischer Länge

Weiter geht es, immer weiter. Nur nicht aufhören. Immer wieder treiben neue Klang-Gebilde durch den Saal der Harmonie, neue Motive, neue Ideen, alle unterschiedlich und doch irgendwie zusammen passend, wie ein gigantisches Puzzle voller akustischer Strahlkraft. Keine Frage: Was die kanadische Prog-Rock-Band Mystery an diesem Donnerstagabend abliefert, ist mindestens phänomenal, häufig sogar besser und niemals langweilig. Dabei pflegen die Kanadier um Mastermind Michel St-Père eigentlich einen vergleichsweise eingängigen Stil, verzichten weitgehend auf die sonst in der Szene so beliebten Ton-Experimente und die komplexen Verschachtelungen – aber gerade deswegen können sie ihre starken Melodien auch in epischer Breite ausspielen und die Stücke atmen lassen. Was Wunder wirkt. Und auch eine Kunst an sich ist.

Die Dynamik ist eine der größten Stärken von Mystery: Genussvoll bauen sie Stücke auf, bringen sie zur Entfaltung, lassen sie explodieren und flechten schon die nächsten Impulse zu einem hypnotischen Netz. Die Band weiß genau, wie sie das Publikum zu nehmen hat, weiß um die Wirkung ihrer Musik und vor allem um die Magie von Frontmann Jean Pageau, dessen eindringliche Stimme den Mystery-Sound nachdrücklich bereichert. Hinzu kommt die jahrelange Erfahrung, vor allem von St-Pière, dem letzten verbleibenden Gründungsmitglied der 1986 ins Leben gerufenen Formation. Der Veteran hält sich auf der Bühne jedoch lieber im Hintergrund und überlässt Pageau sowie Bassist Francois Fournier den Kontakt zu den Fans, die jedes Lied ausgiebig feiern, vom traumhaften „Shadow of the Lake“ bis hin zu „Redemption“, dem Titelsong des gleichnamigen, noch nicht erschienenen Album. „Ihr seid die ersten Deutschen, die die neuen Stücke hören“, betont Pageau. Für viele hat sich schon dafür die Anreise gelohnt.

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Dabei fangen Mystery gerade erst an. Beziehungsweise haben angefangen. Schon um 19.30 Uhr stand das Sextett auf der Bühne, um auch wirklich die komplette Setliste bis zur Sperrstunde ab 22.30 Uhr spielen zu können. Kein Wunder angesichts von Stücken, die mit „Through Different Eyes“ auch die 20-Minuten-Grenze überschreiten. Mit diesem Monster ist denn auch der Höhepunkt des Konzerts erreicht, nachdem zuvor schon „Pride“ und „The Scarlet Eye“ das ohnehin hohe Niveau auf eine neue Ebene transzendiert haben. Hier mischen sich ein an Saga angelehnter Sound mit der Vielseitigkeit der frühen Pink-Floyd-Platten und der Rock-Dynamik von Savatage zu einem Stil, der über all das hinausgeht und schlichtweg begeistert. Neben dem grandiosen Gesang Pageaus, der sich nie mehr als nötig in den Vordergrund spielt und auf der Klaviatur der Emotionen so ziemlich alles zu spielen vermag, ist dafür insbesondere Drummer Jean-Sébastian Goyette verantwortlich, der die Band zusammenhält und kontinuierlich nach vorne treibt, ohne dabei hektisch zu wirken. Klasse. Dazu kommen der beständige Austausch zwischen St-Père und seinem Gitarren-Kollegen Sylvain Moineau sowie die Klangflächen von Keyboarder Antoine Michaud, die sich mühelos in das Gesamtwerk einfügen. Nicht nur für Mystery-Fans erweist sich der Auftritt der Band als eines der besten Konzerte, die in den vergangenen Jahren die Harmonie bereichert haben. Also bitte: Nur nicht aufhören.

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Kommentare: 1
  • #1

    Eva (Montag, 08 Mai 2023 02:45)

    Kleine Korrekturr: die neue CD "Redemption" war noch nicht offiziell erschienen, de facto aber schon und am Konzertabend schon zu erwerben.