„The Shadow over Innsmouth“: Das Grauen des Verfalls

Den Meister des Grauens auf die Bühne bringen? Klingt nahezu unmöglich. Der groteske Horror von Howard Phillips Lovecraft spottet eigentlich jeder Beschreibung – gerade das zeichnet schließlich die Geschichten des amerikanischen Schriftstellers aus, der seine Großen Alten und dessen Gefolge immer wieder mit zahlreichen Adjektiven zu charakterisieren versucht und doch eingestehen muss, dass die menschliche Sprache mitunter unzureichend ist, um dem Schrecken eine Kontur zu geben. Nicht ohne Grund haben sich zahlreiche Filmemacher an den Erzählungen aus den 1910er bis 1930er Jahren versucht, und alle sind daran gescheitert. Jetzt aber hat Schauspieler Johannes Neubert zusammen mit seinem walisischen Kollegen Eifion Ap Cadno eine englischsprachige Fassung von „The Shadow over Innsmouth“ auf die Bühne gebracht und in der Brotfabrik bewiesen, dass man auch Lovecraft gut inszenieren kann. Solange man nicht zu bildlich wird. Und den Horror im Kopf entstehen lässt.

„The Shadow over Innsmouth“ ist eine von Lovecrafts berühmtesten Geschichten. Sie folgt dem Protagonisten Robert Olmstead bei einer Reise durch Neuengland, die ihn schließlich auch in die im Titel genannte halb verfallene Hafenstadt führt. Dort entdeckt dieser, dass die Einwohner sich mit diabolischen Fischmenschen eingelassen haben und einem Meeresgott huldigen. Nur mit Mühe entkommt er bei einer Verfolgungsjagd den Ortsansässigen, nur um ein noch dunkleres, privates Geheimnis zu enthüllen. Dabei kollidiert das Unfassbare, das Lovecraft detailliert zu beschreiben versucht und das doch in weiten Teilen nur aus Worthülsen besteht, mit dem nachvollziehbaren Bild einer heruntergekommenen Stadt ohne Perspektive. Das Grauen entsteht aus der Leere und aus der Umgebung – einen ähnlichen, wenn auch noch tiefer gehenden Ansatz verwendet Stephen King in vielen seiner Romane. Für Neubert bedeutet das, sehr präzise zu erzählen und den Ort auf der kargen Bühne nur durch die Macht seiner Worte entstehen zu lassen. Im Euro Theater hat er ähnliches schon bei der Inszenierung von Joseph Conrads „Heart of Darkness“ geschafft, und auch in der Brotfabrik gelingt es ihm, sowohl Handlung als auch Beschreibung zu tragen. Zugegeben, manchmal will er zu viel, könnte insbesondere seine Bewegungen noch reduzieren – andererseits ist es an ihm, die ständig wachsende Unsicherheit seiner Figur für jeden deutlich zu machen. Schlichtweg großartig ist derweil das feine Spiel von Ap Cadno, der mit wenigen Requisiten, seiner Haltung und leicht veränderter Diktion alle anderen relevanten Figuren verkörpert und dabei jeder ihren eigenen Raum zugesteht.

Nach und nach entsteht dank des feinen Spiels eine immer bedrohlichere Atmosphäre, die vor allem dadurch gewinnt, dass vieles zwar gesagt, aber eben nicht gezeigt wird. Weitgehend verzichtet haben Neubert und Ap Cadno übrigens nicht nur auf die szenische Umsetzung des grotesken Schreckens, sondern auch auf weite Teile des Lovecraftschen Rassismus – beides strafft erfreulicherweise die Handlung, während sie gleichzeitig zum Futter für das individuelle Kopfkino wird. Eine gute Entscheidung. So entfaltet das Zwei-Personen-Stück, das unter anderem mit Mitteln aus einem Corona-Stipendienprogramm für Künstlerinnen und Künstler finanziert werden konnte, nicht nur eine unmittelbare, sondern auch eine nachhaltige Wirkung. Und das ist für Lovecraft perfekt.

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