„Misery“: „Ich bin ihr allergrößter Fan“

„Sie haben Misery ermordet!“ Das kann Autor Paul Sheldon (Philipp Gierenstein) doch nicht machen, diese Todsünde kann er einfach nicht begehen, zumindest nicht in den Augen der ehemaligen Krankenschwester Annie Wilkes (Esther Takats). Da hat sie großmütig ihr Idol gerettet und in ihrem abgelegenen Haus gepflegt, nachdem dieser sich bei einem Autounfall in der Nähe beide Schienbeine gebrochen hat, und dann hintergeht er sie auf diese grausame Weise. Das kann er seinem allergrößten Fan doch nicht antun, und das kann er auch Misery nicht antun, mit der Wilkes fast so etwas wie eine Seelenverwandtschaft verbindet.

Wie gut, dass Sheldon in ihrem Bett liegt, bewegungsunfähig und von ihr abhängig. Jetzt muss er Misery einfach wieder auferstehen lassen, dafür wird Annie schon sorgen. Aus dieser Situation heraus erwächst ein bedrohliches Kammerstück der besonderen Art, mit dem Horrorautor Stephen King Film- und Literaturgeschichte geschrieben hat. Jetzt hat das neu gegründete theater.schwarz den Stoff in der Brotfabrik auf die Bühne gebracht.

 

„Misery“ ist mitunter keine leichte Kost. Hinter der vermeintlichen Normalität lauert mehr oder weniger unverhüllt das Grauen eines Psychodramas, das für ein paar wenige, aber dennoch heftige Szenen sorgt. Das liegt weniger an den Maßnahmen, die Annie Wilkes ergreift, um Sheldon bei sich zu behalten und ihm ein neues Werk aufzuzwingen, auch wenn diese mitunter überaus extrem sind – vielmehr ist es ihre Ungerührtheit im Angesicht dieser Taten. Selbst als sie Sheldon die Knöcheln mit einem Vorschlaghammer zertrümmert, um ihn an der Flucht zu hindern, bleibt Esther Takats' Annie völlig ruhig, so als wäre der Angriff lediglich ein Mittel, um einen störrischen Patienten ruhigzustellen. Ein genialer Schachzug, der zudem eine klare Abgrenzung zu der legendären Verfilmung mit James Caan und Kathy Bates ermöglicht. Ohnehin hat sich das Ensemble unter der Regie von Stephanie Pannen zwar von diesem inspirieren lassen, versucht aber gar nicht erst, ihn zu kopieren, sondern gibt dem Stoff vielmehr eine eigene Note. Und die kann mitunter sogar überaus amüsant sein, wie die ein oder andere geschickt gesetzte Pointe zeigt. Dass Gierenstein zielsicher auf Takats' Spiel eingeht, ohne seine Figur der Lächerlichkeit preiszugeben, hat daran nicht unerheblichen Anteil.

Knapp zwei Stunden lang muss Schriftsteller Paul Sheldon am Ende leiden, bevor er sich von seiner Peinigerin befreien kann. Für den leichtgläubigen, aber immerhin hartnäckigen Sheriff (etwas steif: Jens Küstner) kommt das zu spät, für Misery dagegen nicht. Die Romanheldin ist am Ende wirklich wieder von den Toten auferstanden, so dass Annie Wilkes' diabolischer Plan aufgegangen ist. Ein Sieg für das Böse? Vielleicht. Auf jeden Fall zeigt sich das Premierenpublikum begeistert von der durchweg starken Inszenierung und spendet dem engagierten Laien-Ensemble lang anhaltenden Applaus.

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