„Almanya Türküleri“: Der Soundtrack der Gastarbeiter

Die Musik der türkeistämmigen Bevölkerung in Deutschland ist der breiten Öffentlichkeit bis heute weitgehend fremd. Dabei hat sie in den vergangenen 60 Jahren, seit die ersten Gastarbeiter über Istanbul in die Bundesrepublik kamen, mehr als einmal Geschichte geschrieben. Nun wollen der in Königswinter lebende Filmemacher und Musiker Nedim Hazar sowie der Komponist, Violinist und Musikpädagoge Ruddi Sodemann diese Melodien ins rechte Licht rücken. Sie haben zwölf türkische Sängerinnen und Sänger aus drei Generationen, drei Ensembles und vier Instrumentalisten zusammengetrommelt  und das Konzertprojekt „Almanya Türküleri – Deutschlandlieder“ ins Leben gerufen, das einen einzigartigen Einblick in eine Art von Musik gewährt, die für viele ungewohnt klingen mag – und die doch schon längst ein Teil von Deutschland ist.

Tatsächlich haben einige der beteiligten Musiker Geschichte geschrieben, auch wenn sich dem heutzutage kaum noch jemand bewusst ist. Metin Türköz zum Beispiel, der als erster türkeistämmiger Barde Deutschlands gilt. „Er hat gewissermaßen den Soundtrack zu dem großen Ford-Streik von 1973 geschrieben“, erinnert sich Sodemann, der zu jener Zeit als Studiomusiker Streicherpartien für verschiedene Künstler einspielte. „Das war der erste größere Arbeitskampf hierzulande, der vor allem von Migranten getragen wurde.“ Türköz hatte in den 60ern selbst als Schlosser bei Ford gearbeitet, bevor er sich ganz der Musik zuwandte. „Es gab damals ja kein türkisches Radio in Deutschland, an Aufnahmen kam man ebenfalls nicht ran, und so schrieben die türkischen Gastarbeiter eben ihre eigenen Songs, in denen sie ihre Erlebnisse und Erfahrungen verarbeiteten“, erklärt Hazar. „Metin Türköz hat damals mit seinen 'Liedern aus der Fremde' vielen seiner Landsleute aus der Seele gesprochen. Mit ihm beginnt gewissermaßen die Geschichte der Türken in Deutschland.“

Weitere Künstler sollten auf Türköz folgen: die Jazzsängerin Özay Fecht, die kurzlebige Band Die Kanaken rund um den türkischen Rockmusiker Cem Karaca oder die Elektro-Saz-Formation Derdiyoklar. Das Repertoire ist groß, die stilistische Vielfalt ebenso, und dennoch erhält die türkische, in Deutschland komponierte Musik viel weniger Aufmerksamkeit als die der italienischen Cantautori oder der französischen Chansonniers. „Sicherlich hat das damit zu tun, dass fast die gesamte arabische, persische und auch türkische Musik auf den Makam aufbaut, einem System aus Tonarten und Kompositionsregeln, die auch dank der Vierteltöne hierzulande weitaus fremdartiger wirkt als die Lieder italienische Cantautori oder französischer Chansonniers“, betont Hazar, der in den 80ern mit der Pop-Gruppe „Yarinistan“ gleich zweimal den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielt. „Ich denke aber auch, dass es mit Klassenunterschieden zu tun hat. Die Mehrheit der Türken waren früher Malocher, und als solche wurden sie wahrgenommen, nicht aber als Musiker und Künstler.“

Dies sollte sich mit dem Hip-Hop ändern. Die Formation Cartel sorgte in den 90ern international für Aufsehen und sorgte in der Türkei, in der es zu diesem Zeitpunkt keine nennenswerte Rap-Szene gab, für eine musikalische Revolution. Cartel-Mitglied  Erci E. beteiligt sich nun bei den „Deutschlandliedern“, ebenso wie Hazars Sohn, der überaus erfolgreiche Rapper Eko Fresh. Insofern zieht das Projekt weite Kreise – und die werden zunehmend größer. „Wir haben unser Programm erst einmal vor Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gespielt und am vergangenen Wochenende in einer kleinen Besetzung im Haus der Geschichte in Bonn“, erklärt Hazar. „Das Auswärtige Amt hat uns aber bereits gebeten, Anfang November nach Istanbul zu reisen und dort aufzutreten.“ Zunächst aber steht die offizielle Premiere in der Zeche Zollverein in Essen an. In Bonn werden die „Deutschlandlieder“ schließlich am 12. November um 19.30 Uhr in der Bonner Oper zu erleben sein, einen Tag später geht es in den WDR-Rundfunksaal nach Köln. Diese Konzerte sollen auch im Zentrum eines Kinofilms stehen, den Hazar plant. „Wir wollen einfach zeigen, dass wir mit unserer Musik ebenfalls zu Deutschland gehören“, sagt er. Die Botschaft dürfte ankommen.


Termine von „Almanya Türküleri – Deutschlandlieder“
12. November, 19.30 Uhr, Oper Bonn; 13. November, 20 Uhr, Rundfunksaal des WDR, Köln. Karten für 25 Euro (ermäßigt 20 Euro) zuzüglich Gebühren erhalten Sie bei allen bekannten Vorverkaufsstellen. Weitere Informationen unter www.deutschlandlieder.de.

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