„O chão de ninguém“: Boden zu Boden, Staub zu Staub

Der Boden lebt. Und er leidet, wenn ihm etwas genommen wird. Jeden Tag aufs Neue. Die Menschheit beraubt den Boden, entreißt ihm Gold, Nickel, Eisen, Kohle, Coltan, diese und andere Erze und Mineralien. Was bleibt, sind Narben und Giftstoffe, kranke oder gar tote Erde, aus dem Gleichgewicht gebracht von purer Gier. Im Rahmen des Theaterfestivals west-off nimmt sich der Schauspieler Gabriel Carneiro dieser toxischen Beziehung an und zeigt in seiner eindringlichen installativen Performance „O chão de ninguém“ („Niemandes Boden“) die Folgen solcher Eingriffe mit poetischen Mitteln auf. Ein spannendes Projekt – das bei seiner Premiere im Theater im Ballsaal lediglich am Anfang Zeit kostet.

Die schleppende Einleitung ist allerdings weniger die Schuld Carneiros aus vielmehr die des Corona-Virus und der Raum-Situation im Ballsaal. Den schmalen Gang, den der 31-Jährige seiner Darbietung vorgeschaltet hat und in dem Fotografien aus dem Minas Gerais genannten Gebiet im Südosten Brasiliens auf Impressionen aus dem Ruhrpott treffen, dürfen nur drei Personen gleichzeitig betreten, was angesichts des erfreulich großen Andrangs zwangsweise zu einigen Verzögerungen führt. Den damit unweigerlich einhergehenden Spannungsabfall muss Carneiro erst einmal kompensieren, bevor er auf das Schicksal der Erde eingehen kann und auf die Gewalt, die ihr tagtäglich angetan wird. Er will sie bewahren, so viel wird von der ersten Sekunde an klar, will vor allem etwas gegen die Erosion tun und gegen die Ermüdung von ganzen Erdschichten, die ohne bestimmte Stoffe an Tragfähigkeit verlieren. Doch was soll, was muss  geschehen? Lösungsansätze oder zumindest Forderungen formuliert Carneiro nämlich nicht. Er stellt lediglich mit einer gewissen philosophisch-literarischen Verklärung den Ist-Zustand fest, mahnend, eindringlich, aufwühlend, aber doch irgendwie auch seltsam perspektivlos. „Wenn der Boden gesund ist, wächst alles in ihm“, sagt er. „Wir auch.“ Gut. Aber wie kommen wir dahin?

Genau an dieser Stelle stoppt Carneiro. Eigentlich schade, bleibt er so doch sehr an der Oberfläche, hinter sprachlich schönen Bildern eine gewisse Schwarz-Weiß-Malerei zwischen dem „bösen“ Bergbau und der „guten“ Landwirtschaft verbergend. Als Rufer in der Wüste trifft Carneiro zwar einen Nerv, und seine Darstellung des Verhältnisses von Menschen und Boden legt mehr als nur ein paar Schichten frei, doch einen Abschluss findet seine Darbietung nicht. Vielleicht genügt es ja schon, dass gewisse Fragen in den Zuschauern hochkommen und man seine eigene Verbindung zu jener Erde in Frage stellt, auf der wir stehen und die in Form von Werkstoffen und Umweltgiften, in Häusern und Mobiltelefonen und zahllosen anderen Gegenständen in uns und um uns ist. Das Bewusstsein dafür schafft Carneiro auf jeden Fall. Lösungen müssen andere suchen.

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