„The Last Days of Judas Iscariot“: Gnade für den Verräter

Für Dante war der Fall eindeutig: Judas verriet Jesus und gehört dafür in die Hölle. Nicht in irgendeine Hölle, versteht sich, sondern in den Mittelpunkt des neunten Kreises, ins Maul des gestürzten Luzifers. Der Judaskuss galt und gilt vielen gläubigen Christen als die größte Sünde überhaupt, und so so stellt sich die Schuldfrage in der fast 550 Jahre alten „Divina Commedia“ auch nicht – wohl aber in „The Last Days of Judas Iscariot“, einem Theaterstück des Amerikaners Stephen Adly Guirgis, das 2005 unter der Regie von Philip Seymour Hoffman seine Premiere am Off-Broadway feierte. Nun hat sich das Laien-Ensemble moving targets dem Stoff angenommen und es in englischer Sprache auf die Bühne der Brotfabrik gebracht, mit minimalistischer Ausstattung, aber dafür umso mehr Unterhaltung.

Das Stück dreht sich um eine Verhandlung vor dem Gericht des Fegefeuers. Hier, im Reich zwischen Himmel und Hölle, wird über das Schicksal der Verstorbenen entschieden, und hier will die ebenso ehrgeizige wie aufreizende Anwältin Fabiana Aziza Cunningham (Esther Takats) für den komatösen Judas eine Revision erreichen. Doch dafür muss sie nicht nur Richter Littlefield (Nikesh Trecarten) überzeugen, sondern sich auch den Annäherungsversuchen ihres Gegenspielers Yusef Akbar Azziz Al-Nassar Gamel El-Fayoumi (Tamer Afifi) erwehren. Und dann wären da noch die Zeugen: Simon der Zelot (etwas zu brav: Valentin Senft), Sigmund Freud (Adrian Donner), Mutter Theresa (herrlich tattrig: Lisa Pohlers), der arrogante Pontius Pilatus (Marc Erlhöfer), der scheinheilige Hohepriester Kaiphas (Jan-Hendrik Schrötter), ein erschreckend ehrlicher Satan (Beate Linnenkamp) und die arme Mutter des Judas (Tracy Tollman). Sie alle können helfen, ein Bild des vermeintlichen Verräters und seiner Tat zu zeichnen – doch nicht immer kommt dabei heraus, was sich die Anwälte wünschen.

Mehr als zwei Stunden lang verhandeln die Akteure auf der Bühne den Fall des Judas, mit all seinen philosophischen und theologischen Aspekten von Schuld und Sühne, göttlichem Plan und freiem Willen. Klingt komplex, ist dank der Ausgestaltung der Figuren aber vor allem unglaublich amüsant. Vor allem Sabina Kukuk ist als Gerichtsdiener eine Wucht, holt mit wenigen Worten das Maximum an Wirkung heraus, ist herrlich schräg und verfügt doch stets über das nötige Fingerspitzengefühl, um es nicht zu übertreiben. Diese Balance ist wichtig, aber auch schwierig. Manchmal dreht sich die Diskussion im Gerichtssaal denn auch ein bisschen zu weit ins Absurde und setzt mehr als nötig auf Pointen statt Argumente, andererseits werden die zentralen Fragen durchaus ernst gestellt. Wenn Gott alle Menschen liebt, wie kann er sie dann zu Höllenqualen verdammen? Und wenn vorherbestimmt war, dass Jesus am Kreuze sterben musste, wie kann Judas dann daran Schuld tragen? Antworten darauf gibt es, auch wenn die nicht jedem gefallen dürften. Am allerwenigsten Judas, dessen Fall von vornherein zum Scheitern verurteilt ist und der doch verhandelt werden musste. Dafür ist er schlichtweg zu wichtig. Und zumindest in dieser Fassung zu witzig.

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