„Der Haken“: Bittersüße Komik

Dieses Schnäppchen will sich niemand entgehen lassen: Eine 80-Quadratmeterwohnung in der Bonner Altstadt, Top-Lage, großzügig geschnitten, für 850 Euro warm. Ein Traum in einer Stadt, in der – wie in allen relevanten Metropolen Deutschlands – bezahlbarer Wohnraum ebenso selten ist wie ein Sechser im Lotto. Und so kommen sie alle an, der arrogante App-Millionär ebenso wie die verzweifelten Pflegerinnen, die für ihre schwangere Tochter eine Bleibe suchende Mutter ebenso wie das Pärchen, das sich schon längst getrennt hat und nur aus Mangel an Alternativen noch zusammenlebt. Doch schnell merken die Interessenten, dass irgendetwas nicht stimmt. Und das hat mit dem Eigentümer der Wohnung zu tun, der ein Stockwerk höher lebt.

Gleich zwei zwei zentrale soziale Missstände thematisiert das Autorenduo Lutz Hübner und Sarah Niemitz („Frau Müller muss weg“) in ihrer bittersüßen Tragikomödie „Der Haken“, die das Theater Bonn jetzt uraufgeführt hat. Wohnungs- und Pflegenotstand fallen in ihrem Szenario zusammen, als sich herausstellt, dass der alte Benedikt Goldmann (Wolfgang Rüter) nicht einfach nur aus nostalgischer Verklärung heraus die Kleider seiner verstorbenen Frau anzieht, sondern auch hochgradig dement ist. Wer auch immer also die Traumwohnung bekommt, soll sich um Goldmann kümmern, so das heimliche Kalkül seines restlos überforderten Neffens Martin Brockes (herrlich schräg: Timo Kählert) – für eine professionelle Rund-um-die-Uhr-Betreuung fehlt schließlich das Geld. Doch da Brockes mit diesem Plan zunächst hinterm Berg hält, werden die Interessenten, die ohnehin jeder für sich nach der besten Strategie im Kampf um die Wohnung suchen, unweigerlich misstrauisch. Die Emotionen kochen über, als nach einem Besuch beim Büdchen an der Straßenecke die Gerüchteküche zu brodeln beginnt. Eine volatile Mischung, bei der die Wünsche und Bedürfnisse aller kollidieren. Nur die von Goldmann, der irgendwann zu der Truppe stößt und von ihr völlig überfordert ist, bleiben außen vor.

„Der Haken“ ist ohne Zweifel ein starkes Stück, auch wenn es nicht von der ersten Minute an verfängt; dafür braucht es zu lange, um in Fahrt zu kommen. Doch je mehr sich die verschiedenen Figuren öffnen und das Steuer zu übernehmen versuchen, desto mehr kann die Inszenierung von Roland Riebling überzeugen, und zwar nicht zuletzt wegen des durchweg brillanten Ensembles, das ungeheuer authentisch spielt. Großartig, wie Lydia Stäubli als die angespannte, geladene Hanna von dem besserwisserischen Ex-Mann Jan (Daniel Stock) loszukommen versucht oder wie Julia Kathinka Philippi als harmoniebedürftige Pflegerin ihre ruppige Freundin Sina (Annika Schilling) bändigt; die Feinfühligkeit des überragenden Wolfgang Rüter als verwirrter Vermieter Goldmann, der als ehemaliger Attaché über eine bemerkenswerte Eloquenz verfügt und doch aufgrund seiner Krankheit immer wieder in die Dunkelheit geistiger Umnachtung geworfen wird, steht ohnehin außer Frage. Lediglich Birte Schrein und Markus Bachmann lassen ihre Figuren zunächst etwas gekünstelt wirken, brechen diese Schale aber zunehmend auf.

Sehenswert ist „Der Haken“ allemal, und das nicht nur wegen der schauspielerischen Leistung. Das Theater stellt sich immerhin der gesellschaftlichen Diskussion um zwei überaus ernste Themen, die es in der ein oder anderen Form zu lösen gilt. Nur vielleicht nicht so, wie Vermieter-Neffe Martin Brockes sich dies vorstellt. Die eindringliche Botschaft des Stücks wird dabei vor allem in der zweiten Hälfte der 105-Minuten-Inszenierung ins rechte Licht gerückt; die Probleme der Wohnungssuchenden verblassen angesichts des persönlichen Schicksals Goldmanns, der doch eigentlich nur jemanden zum Reden sucht, jemanden, der ihn nicht allein sein lässt. Ob letztlich einer der Interessenten, die zuvor so sehr um die Wohnung gekämpft haben, diese und damit auch einen Teil der Verantwortung für Goldmann übernimmt, lassen Hübner und Nemitz übrigens bewusst offen. Es liegt am Zuschauer, eine Antwort zu finden. Immerhin: Das lohnt sich.

Termine: 2. und 16. März jeweils um 19.30 Uhr im Schauspielhaus Bad Godesberg. Karten erhalten Sie bei allen bekannten Vorverkaufsstellen.

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